Wenn ich ein Schuhregal aufräume.

Bild von Peter_Kleimeier
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In der Zeit um Jahreswechsel habe ich gute Vorsätze und auch Zeit, jedenfalls dann, wenn mir nicht die Familienmitglieder, die mich während der Weihnachtstage überfallen, die viele Zeit wieder stehlen. Aber ich will mich nicht über Familie beschweren, manchmal wäre es besser, sich mit seiner Familie zu beschäftigen, statt gute Vorsätze in die Tat umzusetzen.
Ich habe mir vorgenommen, das Schuhregal umzuräumen. Sommerschuhe, kommen auf den Kleiderschrank, dafür nehmen die Winterschuhe den Platz im Schuhregal ein. Nun haben wir ein großes offenes Schuhregal, es geht bis an die Decke unseres Schrankzimmers.

Ja, ich weiß, ein Schrankzimmer ist ein überflüssiger Luxus und wenn es für die Geschichte nicht so wichtig wäre, hätte ich es nicht erwähnt, denn ich habe eine Schrankzimmerscham. Diese Scham kommt daher, dass wir in einem gentrifizierten Altbau wohnen, wir haben dort vor längerer Zeit eine Wohnung gekauft, also eigentlich zwei, die aber zusammengelegt worden waren, damit sie modernen Wohnanforderungen entspricht. Als man das Haus erbaute, waren die 50m2 Wohnungen für Arbeiterfamilien gebaut worden. Unter uns wohnt einer der ursprünglichen Bewohner dieses Hauses und das seit mehr als 60 Jahren, es ist ein einfacher Mann. Dieser Mann beschwerte sich eines Tages, dass wir in dem Raum über seinem Schlafzimmer (unser Schrankzimmer) immer so viel Lärm machen würden. Soviel Lärm machen wir nicht, aber das Haus ist sehr hellhörig und wenn wir mit Lederschuhen über den Holzboden laufen, dann kann man das unten sehr deutlich hören. Als er sich also bei mir beschwerte, sagte ich ganz überrascht: “Aber wir halten uns in dem Zimmer kaum auf, das ist unser Ankleidezimmer.“ Der Mann schaute mich fassungslos an und meinte kopfschüttelnd „Ein Ankleidezimmer!“ und ging wortlos davon. Von so etwas hatte er bis dahin wahrscheinlich nur im Radio gehört. Seitdem sage ich lieber Schrankzimmer statt Ankleidezimmer und das auch nur, wenn es unbedingt sein muss.

Aber zurück zu dem Schuhregal in unserem Schrankzimmer. Das Schuhregal steht da seit 10 Jahren, und ich schäme mich es zu sagen, wir haben es noch nie sauber gemacht. Also denke ich mir ‚Nun, wenn du schon Schuhe umräumst, dann kannst Du auch mal das Regal sauber machen‘. Also hole ich Eimer und Lappen und mache mich an die Arbeit. Das geht flott von der Hand und verführt mich zu dem Gedanken: ‚Bei dieser Gelegenheit kannst du auch deinen Kleiderschrank aufräumen, das hattest Du sowieso schon länger vor‘.
Gesagt, getan. Also beginne ich den Kleiderschrank aufzuräumen. Dabei stelle ich fest, dass die Schrankbretter sehr ungünstig verteilt sind und denke: ‚Das kannst du jetzt auch direkt ändern.‘

Von nun an wird es kompliziert. Ich räume den Schrank aus und wer das einmal gemacht hat, wundert sich, was dabei für Berge an Klamotten entstehen. Der Platz um mich herum wird voll und voller, was die Arbeit nicht erleichtert. Nun ist der Schrank keine billige Ikeaware, sondern ein Markenschrank. Ein Markenschrank hat den unbestreitbaren Nachteil, dass die Befestigungsvorrichtungen für die Schrankböden nicht so einfach sind wie bei Ikea, sondern höchst kompliziert. Man braucht dafür spezielles Werkzeug, sehr viel Fingerspitzengefühl und Geduld. Da ich vielleicht über Fingerspitzengefühl, aber keinesfalls über Geduld verfüge und zudem handwerklich völlig unbegabt bin, gerät das Lösen der Schrankböden zu einem Fiasko. Ich muss dazu unter jedem Schrankboden vier Verschlüsse genau in die richtige Position drehen, damit ich den Boden anheben kann.

