Lebenskünstler J: Abschlussball mit roter Schärpe - Page 4

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Stadt mit viel Fachwerk und einem süffigen Wein. Man sieht sich, dein Ralf.“
Beim nächsten Gruppenabend habe ich verschissen.
Zwar fällt Markus’ Grußlächelschein zu Beginn für mich noch ab. Aber von da an schneidet er mich wie einen Feind.

Als wir in der Kneipe hocken, greift Peter ein.
„Markus, wenn dir an Ralf was nicht passt, sag ihm das direkt!“
„Warum hast du die saublöde Karte geschrieben? Was denkst du dir, wenn du so was tust? Wenigstens an deiner Intelligenz hab ich nie gezweifelt.“
„Was? Aber wieso?“
„Was gibt dir das Recht, mir nachzuspionieren?“
„Aber das hat doch mit Nachspionieren ... Du hast mal gesagt ...“

Ja, sagt Markus, und wenn er tausend Mal gesagt hätte, hätte ich noch kein Recht, von meinem Wissen Gebrauch zu machen, wenn er nicht zustimmt.
„Meine Zwecke! Ha! Was für Zwecke sollen das sein? Kontrolliert deine Mutter die Post von dir? Kannst du es dir denn nicht erlauben, einen Ralf zu kennen, der dir aus Reuenthal schreibt?“

„Darum geht’s gar nicht, das weißt du auch. Es geht darum, dass du das gemacht hast, obwohl du wusstest, dass es gegen meine Absichten ist.“
Peter zwinkert mir zu. „So ist er. Muss man wegstecken, wenn man ihn gern hat. Du hast ihn doch gern?“
Markus sagt nichts.

Kurz darauf, an einem Samstagnachmittag, überrascht er mich. Zum ersten Mal ruft er mich an. Die Nummer hat Markus im Telefonbuch nachgeschlagen. Ob er reinschneien dürfe? Er habe sich in Reuenthal eine Maxi gekauft, die müsse ich mir anhören. „Barcelona“ mit Freddy Mercury und Montserrat Caballé.

Die Caballé ist eine katalanische Opernsängerin, eine, die man kennen muss. Wie diese Verschmelzungen von Klassik und Popmusik ja oft, ist die Angelegenheit aber dann fad, eine fett aufgeschäumte Schmalzpampe, Glocken und Zeug. So der Queen-Fan war ich nie, obwohl das meinem Alter mehr entspräche als seinem.

Wenn man die Maxi gehört hat, hat man genug „Barcelona“ für die Woche. Mixe sind drauf, x Mal dasselbe Stück. Fast eine halbe Stunde Olympia. Markus nimmt es mehrmals hintereinander auf, bis beide Seiten der Cassette voll sind.

Ich mag seine idiotische Dauerbeschallung nicht. Ich mag Markus aber gern zusehen, wenn er sich so freut. Wie er sich hineinwirft in diesen Moment.
Wir trinken Kaffee. Markus sagt, er besucht mich jetzt öfter.
„Ja“, sage ich, „machen wir gleich was aus.“
Festmachen möchte er nichts. Er kommt aber wieder.

Wir schauen uns in die Augen.
Markus sagt, es besteht die Möglichkeit, dass er sich verliebt hat.
In mich. Ein kleines Bisschen. Sicher sei das noch nicht.
Man muss sehen.

„Werden kann da kaum was draus. Allein der Altersunterschied. Du stehst noch am Anfang von allem. Außerdem, ich sag das ganz objektiv, bist du viel schöner als ich. Leute, die so gut aussehen, lassen sich nicht für länger mit Leuten ein, die aussehen wie ich. Aber im Leben darf man auch Fehler machen. Sicherheit kriegst du nie, mit keinem wirst du sie kriegen. Wirst du noch sehen.“
„Red nicht! Du machst das kaputt. Um die Jahre geht es nicht. Manchmal kommst du mir unreif vor für dein Alter. Schlecht aussehen tust du nicht; das stimmt nicht. Wenn du von Anfang an alles aufs Äußere runterbrichst ... Es kommt doch auf den Charakter an.“

Einen Sonntag weiter, am Nachmittag, klingelt es.
Markus, denke ich. Aber Oliver steht vor der Tür, den ich in einem anderen Leben auch schon besucht hatte, ohne mich anzukündigen.
„Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.“

Wie damals ich ihm, verrät Oliver mir nicht, was er sich von mir erwartet. Nicht, dass man einen Grund bräuchte, einen zu besuchen, den man in der Gruppe regelmäßig trifft und seit langem achtet. Aber wenn man noch nie angerufen hat bei ihm, nie eine Verabredung hatte, braucht es den Grund vielleicht doch.

