Lebenskünstler J: Abschlussball mit roter Schärpe - Page 2

Bild von Klaus Mattes
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guckt die ganze Zeit auf den Fußboden. Bob guckt ihn immer weiter an.
Oliver ist also dran.
Oliver sagt: „Bob ...“ und fängt an zu lachen.
Mein Gott, ist das peinlich! Bob hat nicht mal groß getrunken. Manchmal kann er ein Depp sein.

„Bob, ehrlich, ich, ich ... fühle mich geehrt. Ich meine, du bist ein richtiger Mann. Du hast gezeigt, was du drauf hast. Also du, ... Ich bin nur nicht so weit. Ich will dir nicht wehtun, aber ich muss ehrlich sein. Ich weiß nicht. Zur Zeit bin ich nicht offen für die Beziehung. Ich will gar keine, verstehst du?“
Alle drei sagen wir nichts.

Und dann macht Bob doch weiter. Als wäre es nicht peinlich. Abwechselnd funkelt er uns an.
Diese Veranstaltung in Kißlegg, die habe er beobachtet. In Kißlegg hat er gespürt, dass wir alle etwas gewollt haben. Keiner hat was dafür getan. Alle Jungs und Mädchen auf der Party, die haben was gewollt. Und dann? Sie sind dumm und klein gewesen.
„Aber im Leben darf man nicht zu oft dumm sein. Es zahlt sich nicht.“
Bob schenkt sich ein.

„Du, Oliver, du hast was gewollt. Das habe ich gespürt. Aber dort bist du dumm gewesen. Ralf, du hast etwas gewollt, das habe ich gewusst. Du warst lieber dumm. Ich war dort dumm. Zwischen dir, Ralf“, höre ich Bob sagen, „und Oliver, ist was, das muss noch gesagt werden!“
Ich sage nichts.

„Ralf, ich bin ein ehrlicher Mann, das wisst ihr.“
„Ja, Bob.“
„Mir ist scheißegal. Das soll ich nicht sagen, ich hab gesagt, ich liebe Oliver. Ich liebe Oliver, das ist die Wahrheit. Ralf, ich liebe dich auch. Zwischen uns, das weißt du.“
Ich starre ihn an.

Bob steht auf, kratzt seinen Bart in mein Gesicht, überschüttet mich mit Schmatzern.
„Oliver! Oliver! Komm du! Oliver auch!“
„Ja, ja, Bob, du, Bob, das war sehr emotional. Ich glaub, dabei lassen wir’s erst einmal. Das muss sich alles setzen.“

Bob sagt, in die Kneipe kommt er nicht mit.
Als er weg ist, sehen Oliver und ich uns an.
„Uff!“
„Uff!“, sage ich.
Dann nichts mehr, bis wir bei den anderen drüben sind.

Wir sitzen ganz hinten im Lokal, Oliver auf einem der Rattanstühle, ich auf der bordeauxroten Lederbank. Ein normaler Gruppenabend. Aber dann sind die anderen alle gegangen. Oliver sagt, es tut ihm leid, wenn er Menschen wehtun muss.
Bob ist nett. Ich soll’s mir überlegen. Wie’s aussieht, will der was von mir.
„Bob ist außer aller Diskussion“, sage ich. „Seit einem Dreivierteljahr komme ich nicht los von einem. Er heißt Oliver. Lustig oder?“
„Mann! Die Nacht, wo ich die Körbe austeile.“

Oliver hat gewusst, was bei mir lief, aber ich habe ja nie was gesagt. Er mag mich so sehr wie den Bob. Mit Liebe hat das nichts zu tun.
„Ich lieb sonst auch niemand. Meinen kleinen Bruder natürlich. Das kommt bei mir noch. Das weiß ich. Wenn das kommt, weiß man das. Darüber kann man nicht diskutieren, entweder oder nicht.“

Eigentlich, findet Oliver, wäre ich so etwas wie der Intellektuelle von dieser Schwulengruppe. „Nein, lass mich erst ausreden! Hab nur schon den Eindruck gehabt, dass Intellektuelle gern solche sind, die sich die raussuchen, die zu jung sind.“
Das hat gesessen. Oliver und die Intellektuellen.

