Heldensterben: Der Rock ist nicht tot - aber fast (†)

18. Mai 2016

Die Helden unserer Jugend sterben aus. In seltsam kurzen Abständen erreichen uns Todesmeldungen von Idolen, Stars, Vorbildern oder einfach nur Menschen, deren Arbeit uns inspiriert hat.

von Literat Pro
Legendary rock singer and bass player Lemmy Kilmister
Legendary rock singer and bass player Lemmy Kilmister
Mat Hayward / Shutterstock.com

Gott scheint sich eine Band zusammenzustellen und hinterlässt seine Kinder in einem tiefen schwarzen Loch, mit nichts als alten Aufnahmen und YouTube-Videos. Eine Elegie an den Rock ’n’ Roll ...

Als mich am 28. Dezember 2015 die Nachricht erreichte, dass Lemmy Kilmister einem Krebsleiden erlegen ist, brach für mich eine Welt zusammen. Ich wollte es einfach nicht glauben. Hieß es nicht, dass bei einem Atomkrieg nichts außer den Kakerlaken und Lemmy überleben würden? Keine einzige Bombe war gefallen, aber Lemmy ist tot.

Der Schock saß nicht lange tief. Spätestens seit Joe Cockers Tod, fast genau ein Jahr zuvor (am 22. Dezember 2014) war mir klar, dass auch Helden sterben. Natürlich sterben Helden auch! Sich das einzugestehen ist allerdings nicht so einfach, weil der Umstand, dass sie sterben, auch Teile unserer Illusionen, Träume und Jugend zu Grabe trägt.

Die Liste der kürzlich verstorbenen Musiklegenden liest sich nicht wie das "Who's Who" der Musikbranche - sie ist es!

Prince, Paul Kantner (Jefferson Airplane), Glenn Frey (Eagles), David Bowie (kaum, dass man sich vom Tod Kilmisters erholen konnte) - sie alle (und viele andere) hinterlassen ein Loch, das nicht wieder aufzufüllen ist. Was in den nächsten Jahren zudem alles kommt/geht, kann man jetzt noch nicht an die Wand malen. Der Lauf der Dinge wird aber weitere Lücken in eine spirituelle Welt reißen, die bald nicht mehr groß und leuchtend genug sein kann, von der widerlichen Tristesse der wirklichen Welt und ihres realen Stumpfsinns abzulenken. Was kommt nach Künstlern wie Bowie, Kilmister ... ja und irgendwann auch Burdon, Iggy Pop, den Stones oder Bob Dylan? Die Idole der heutigen Zeit taugen kaum, mit Revolverheld-Image und im Alter von über 70 Jahren die Bühne zu rocken!

Ihr solltet seinen Arsch auf die Rückseite drucken. Das würde ihm gefallen!

Natürlich will jeder etwas vom großen Kuchen sterbender Legenden abhaben, und so machen sich die Leichenfledderer ans Werk, Drucke herzustellen (bereits wenige Stunden nach dem Tod von Lemmy Kilmister gab es Drucke auf Ebay, mit Geburts- und Sterbedatum, zu erstehen), Autogrammkarten abzufotografieren oder - wie aktuell im Fall der "Bild"-Zeitung - Lemmy-Kilmister-Briefmarken in limitierter Auflage zu verkaufen. Natürlich in Verbindung mit einem Abo!

Die "Bild" verkörpert so viel von Lemmy Kilmister, wie der Papst Charles Manson sein kann. Das ist so viel Rock ’n’ Roll, wie der Sonntagsgottesdienst in einer kleinen bayerischen Gemeinde. Der Rock ’n’ Roll ist nicht tot - aber fast ... und was aus seinem Andenken gemacht wird, hat nichts mit dem zu tun, was er einmal war!

Screenshot von Lemmy Kilmister Briefmarken

Lemmy-Briefmarken von der "Bild"? Nein Danke!

Kommentare

18. Mai 2016

Ein Text, der selber rockt! Echt glüht -
Der harte, wahre Funken sprüht!

LG Axel

20. Mai 2016

Aus dem Text klingt Begeisterung für die Rock-Szene und deren 'Abgesang' durch das Sterben dieser Helden. Als Quintessenz spüre ich hier den Zorn über die geistige Leichenfledderei. So tickt unsere (Medien)welt. Vermarkten, was eben möglich ist, auspressen bis zum Geht-nicht-mehr. Das Gesicht des krassen Kapitalismus? Es gibt noch den Gegenpol. Und das ist gut so. Dieser Text regt an.
LG Monika

20. Mai 2016

Der Gedanke, dass uns "drüben" vielleicht eine Band erwartet - der hat was für sich ...
Und die Idee mit dem Arsch auf der Rückseite von Briefmarken löst Lachanfälle bei mir aus (schade, dass man die nicht mehr anlecken muss, heute ... dann würde allein DIESER Gedanke noch mehr rocken!)
LOL!!!

23. Mai 2016

Ich glaube, es gab nur eine einzige Generation, die Rockmusik hervorbringen konnte. Die Nachkriegsgeneration. Es muss ein Gefühl sein, das unsere Kinder schon nicht mehr haben.

LG, Susanna