Es läutet wieder und das ist jetzt Markus.
„Na, so was! Heute versammelt sich die Gruppe bei mir.“
Oliver will gleich wieder gehen.
„Nein, nicht du bist reingeplatzt. Man könnte eher sagen, es ist Markus, der in unsere Freundschaft reingeplatzt ist.“

Markus erzählt, dass er zum Ball von der Tanzschule eingeladen ist. Er wird einen Anzug tragen, neu, Manschettenknöpfe aus Onyx, weißes Hemd, vorn dezent bestickt, dazu eine rote Fliege und, der Clou, eine rote Schärpe um seine Taille.
„Was meint ihr? Ihr, äh, könntet auch kommen. Ich lad euch ein. Oliver, das gilt auch für dich! Komm du bitte auch!“
Oliver sagt: „Ich und Standardtänze ist wie Adolf und die Juden.“
Auch ich winke ab.
„Weil ich nichts Passendes hab zum Anziehen. Weil ich dann der alte Esel bin, wo hinterher alle von dir wissen möchten, woher du einen von so weit weg überhaupt kennst. Hast du da mal drüber nachgedacht? Es ist ja nicht etwa die Waghalsigkeit, für die du berühmt bist.“

Das Wetter ist schön. Wir machen einen Spaziergang in die Weinberge. Dort riecht es nach unangenehmem Sprühzeug, Kunstdünger oder Pilzgift. Als Markus ein Stück zurückbleibt, fragt Oliver: „Du bist dir sicher, dass ihr mich dabeihaben wollt?“
„Aber ja doch! Ich hatte keine Ahnung, dass der auftaucht. Das ist nicht, wie es dir vorkommen mag.“

„Ich hab den Eindruck, mit euch tut sich hier was.“
„So? Findest du? Davon weiß ich nichts. Na ja, nichts Genaueres. Es tut sich vielleicht was. Es tut sich auch nicht das Geringste. Momentan befinden wir uns in der Konferenzphase.“
„Ralf, das sieht dir wieder ähnlich. Du bist zu verkopft. Das könnte passen mit euch.“
„Glaubst du?“
„Einen Jungen hast du immer haben wollen.“
„Ach! Da hast du Recht.“
(Bitte nie deine Kameraden um eine ehrliche Meinung!)

Wir gehen vom Berg runter und zurück in die Stadt.
Oliver verabschiedet sich, ohne dass ich erfahren hätte, weshalb er gekommen ist.

Kaum ist er weg, geht alles nur noch schief. Eigentlich ist Markus gekommen, weil er sich die Sache durch den Kopf hat gehen lassen. Zugegeben, eine Beziehung mit einem Mann hätte er gern. Ich bin einer, wo er gedacht hat, es kann was werden. Aber jetzt geht es eben doch nicht. Bald fängt sein Studium an. Im Herbst trennen uns womöglich Welten.

„Das heißt, du willst nicht? Ich verstehe dich richtig, du willst deswegen nicht, weil es technisch nicht machbar ist?“
„Außerdem bin ich nicht der Richtige. Das glaubst du jetzt zwar, aber wenn du mich kennst, hast du mich schnell satt.“
„Ich kann nichts feststellen, was mich stören würde. Natürlich wird das nicht leicht. Man muss es aber wagen. Du bist es, der sagt, es geht nicht. Eigentlich würdest du wollen, aber es ist zu kompliziert. Und das stimmt nicht. Alles ist so einfach. Man muss es einfach wollen.“
„Aber das stimmt doch nicht! Es geht nicht so locker, wie du dir das denkst.“
Markus sagt mir nicht, was er fühlt. Er speist mich mit Rationalisierungen ab.

„Ich will mit dir doch auch.“
So hat er es bis jetzt noch nie gesagt.
Wenn er will, wie kann er sich von „Gründen“ aufhalten lassen?
„Ich hab zu wenig Erfahrung. Du merkst, wie launisch ich bin. Ich steiger mich rein. Ich bin schwierig auf meine Art.“
Ich sage, es bringt nichts, Probleme sich zuvor auszudenken. Das kann man alles lösen. Nur muss man in der Beziehung ja erst drin sein. Was Objektives kann ich ihm allerdings sowieso nicht raten. Ich muss ihn nur angucken, schon will ich ihn küssen. Will ich mit ihm nackig über alle Berge hupfen.

Markus schüttelt mich von sich. Er springt auf. Er rennt zum Bett hinüber, lässt sich fallen.
„So ist das? Alles wird gut, wenn du mich kriegst?“
Was ich für einen zickigen Satz halte, wenn das einer sagt, der gerade noch beteuert hat, er hätte noch sehr wenig Erfahrung.

Er, seitlich halb liegend, giftet zu mir her,
„Das ist es, was du willst? Genau das!“
Er patscht aufs Bett.
„Am besten zieh ich mich aus. Am besten streck ich mich mal lang und schnurre: Oh, Ralfi! Pflück mich! Zermansch mich doch!“

Ich unterdrücke mein Schmunzeln, lasse mich auf der Kante nieder, einigermaßen außerhalb vom Bett, streichle seinen Rücken, ich wispere.
„Nicht! Nicht so! So simpel gestrickt bin ich nicht. Weißt du das nicht?“
So rede ich und die Worte sollen uns einander näher bringen. Aber während ich spreche, gehe ich innerlich auf Distanz zu ihm. Ich spüre es, kann es mir nicht erklären. Warum zwingt er mir so ein Getue auf? Er weiß, dass er alles hier entscheidet. Sobald er nein sagt, ist es gelaufen. Wenn er nein denkt, dann muss er gehen. Er gehört mir nicht. Wenn einer aussieht wie Markus, muss man ihn als sexuelles Objekt auffassen. Man wäre sonst bescheuert.

„Nimm jetzt mal an, da wäre einer, dem würden seine Schicksalsumstände jeden zweiten oder dritten Tag melden, dass niemand so leidet auf dieser Welt. Es tut weh, er verzieht sein Gesicht und er ächzt. „Ist was?“, fragt man. „Tut es weh? Kann ich dir helfen?“ Er hat sich zum Tanzstundenball die falsche Aufmachung ausgesucht. Und bleibt doch entschlossen, seinen kleinen Bauch mit einer roten Schärpe zu umwickeln. Alle können dann sehen, dass er eitel ist und es drauf anlegt, sie vor Neid bleich werden zu sehen. „Das ist dieser Fratz, der sich wichtig macht“, rufen die Leute. Damit es dazu nicht kommt, könnte er seine Schärpe ja aber auch weglassen, aber wozu? Weil die Menschen ihn ohne Schärpe mehr lieben? Sollte das denn nicht so sein, dass er tun darf, was er gerne hat? Sollte es nicht für alle ein Glück sein, wenn er gut aussieht und es ihm gut geht? Sollte nicht er Courage haben und dazu stehen, was er nun mal ist? Ist er das Opfer einer Mehrheit ohne Grazie und ohne so eine Courage? Von dieser Art ist die Tragik unseres ausgedachten Menschen. Als Tragik ist sie aber ganz ausweglos! Einer wie ich, der wird sich in dieses Schicksal nie einfühlen können.“

„Also wir sind uns einig! Du siehst es auch, dass ich der Fratz bin? Du hast es gerade zugegeben, aber deine innere Vorstellung von mir ist das schon die ganze Zeit gewesen. Und dann bist du halt noch geil auf meinen Körper. Du bist ehrlich und gibst es sogar zu. Aber die ganze Zeit über denkst du, ich bin dieser Fratz, der sich den Leuten andient. Wie Peter sagte: Du durchschaust uns, dir kann keiner was vormachen.“

„Stopp! Das reicht. Du bist das hier, der diese Geschichte auf so eine Art erzählt! Alles, was ich dir offen sage über mich, du hörst es dir an und hinterher drehst du es, bis etwas daraus geworden ist, das du als Vorwurf gegen mich richten kannst. Oder gegen dich selbst und das ist ja nicht besser. Du musst jetzt raus hier. Erst hab ich dir gesagt, dass ich dich gern hab, dann hab ich gesagt, dass du ein Fratz bist. Na gut. Wir reden an einem anderen Tag wieder drüber.“

Beim Gruppenabend fragt er, ob es mich stört, wenn wir gleich wieder gehen. Wir fahren zu mir.

Er hat Klarheit, hat mit Peter alles abgesprochen. Er ist der Fratz. Ich weiß es. Er weiß, ich will ihn, auch als Fratz will ich ihn noch. Aber für vernünftige Entschlüsse bin ich zu geil. Mit dem Ball war das ähnlich. Er hatte mich gebeten, ihm diese Freude zu machen. Die Schärpe, Kinkerlitzchen waren das für mich alles. Peter hat gesagt: „Gib nur zu, dass du es nicht ertragen kannst, wenn einer dich durchschaut!“

Ich fange an. Markus hält mir die Hand vor den Mund.
„Verstehst du? Das war’s. Das hat entschieden. Ich bin ein Fratz. Ich bin der Fratz, Peter durchschaut mich, du durchschaust mich, ich, Fratz, der ich bin, ertrage es nicht. Ich muss einen Menschen suchen, den ich noch beeindrucken kann.“
„Ich habe aber ...“
„Sei still! Wir machen uns nie mehr glücklich. Das kann keine Liebe sein.“
Ich reiße den Freund mir an meinen tobenden Busen. Doch der Schöne ist schon gegangen.

Ein Jahr später ruft Peter bei Georgios an. In Karlsruhe im Jubez gibt es eine Party für Studenten. Wir könnten uns treffen. Ich bin mir sicher, Markus wird dort sein.

Hinten an der Wand steht er, Markus. Schön wie immer. Charmant, distanziert. Vorn auf der Tanzfläche, die von allen gemieden wird, stehen wir drei, Georgios, Peter und ich. Markus ist hinten und er sieht her. Peter fragt nach Oliver. Oliver macht immer noch den Job im Kühlhaus. Aber mittlerweile ist er liiert mit einem. Erzieher. Das sind die im Kindergarten. Markus steht und schaut. Der wird kommen müssen, wenn Peter nicht mehr weggeht hier.

Markus kommt her. Er gibt Georgios die Hand und auch mir. Er lächelt, wie er gelächelt hat.
„Am Ende habe ich mich dann anscheinend fürs bürgerliche Leben entschieden. Verwaltungsrecht, FH. Bin immer schon ein kleiner Spießer gewesen.“
Sein Lächeln, das Lächeln der Vergebung. Wenn nicht für sich, dann doch für mich.

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