Vielleicht hat Bob ja auch Recht.
Vielleicht zahlt all die Ehrlichkeit und all der Mut sich irgendwann dann doch noch aus.

Peter, der unscheinbarere, allerdings reifere von den zwei Abiturienten, ist ein Jahr älter als Oliver. Oliver ist jetzt schon über ein Jahr beim H.A.R. Immer wieder verkündet Oliver, zwar möge er Peter, aber diese Art Freundschaft, die wir uns anscheinend vorstellen, die gibt es nicht. Sie gehen Eis essen und machen Ausflüge. Immer wieder sagt einer unverfroren und ungeschützt „Ich liebe dich, ich will dich!“ und jedes Mal kommt die Antwort: „Vergiss das, in deinem eigenen Interesse, vergiss es!“

Von Montag bis Freitag klingelt bei vielen von uns der Wecker, gerne etwas zu früh am Tag. Bei Peter und Markus ist das nicht mehr so. Im Mai haben sie ihr Schriftliches gehabt. Und wir, die Referendare in der Lehrerausbildung, werden mehr und weniger hart rangenommen. Schön aber ist, dass mittwochs Kurstag ist bei uns. Dienstagabend ist Gruppe. Mit den Lehrern in der Ausbildung und diesen Kurstagen ist das wie im Leben. Immer dürstet es einen Teil der menschlichen Rasse, sich in die Nachbarschaft der Mächtigen zu begeben. Wenn nach einer Weile aber raus ist, dass zu diesen Eliten du niemals gehören wirst, kannst du die Kurstage in alter Schlafmützigkeit aussitzen.

So um eins oder ein wenig später bringen die Jungen mich dann heim. Sie haben anschließend noch über eine Stunde Fahrt vor sich; sind halt auch jung. Ach und der Bob, früher war auch er um diese Uhrzeit oft noch von der Partie; mittlerweile hat der sich rar gemacht.

In mitternächtlicher Kleeblättrigkeit finden wir nichts dabei, die Persönlichkeit eines gewissen Olivers zu beleuchten. Auf alle Fälle sei er dämlich, pubertärer, als er seinem Alter nach sein dürfe. Peter und Ralf hingegen wissen von versteckten Qualitäten dieses Bäckerlehrlings zu erzählen.

Beide Freunde aus dem Bauland besitzen ihr eigenes Auto. Meist kommen sie gemeinsam im selben; mit dem Fahren wechseln sie sich ab. Der Fahrer muss dort droben dann noch einen großen Umweg fahren, so weit wohnen die Klassenkameraden voreinander weg, nämlich beide nicht an dem Ort, den sie uns genannt hatten. Hardheim ist nur ist die Stadt mit dem Gymnasium.

Einmal sagt Peter: „Nach Buchheim werd ich dich heute noch bringen.“ Buchheim. Dass es Buchheim gibt, war mir bislang unbekannt. Solche Information sauge ich auf, weiß dabei, dass für Peter und Markus alle Klarnamen verboten sind.

Einmal frage ich Peter, ohne besonderen Grund, wie sie mit vollständigen Namen heißen.
„Also Ralf, wie du heißt, weiß ich ja auch nicht. Wenn du dort leben müsstest, wo Fuchs und Has sich Gute Nacht sagen, würdest du verstehen, dass das unnützes Wissen ist. Pass bei Markus auf! Der hat eine paranoide Seite.“
„Mir war nur nicht geläufig, was das für ein Drama sein kann.“

Nach einer Weile verschwindet Markus sowieso wieder von der Bildfläche.
Der Reserviertere war er immer. Den sehen wir wahrscheinlich nie mehr hier. Schade, war ein lieber Kerl.

Doch das ändert sich noch mehrmals, hin und zurück. Erst kehrt Markus zurück, dann ist er eine Zeitlang

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