Günter Ullmann
zur Person
Günter Ullmann - * 4. August 1946 in Greiz, Thüringen; † 9. Mai 2009 (Greiz) an Krebs - war ein deutscher Schriftsteller, Maler und Musiker. Vor allem als Lyriker fand er weithin Beachtung und mit seinen Arbeiten Eingang in Anthologien. So liest ein sich karg und recht nüchtern anbietender Lebenslauf in öffentlicher Bekanntmachung, der 60 Jahre eines Menschenlebens und dessen Tragik, dessen Auf und Ab um- und einschließt, als wäre es noch immer umstellt von einer schicksalsträchtigen Mauer, die sich nie wirklich hat einreißen lassen. Lassen wir daher den Autor Günter Ullmann einige eigene „ICH ÜBER MICH“ -Worte sagen, um Breschen in diese Einschließung zu sprengen, damit sich zeigt, was dahinter an Größe, Kraft und Willen verborgen war.MEIN LEBENIn der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts tobten zwei furchtbare Weltkriege. Ich hatte Glück. Ich wurde erst am 4. August 1946 geboren, als drittes Kind von Vieren. Mein Vater war Angestellter. Meine Mutter kam aus der Landwirtschaft. Die meiste Zeit verbrachte ich mit „Tante Barth“ und „Opa“, einer Arbeiterfamilie, die im Haus wohnte. Die fremden Leute behandelten mich wie ein eigenes Kind. Die Nachkriegszeit unter ärmlichen Verhältnissen war die schönste Zeit meines Lebens. Ich lebte im Paradies und wusste es nicht. Auch meine Hohndorfer Oma liebte mich. Einmal verteidigte sie mich, obwohl ich, zusammen mit meinen Freunden, beim Kirschenklauen erwischt worden war. Schon früh erwachte mein Gerechtigkeitssinn. Der „Barth-Opa“ erzählte aus seinem Leben als Kommunist in der Zeit des Faschismus. Ich studierte jeden Tag die Zeitung und träumte davon, den unterdrückten Afrikanern bei ihrem Befreiungsweg zu helfen. Meine Mutter war Christin, mein Vater Parteimitglied.. Durch „Opas“ Bücher lernte ich auch die klassische Abenteurerliteratur kennen. In der Schule war ich der Klassenkasper. Meine Lieblingsfächer waren Erdkunde, Deutsch und Geschichte. Während meiner Mittelschulzeit verstarb mein Vater mit 44 Jahren an Herzinfarkt. Ich erinnere mich gern an ihn, er hatte so gütige Augen. Danach hatte es meine Mutter mit ihren vier Kindern nicht leicht. 1966 legte ich mein Abitur ab und erwarb den Facharbeiterbrief als Maurer. (Im Strom der Beatles gründete G.Ullmann mit Freunden eine Band / MuNBoesche).Ich übernahm Vaters Schlagzeug, sang, komponierte und textete eigene Songs. Kurz vor dem Abi begann ich mit Schreiben und Malen. Meist schrieb ich Gedichte und malte vor allem abstrakt. In der Armeezeit entdeckte ich die Expressionisten für mich. Sie nahmen Einfluss auf meine Dichtung. Eigentlich wollte ich nie heiraten. Dann traf ich meine jetzige Frau Wir heirateten 1969. Im selben Jahr wurde unsere Tochter Xandra geboren, die mit drei Jahren tödlich verunglückte. 1970 kam unser Sohn Clemens zur Welt, ein Jahr nach dem Tod der Tochter unser Sohn Kyrill. Mein großer Bruder wurde Chirurg und Gelenkspezialist. Meine Schwester heiratete einen Arzt. Ich war immer das schwarze Schaf der Familie, wünschte (aber) stets, ein guter Mensch zu sein . 1968 lernten meine Freunde und ich Ibrahim Böhme kennen. Er wurde geliebt und verehrt. Er war Erzieher und Lehrer zugleich. Er vermittelte Toleranz und Humanismus und aktivierte uns zum Widerstand. Später erfuhren wir, dass er uns auch verraten hat. Unser Vorbild war Dubcek. Wir hofften auf einen demokratischen Sozialismus. Wir waren gegen die Todesschüsse an der Mauer und protestierten dagegen, dass im Staat der Arbeiter und Bauern Unbequeme ein- oder ausgesperrt wurden. Nach dem Einmarsch in Prag am 21. August 1968 trugen wir aus Protest selbstgebastelte Abzeichen mit der Fahne der CSSR an den Jacken, ich wurde auf dem Tanzboden verhaftet.Ich arbeitete auf dem Bau. Meine abstrakten Bilder