Da man in dem Schrank kaum etwas sehen kann, ist es reines Trial-and-Error. Ich brauche dafür viel Zeit, denn zwischendurch, muss ich zweimal in den Westflügel unserer Wohnung, wo der Abstellraum mit dem Werkzeug liegt, stolpere dabei über die Berge von Klamotten, zertrete den Schuhkarton mit den Wintersocken, finde aber schließlich das passende Werkzeug. Es gelingt mir nun, bei jedem Boden drei von vier Verschlüssen zu lösen, aber der vierte Verschluss lässt sich nicht erbarmen. Ich fummele und drehe und fluche und bettele, aber er weigert sich hartnäckig. Ich werde zornig und schlage schließlich mit der Handfläche kräftig gegen den Schrankboden, was dazu führt, dass der ganze Befestigungsme-chanismus aus dem Boden des Schranks herausrutscht, Gott sei Dank ohne bleibende Schäden zu verursachen. So kann ich wenigsten die Böden herausnehmen und es bleibt nur ein drei Zentimeter großes Verschlussteil an der Wand des Schrankes hängen. Das ist praktisch, denn jetzt kann ich sehen, was ich tue, kann den Verschluss öffnen und das Verschlussteil mittels Hammer (den ich aus der Abstellkammer holen muss) wieder im Schrankboden versenken. So gelingt es mir, die fünf Böden in dem Schrank zu lösen.

Inzwischen sind zwei Stunden vergangen.
I
ch bin frohen Mutes nun das Schwierigste überstanden zu haben, bis sich mir die nächste Hürde meines guten Vorsatzes präsentiert. Bei Ikeaschränken kann man einfach den Pin für die Bodenhalterung von einem Loch ins andere stecken und fertig ist die Chose. Bei einem Markenschrank ist das natürlich komplizierter, irgendwie muss sich der Preisunterschied schließlich rechtfertigen lassen. In diesem Fall braucht man winzige kleine Metalldübel, damit die Bodenträger an der neuen Stelle hineindrehen werden können. Nun, als ich die Schränke gekauft hatte, hatte man mir eine Tüte mit Bauteilen für den Schrank in die Hand gedrückt. Schlau wie ich bin, habe ich sie im Schrank deponiert, in der vernünftigen Annahme, dass ich sie dort am ehesten finden würde, wenn ich irgendetwas mit dem Schrank mache. Aber es ist keine Tüte im Schrank. Also weder die Tüte mit den Schrauben noch die Tüte, die man dreht, um sich zu entspannen, die hat aber streng genommen im Kleiderschrank nichts zu suchen.

Irgendwo muss die Tüte (die mit den Dübeln) sein, vermutlich im Abstellraum. Ich muss leider zugeben, dass auch unser Abstellraum (der mit dem Werkzeug) in einem leicht chaotischen Zustand ist, also macht es Sinn beim Suchen auch den Abstellraum ein wenig aufzuräumen, schließlich und logisch, finde ich dann die Tüte besser. Ich mache mich an die Arbeit, Unwichtiges wird aussortiert, Dinge die zusammengehören, zusammengestellt und Dinge, die ich am wenigsten brauche ganz nach oben verfrachtet. Das Ergebnis ist sehr vorteilhaft, aber leider finde ich die Tüte trotzdem nicht.

Inzwischen sind drei Stunden vergangen.

Was tun? Es gibt nur noch eine Möglichkeit, wo die Tüte sein kann: Im Keller! Nun, sie ahnen, was folgt: Mein Auto ist jetzt voll mit Dingen aus dem Keller, die schon lange auf den Sperrmüll gehören und der Keller ist auch aufgeräumt, aber von der Tüte keine Spur. Wenn ich jetzt die andere Tüte zur Hand gehabt hätte, wäre ich vielleicht in Versuchung geraten.

Inzwischen sind vier Stunden vergangen.

Nun ging es zurück in das Schrankzimmer. Nach einigem Überlegen, komme ich schließlich auf die Idee die kleinen Minidübel mittels der Minischrauben, aus den Löchern zu ziehen und in die neuen Löcher zusetzen. Dies gelingt schließlich, auch wenn ein Stück der Kleiderschrankinnenwand dabei herausbricht.
Inzwischen sind fünf Stunden vergangen, aber ich nähere mich meinem Ziel: Ich kann die Böden im Schrank besser verteilen. Es versteht sich von selbst, dass ich den Schrank erst säubere, bevor ich ihn wieder einräume.
Das Einräumen nimmt noch einmal eine Stunde Zeit in Anspruch und dabei macht es selbstverständlich auch Sinn den Garderobenschrank gleich mit aufzuräumen. Während ich ihn ausräume, finde ich die Tüte, also die mit den Dübeln! Das ist jetzt auch egal, ich lege sie jedenfalls wieder in den Kleiderschrank, damit ich sie beim nächsten Mal wiederfinde. Wie sich die Tüte in den Garderobenschrank bewegt hat, ist mir ein Rätsel, vermutlich steckt Murphy dahinter.

Inzwischen sind sechs Stunden vergangen.

Ich gehe jetzt zu meiner Nachbarin, vielleicht hat sie eine Tüte, also die zum Entspannen.

(c) Peter K. 2020

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Kommentare

02. Jan 2020

Sehr gerne gelesen ! HG Olaf