Viele Fragen an das Witchboard

Bild von Alf Glocker
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Die Nacht hat sich zu einem schwarzen Kreis um mich zusammengezogen. Die Lebenslast hat mich auf einen Stuhl gedrückt. Sie ist schier unerträglich geworden.

Vor mir liegt ein Witchboard. Ich habe es angefertigt, um in Verbindung zu treten … Einfach in Verbindung, egal mit wem oder was. Ich brauche dringend einen Rat, sei er erlogen oder erstunken, oder eben ein Hinweis auf die Wahrheit.

„Liebe Mutter, kannst du mich hören? Bist du noch irgendwo da draußen oder da drinnen?“ fantasiere ich.

Nichts geschieht! Nur die Stille ist ohrenbetäubend geworden.

Meine Stimme beginnt von neuem. „Bitte sag mir, träume ich oder wach’ ich – bin ich am Leben – was immer das auch sein mag? Und wer oder was bist du gewesen?“

Jetzt bilde ich mir ein, etwas in meinem Rücken zu spüren. Einen riesigen Schatten. Obwohl ich mich nicht umdrehe, weiß ich, dass er wie eine Gestalt aussieht – dann geht ein Ruck durch das kleine hölzerne Dreieck unter meinen sacht aufgelegten Fingerspitzen …

ICH WAR DIR LICHT, DEIN FLUCH
UND DEINE ERDE,
DEIN VATER WOLF, SOWIE DER SPRUCH
ES WERDE …

Ich kann es nicht glauben. Die Bewegungen haben einen Satz ergeben. Ich konnte kaum der geheimnisvollen Kraft folgen, die in diesem Dreieck lag. Was wird das Ganze schließlich bedeuten?

„Klär mich auf – wer bin ich?“

DU WARST MEIN SCHMERZ UND MEINE
MÜHE, MEIN SATAN, ODER EINE
VERLETZUNG, DIE ICH TRUG.
DU WARST MEIN SCHICKSAL DAS MICH SCHLUG.

Erschüttert lasse ich das Dreieck los. Es schlittert noch ein kleines Stück über den glänzenden Lack. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, ich habe am ganzen Körper eine Gänsehaut. Aber ich möchte mehr wissen …

„Du bist für mich immer existent und gegenwärtig. Bist du denn bei mir, wenn ich an dich denke?“

ICH BIN EIN BILDNIS IN VISIONEN,
SIE WAREN UND SIND DOCH NIE GEWESEN
SIE HERRSCHEN IMMER IN REGIONEN –
„VERGANGENHEIT“ IST NACHZULESEN.

Was soll das heißen? Das ergibt doch keinen Sinn! Versteht sie mich denn nicht? Ist der Kontakt zu schlecht, oder spricht sie jetzt eine andere Sprache als zu ihren Lebzeiten? Herrscht dort, wo sie jetzt ist, ein anderes Denken als hier?

„Bitte drück dich deutlicher aus.“

DIE SPUR GIBT EINER SPUR DEN STAB
IM STAFFELLAUF – GEZEITENSPIELE!
DAVOR, DAHINTER STEHT DAS GRAB
UND VÖLLIG IRRE LEBENSZIELE.

Sie muss den Verstand verloren haben. Oder habe ich ihn verloren? Habe ich denn jemals einen gehabt? Immerhin sitze ich hier am Tisch und frage ein hölzernes Dreieck über etwas aus, von dem ich nichts verstehe – über das Leben. Dabei kann ja nichts Gescheites herauskommen. Aber wenn ich schon den Verstand verloren habe, dann will ich einen Jux daraus machen.

„Meinst du denn, dass nichts ist, was ist?“
Schalkhaft kichere ich in mich hinein.

'S IST IMMER LEBEN, IMMER SEIN
UND NIEMALS ETWAS WIRKLICH: FEST!
EIN AUGENBLICK, EIN TUN IM SCHEIN
UND NICHTS DAS SICH BEWAHREN LÄSST.

Jetzt weiß ich es ganz bestimmt: Ich narre mich selbst! Es gibt keine andere Welt, in der sich die Verstorbenen befinden, da ist kein Schatten hinter mir und auch kein imaginärer Windhauch, der jetzt die Kerze zum Flackern bringt. Trotzdem gefällt mir das Spiel gut und ich möchte fortfahren.

„Was, liebe ‚Mutter‘, gibt es denn wirklich?“ sage ich zu dem Holzstück.

NUR OPFERGABEN, LEIDENSCHAFT,
NICHT WISSEN, WOZU ETWAS IST,
DAS WIR UNS LEHREN – SAGENHAFT
UND WAS WIR LERNEN: ALLES LIST!

„Soso“ meine ich belustigt. „Das hört sich ja nett an … wozu bemühen wir uns dann überhaupt?“

Darauf bekomme ich sicher keine Antwort, denke ich und schon wieder bin ich am Verzweifeln, denn während ich hier spinne, wird der Abgrund vor dem ich im realen Leben stehe immer tiefer.

DIE GANZE LIST HAT IHREN GRUND,
SIE TREIBT UNS FRÖHLICH IN DAS NETZ
UND SCHLÄGT DIE ARMEN SEELEN WUND,
DIE AUSREDE: NATURGESETZ.

Hat sie jetzt doch ein bisschen begriffen, worauf ich hinauswill? Ich habe immer noch keinen Rat bekommen, ich fühle mich doch irgendwie zum Leicht-Sinn veranlasst. Eine seltsame Geborgenheit breitet sich aus.

Ein letztes Mal lege ich meine Fingerspitzen auf das hölzerne Dreieck und stelle meine Frage nach der Beschaffenheit der Zeit, die mir nahm was ich liebte. Ich folge ihm brav, als es anfängt über das Board zu gleiten. Ich bin mir sicher: Jetzt kann nur noch Quatsch erscheinen …
Doch ich habe mich getäuscht, es formt sich ein Rätsel:

DRUM WAR ICH BALD UND WURDE NICHT
ERINNERUNG VORHER, DANN DIE TAT,
ICH HATTE VOR DIR EIN GESICHT,
DAS DICH VORAUSGESEHEN HAT.

„Ach Mutter, es ist wie im richtigen Leben, ich verstehe dich nicht und du sagst mir nichts. Ich vermisse es, mich über dich zu ärgern und ich begreife auch nicht, wie wir werden und vergehen können, ohne uns wirklich erkannt zu haben."

Die Kerze geht aus. Eine Türe ist aufgegangen und leise Schritte entfernen sich aus dem Dunstkreis der Nacht. Unter Tränen sinke ich auf dem Witchboard zusammen und versuche wenigstens das festzuhalten, was ich mir zusammengedacht habe.

Dann mache ich ernüchtert das Licht an. – Wie von selbst beginnt mein Mund zu sprechen, so als würde sich der Mensch, der ich bin, das Fleisch, das mich umgibt, ohne Zutun meines Bewusstseins artikulieren:

„Mutter, ich möchte bei dir sein.“

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Kommentare

01. Nov 2018

Auch hat dieser Text
Hier Magie gehext ...

LG Axel

01. Nov 2018

Wo SIE ist, zählt Zeit nicht mehr ... und DU – nimm dir ruhig noch ein bisschen Zeit, hier, bei uns ...
(Außerdem: Dass sie DA ist, hast du ja gemerkt und kannst du immer wieder merken. Auch ganz OHNE Witchboard.
Meine klopft mir ab und zu auf die Schulter.)