wurden als .entartet und dekadent abgelehnt. War immer im selben Betrieb tätig als Maurer, Baustellenschreiber, Ökonom Mischerfahrer, Lagerist. Der Greizer Dichter Reiner Kunze beeinflusste meinen Schreibstil und war mir Vorbild. In der Jugend setzten wir uns vor allem mit den großen Russen, wie Tolstoi und Dostojewski und dem französischen Existenzialismus auseinander. Später folgten: die Psychoanalytiker wie Freud, Fromm und Jung , Religionen, Esoterik, Philosophen Über Thomas Mann, Hermann Hesse, Stefan Zweig, Lion Feuchtwanger, Franz Kafka, Rilke, Celan und viele andere diskutierten wir in den Nächten. Literatur der DDR und BRD sowie über Solschenizyn . Über Lyrik und Malerei erarbeitete ich mir einen Überblick. lernte ich kritische junge Leute kennen. Nach Manfred (Ibrahim, MuNBoesche) Böhmes Weggang traf sich unser Diskutierclub in der Wohnung von Pfarrer Klaus Böhme. Mein jüngerer Bruder Gerhard beging im Alter von 23 Jahren Selbstmord. Seinen Tod hat wohl keiner von uns richtig begriffen. (Jürgen Fuchs wurde verhaftet, Wolf Biermann ausgebürgert, Reiner Kunze weggeekelt und Günter Ullmann in Gera Verhören unterzogen, denen er psychisch nicht mehr gewachsen war. Er litt unter Verfolgungswahn, unternahm zwei Suicidversuche und musste sich mehrfach in psychiatrische Behandlung begeben/MuNBoesche)Ich ließ mir alle Zähne ziehen, in dem Glauben, in meinem Mund wären „Wanzen“ versteckt. Man behandelte mich stationär in Rodewisch, Stadtroda und Jena und erklärte mich zum Schwerbeschädigten. Noch heute erhalte ich alle 3 Wochen eine Spritze, mit deren Nebenwirkungen ich zu kämpfen habe. (Es wurde ihm Hilfe aus Westberlin angeboten, man wollte ihn in den Westen holen, doch Günter Ullmann lehnte ab. Er wollte als Zeitzeuge bleiben, wo er hingestellt worden war. Nachdem Heinrich Böll und Günter Grass seine Gedichte in der Zeitschrift „L 80“ veröffentlicht hatten, wurde Ullmanns Frau unter Druck gesetzt, auf ihn aufzupassen, dass er keine Gedichte mehr schreibe und den Briefwechsel mit Jürgen Fuchs zu unterlassen habe. Man drohte ihr mit dem Sorgerechtsentzug für die zwei Kinder und würde ihr ihre Tätigkeit in der Volksbildung (sie arbeitete als Lehrerin) erschweren oder sogar entziehen/MuNBoesche). Als Lutz Rathenow meine Gedichte in der von ihm im Oberbaum-Verlag herausgegebenen Anthologie „EINST WAR ICH FÄNGER IM SCHNEE“ veröffentlicht hatte, drohte man mir mit Haft. Den Stasi-Akten war zu entnehmen, dass Haft und Wanzenanbringung im Haus tatsächlich vorgesehen waren.Die Wende war ein befreiendes Erlebnis für mich. Ich weiß nicht, ob ich die DDR länger überstanden hätte. Meine Depressionen haben ihre politischen und sozialen Ursachen. Nach der Wende kamen Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und die wachsende Schere zwischen arm und reich dazu. (… Ich organisierte im Kulturamt der Stadtverwaltung Lesungen, Konzerte und Ausstellungen). Zu meinem 50. Geburtstag verpasste mir die Stadt Greiz die Bürgermedaille, ein weiterer Höhepunkt war der Neujahrsempfang bei Richard Weizsäcker und Lesungen durch Ost und West und sogar nach Österreich. Nach der Wende schloss ich neue Freund- und Bekanntschaften, im Urlaub lerne ich nun auch das Land hinter dem Eisernen Vorhang kennen. Ich glaube an Gott und eine friedvolle, gerechte Welt – ich bin in keiner Kirche (in der DDR war ich evangelisch. Ich fühle mich als Demokrat und bin in keiner Partei – in der Kohl-Ära war ich Mitglied der Sozialdemokratie. Ich gehöre keinem Schriftstellerverband an. Ich bejahe die Welt mit ihren Sonnen- und Schattenseiten und wünsche jedem Menschen ein nützliches, sinnvolles, gutes und schönes Leben. Ihr Günter Ullmann (Auszüge aus: „Notizen“ Über Zeichen zum Wort/MuNBoesche-Verlag Berlin-Haifa 2003 ISBN 3-923809-81-6)