Die Tragik des Erfolgs - Page 3

Bild von Magnus Deweil
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in Kenntnis setzte, erhalten hatte verspürte er wenig. Warum kam er zurück? Theodor merkte wie all diese Fragen ihn beschäftigten und nach Antworten suchten. Sie verlangten danach, fast schon zwanghaft. Doch sie fanden keine. Vielleicht wäre er besser zu Hause geblieben. Bei seinem Sohn und seiner Frau, die er aus unerklärlichen Gründen nicht mehr wollte. Das Zuhause, das er sich als Junge immer erträumt hatte. Er war reich, teil der Oberschicht. Als seine Mutter am Krebs verstorben war, weil die Behandlungskosten nicht bezahlt werden konnten, setzte er sich zum Ziel dieses menschliche Elend zu verlassen. Vor 13 Jahren kam der Tag an dem er von der Geschäftsleitung der Firma nach New York versetzt wurde, an dem er sich von seinem grenzwertigen Leben verabschiedete. Und jetzt war er wieder da, wo alles Begann. Es wäre eine Lüge gewesen, hätte er die Behauptung, er wäre wegen der Beisetzung seiner Tante zurückgekommen, ausgesprochen. Er musste weg, weg von dem Leben, dass er nun lebte. Er wusste nicht warum. Langeweile? Reizlosigkeit? Damit hätte er es sich erklären können. Er hatte noch Zeit bis er sich auf den Weg zur Kirche machen musste. Er nahm auf dem kleinen Hocker Platz und überlegte. Die Fragen ließen ihm keine Ruhe. Er zerbrach sich den Kopf. Über Stunden hinweg suchte er Antworten. Welche er aber nicht fand. Um 14:00 Uhr an diesem Sonntag war die Beisetzung. Sie sollte, wie geplant und in dem Brief erwähnt, um 14:00 Uhr in der einzigen Kirche im Viertel stattfinden. Der einzige Ort an dem es vielleicht noch einen Gott gab, auch wenn die meisten sogar hier zweifeln würden. Pater Ronald würde diese düstere Festlichkeit leiten. Ronald war alt. Er hatte schon damals die Taufe von Theodor übernommen. Er war ein Verständnisvoller, gutherziger Mann. Merkwürdig, dass er es so ernst mit der Religion hielt, da er doch selbst schon einige eher Unchristliche Dinger unternommen hatte. Man erzählte sich, er hätte einmal mit einer Schrotflinte den kleinen Kiosk neben dem Bahnhof überfallen. Er bekam dafür 4 Jahre Knast, eine äußerst milde Strafe. Im Gefängnis hätte er zur Religion gefunden. Ein alter Verbrecher, mit gutem Herz, war der Pfarrer eines hoffnungslosen Arbeiterviertels. Theodor wollte das Ganze mit der Beerdigung schnell hinter sich bringen. Er war kein Mensch von Traurigkeit und absolut nicht geschaffen für solche Anlässe. Bestimmt würde Pater Ronald eine Ansprache von ihm erwarten. Theodor vertraute einfach weiter darauf, dass ihn niemand mehr erkennen würde. Er betrat als letzter die Kirche. Er hatte den Weg von seiner Unterkunft zum Gotteshaus wohl unterschätzt. Früher war er alle Wege gelaufen, aber inzwischen. Er war das Laufen nicht mehr gewohnt. Alle Wege die weiter waren als zum Briefkasten an der Straße machte er mit dem Taxi, oder seinem Geschäftswagen. Das war deutlich entspannter und wirkte Eindrucksvoller. Die Tür machte ein ungeheuer lautes quietschendes Geräusch, als Theodor sie öffnete. Rechts von ihm, direkt neben dem Eingang befand sich ein leeres Steinbecken in dem sich eigentlich das Weiwasser befinden sollte. Das leere Becken verdeutlichte den Eindruck, dass es hier im Viertel schon lange keinen Gott mehr gab. Es waren wenige anwesend. Abe und Godric saßen in der ersten Bank. Sie waren wohl die einzigen die zuletzt noch Kontakt zu Theodors Tante hatten. Alle anderen waren schon verstorben, oder hatten den Glauben an Gott und die Kirche aufgegeben. Sie hatten sich geistig selbst Exkommuniziert. Theodor bevorzugte es weiter hinten stehen zu bleiben, hinter der letzten Bank. Die Kirche war klein. Theodor hatte eine andere Vorstellung gehabt. Er hatte die Kirche größer und prächtiger in Erinnerung gehabt. Früher schickte ihn seine Tante oft hier her. Immer dann, wenn er, Godric und Abe irgendwelchen Unfug gemacht hatten. Sie sollten zu Vater Ronald in den Beichtstuhl gehen und von ihren Sünden erzählen. Theodors Tante war eine gläubige Frau gewesen. Nun sollte sie hinauffahren, sie würde nur ein gutes Jenseits erfahren. Sie hätte es verdient. So malte es sich Theodor jedenfalls aus. Der Pater hielt das übliche Prozedere ab. Es entging Theodor aber nicht, dass Vater Ronald, vom Tot einer seiner längsten Besucherin, sichtlich mitgenommen war. Anschließend, stand man Schlange und warf noch einen letzten Blick auf die Verstorbene. Ein letztes Abschiednehmen. Theodor wagte sich in die Schlange die aus etwa zehn Leuten bestand. Nun fühlte er etwas. Er war traurig. Es waren wenige, zu wenige. Dafür, dass seine Tante die wohl beste Frau gewesen war, die er jemals kennen lernen durfte. Nein, nicht nur die beste Frau, der beste Mensch. Theodor bemerkte eine Hand auf seiner Schulter. „Geht’s Teddy?“ nun bemerkte er auch, dass einige wenige tränen die Wangen hinunterliefen. „Danke Godric, alles in Ordnung“ Er ging in der Schlange weiter nach vorn. Mit jedem Schritt, wurde er ängstiger. Er bemerkte wieder schmerzen in der Magengegend. Er hatte sie 13 Jahre nicht mehr gesehen. Hatte sie im Stich gelassen. Die die ihn Großgezogen hatte, ihm zu essen gab, immer für ihn da war. Jetzt war sie tot. Zu spät um sich zu entschuldigen, um sich zu bedanken. Er würde ihr ein letztes Mal ins Gesicht sehen. Ihn überkam nicht nur das Gefühl der Traurigkeit, sondern auch Hass. Ja, Hass. Hass auf sich selbst. Er war ein schlechter, egoistischer Mensch geworden. Das wollte er niemals. Er ließ die Menschen die ihn in dieser Hölle begleiteten, ihn am Leben erhielten im Stich. Seine Tante, Abe, Godric. Seine Frau die diesen egoistischen Kerl, trotz seiner Herzlosigkeit, liebte. Sogar die hatte er betrogen. So viele Menschen, die alle ein besseres Leben als er verdient hatten. Alle lebten unter schlechten Bedingungen, damit er mit dem Geschäftswagen zur nahen gelegenen Bäckerei fahren konnte. Er brach in Tränen aus, zunächst innerlich, dann so, dass alle anwesenden es sehen konnten. „Teddy, schon ok“ versuchte Godric ihn zu trösten. Aber es half nichts. Er war innerlich zerrissen. Als sie gemeinsam die Kirche verließen, hatte Theodor den salzigen Fluss der seine Augen zuvor verließ unter Kontrolle gebracht. „Bleibst doch noch n paar Tage, Teddy?“ fragte Godric. „Nein, ich denke nicht. Ich muss wieder zurück. Die Arbeit wartet, aber ich komme euch ganz bestimmt wieder besuchen. Danke, dass ihr da wart.“ Theodor wusste ganz genau, dass er nicht mehr zurückkommen würde. Er nahm es sich vor, er versuchte dagegen an zu kämpfen. Aber er wusste es einfach zu gut. „Klar, kein Problem, du bist unser Freund und deine Tante hatten wir auch gern.“ Godric war es ebenfalls klar, dass sein alter Freund nun ein anderes Leben führte, eines in dem für ihn und Abe kein Platz mehr war. „Na, i hoffe du kommst beim näxten mal nicht wegs m tot“ stammelte Abe. Er war davon überzeugt, dass Teddy eines schönen Tages wiederkommen und sie einige Biere und Kurze trinken würden. „Ja Abe, das hoffe ich auch“. So nahmen die drei, früher einmal beste Freunde Abschied von einander. Theodor ging den Weg zu Fuß wieder zurück. Durch die düsteren und zu gerauchten Straßen des Viertels. Vorbei an dem schäbigen Hotel. Es war dunkel, als wäre es später Abend. So sah es hier immer aus. Die Fabrik, der Smok ließ es nicht zu, dass auch nur ein einziger Sonnenstrahl Hoffnung in dieser Gottverlassene Gegend warf. Theodor blieb vor der Kneipe stehen und überlegte. Er dachte an einen letzten Absacker. Einen aller letzten. Er könnte es sofort beenden. Alles. Nur ein kurzer Gedanke. Er war kein Feigling. Nur ein schlechter Mensch geworden, aber kein Feigling. Er würde sich den Umständen die ihn Bedrückten stellen. Er lief weiter zum Bahnhof und sah wie sein Zug auf Gleis eins gerade einfuhr. „Zug Richtung New York auf Gleis 1“ Tönte ein Lautsprecher durch den gesamten Bahnhof. Sein Zug fuhr um 17:00 Uhr ab. In wenigen Minuten. Theodor holte eine Zigarette aus dem Etwie, dass er nach wie vor in seiner Manteltasche verstaute. Er tastete seine Kleider nach den Zündhölzern ab. Inzwischen waren diese in seine rechte Hosentasche gewandert. Er zündete sich eine an, nahm ein paar schnelle Züge die mehr brennen im Rachen, als Beruhigung hervorriefen. Er warf die Zigarette auf den Boden. Beim Einsteigen in den Zug trat er sie auf die Gleise. Er setzte sich auf den ersten freien Sitz. Der Zug setzte sich in Bewegung und Theodor wusste in diesem Moment erneut, dass er nie wieder an diesen Ort zurückkehren würde. Er war es leid zu denken. Er war müde. Es war nicht nur die vergangene Nacht allein die ihm geistig und seelisch zu schaffen machte. Es waren auch all die Fragen die offen blieben. Die Selbstverachtung die er begann zu empfinden. In diesen Selbstzerstörerischen Gedanken verblieb Theodor eine Weile, bis sie von einer eher autoritären Stimme unterbrochen wurden „Fahrkarte bitte!“ Es war der Schaffner. Theodor hielt sie schon in seinen Händen. Er hatte nicht einmal mitbekommen wie und wann er sie hervorgeholt hatte. Er übergab sie wortlos dem mächtigen Schaffner, dessen faltiges Gesicht zur Hälfte von einem grauen Vollbart verdeckt war. Nach kurzem Zögern stempelte er sie, mit Hinweis „Die ist für die erste Klasse“, ab. Denn streckte er sie Theodor wieder entgegen und ging weiter zur nächsten Sitzbank „Fahrkarte bitte!“. Nie war es Theodor so bewusste gewesen, in welcher Zweiklassengesellschaft er lebte. Eine Kastenwelt. Er war besser als der Rest in diesem Abteil. Er durfte mit einer eigentlich anders Gebuchten Fahrt, trotzdem in diesem Abteil verweilen. Aber Wehe denen, die zweite Klasse sind und in der Ersten Fahren. Erkauft. Alles Erkauft. Das Dasein eines „Besseren“ Menschen erkauft. Nein, kein Mensch. Eine bessere Existenz. Theodor tat es leid. Der Zug fuhr doch denselben Weg. Er war müde. Dieses Elend war zu viel. Er schloss die Augen, im Glauben daran, dass es nicht so schlimm sei wie er dachte, aber er wusste es besser. „Nächster Halt: Grand Central Terminal“ Theodor hatte Glück gehabt. Die Ansage hatte er vernommen, die Vorherigen konnten ihn nicht aus seinem Schlaf reißen. „Ausstieg in Fahrtrichtung rechts“

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Kommentare

01. Aug 2020

Toller Text. Danke.
HG Olaf

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