Noch heute

Bild zeigt Willi Grigor
von Willi Grigor

Zwei Kinder, die der Krieg verschonte,
in einem Bahnhof sie sich trafen.
Sie stiegen in den gleichen Zug,
sie fuhren in die gleiche Stadt.
Sie wanderten mit ihren Eltern,
mit ihren Beuteln und Geschwistern
auf einer Straße mit Ruinen,
in eine neue, andre Welt.

Düsseldorf, im Stadtteil Oberbilk,
Flügelstraße 54.
Vor diesem Haus standen zwei Kinder
mit ihren Eltern und Geschwistern,
sie schauten sich einander an,
dann gingen sie ins graue Haus
- das kurz zuvor eine Ruine war -
und öffneten die Türe
im dritten und im vierten Stock.

Der Zufall hat die Hand im Spiel,
wenn Menschen treffen sich, vereinen.

Vor diesem Haus wir spielten, rannten,
in diesem Haus wir Männer wurden.
In diesem Haus wir Jahre lebten,
in diesem Haus die Eltern starben.

Zwei stille Buben in einer lauten Welt,
in einem Bahnhof sie sich fanden.
Zwei gute Freunde sie noch heute sind -
nach über 70 Jahren.
Er hat sie noch nicht weggefegt,
der nach dem Kriege meistens warme,
nur ausnahmsweise kalte Wind.

Schon lange leben beide schon
in zwei verschied'nen Ländern.
Der Zufall hat es so gewollt
und wollte es nicht ändern.

© Willi Grigor, 2021
Aus dem Leben

Gedichtform: 
Thema / Schlagwort: