8103 Zu Besuch bei den Linken

Bild von Klaus Mattes
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Die Linke in Baden-Württemberg. In ihrer Diaspora. Die Leute im Land kannten vor der Wahl keinen außer Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Klaus Ernst. Alle drei zählten nichts in diesem Bundesland. Ernst natürlich für die Gewerkschafter vom Daimler, aber sonst! Was den Saarländern ihren Oskar einstmals ans Herz gedrückt hatte, man wusste es nicht.

Kurz vor der Wahl ein Auftritt von Spitzenmann Ulrich Maurer. Es hatte den Anschein, als wäre außer mir kein einziger Zuschauer gekommen, der sich nicht vorher schon im Dunstkreis der Partei aufgehalten hätte. Eine Person war wohl die Presse. Da war ich mir nicht schlüssig. Notizen machten sich mehrere. Es war Winter und kalt und dunkel und in einer brutalistischen Betonhalle im Vorort. Die sie keineswegs gefüllt hatten. Das war nur die Gaststätte von der Halle. Weit und breit sonst alles leer und still, als hätten wir Ausgangssperre.

Ich bin früher schon mal bei einer Rede von Oskar Lafontaine gewesen, als der noch bei der SPD war und als Kanzler zur Wahl anstand. Geschätzt 1500 Besucher. Und hier, falls ich sehr gut aufgepasst habe: 25 Besucher, davon waren 22 Mitglieder der Partei. Was mich immerhin davor schützte, erkannt bzw. ertappt zu werden. Meines Wissens hatte ich noch nie einen der Anwesenden leibhaftig vor mir gehabt.

Den Uli Maurer hatte ich vor etlichen Jahren öfters im Fernsehen gesehen. Über zehn Jahre war er der Chef der SPD Baden-Württemberg gewesen. (Fürs MP-Kandidatenstrahlen gab's damals den Kollegen Dieter Spöri, welcher sich späterhin seitlich in die Büsche schlug und Lobbyist für irgendwas wurde; bei einer Wirtschaft wie in Baden-Württemberg dürfte man nicht verkehrt gehen, wenn man Richtung Individualverkehrsfahrzeugfertigung tippt.) Ulrich Maurer war fast zehn Jahre Fraktionsvorsitzender im Landesparlament gewesen, in seiner Geburtsstadt Stuttgart. Beim Kampf ums Amt des Oberbürgermeisters war er Manfred Rommel unterlegen.

Was ich am Linken-Abend sah: nicht die manischen Weltverbesserer, auf die ich gefasst gewesen war. Vielmehr sah das schlicht nach einem Klüngel von Berufsschul-, Gymnasiallehrern und Gewerkschaftern aus. Von denen lebte bestimmt niemand von Hartz IV. Die hiesige Linkspartei erreicht die Masse der hiesigen Hartz-IV-Verarmten nicht. Ihnen ist der Klub egal. Kam mir bisschen so vor, als wäre ich bei Grünen und solchen von der SPD. So die Sorte Mensch. Mit dem Unterschied, dass durch manche Wortmeldung dieses Ennui, hach, wir schaffen es sowieso nicht, wehte, auch die Verletztheit, wir hätten es aber doch vor allen anderen verdient. Ein beleibter Fünfziger fasste es in die Worte: „Wir sind ja die Guten.“

Zuvor hatte Maurer gesagt, die guten Werte von der Demoskopie, die von den Medien verbreitet würden, die könne man sich einkaufen. Dazu wäre er lang genug im Geschäft. Obwohl er es so gesagt hatte, fügte er später hinzu: „Wir liegen momentan bei 4,9. Vielleicht schaffen wir es noch.“ Was Maurer von seinen Erfahrungen berichtet hatte, nahm der Beleibte sich zu Herzen und, an Peinlichkeit kaum zu schlagen, streute er von da ab Seiteneinwürfe wie: „Warum machen wir es nicht auch so? Warum kaufen wir die Zahlen nicht auch?“

Der Mann Maurer kam mir doppelbildlich vom Leben abgeschliffen vor. Zugleich hoch energetisch sprunggeschnellt und dennoch früh abgebrannt, als Anfangssechziger. Ich verstand nicht, was ihm wohl zusetzte. Eine schleichende Nervenkrankheit oder vielleicht Rückfälle mit legalen Aufputschmitteln? Man konnte nichts sagen, doch stimmte da was nicht.

Seine Performer-Qualitäten waren astrein. Sie schlugen jeden anderen im Raum. Man nahm ihm das ab, wie er sich selber erzählte. Der schwäbische Kerle. Dennoch Katholik und in der Jugend Ministrant gewesen. Maliziös winkte er mit der Peperonischote: Frau Merkel wäre zu jener Zeit Propagandaleiterin von der Freien Deutschen Jugend drüben gewesen. Es schien so richtig nicht aufzugehen. Müsste nicht selbst zu Ulis Jugendzeit die Dame schon mehrere Jahre jünger gewesen sein?

Übrigens sei auch der bekannte Kommunist Helmut Kohl für die soziale Absicherung des deutschen Normalbürgers eingetreten und hätte Dinge erhalten, für die seither nur noch die Linken sich stark machten. Die SPD mache nicht mit. Die CDU auch nicht mehr. Die Linken hätten in Berlin Vorlagen eingebracht, die sie bei der republikanischen Gesetzgebung unter US-Präsident Bush Junior abgeschrieben hätten. Im Verbund hätten es SPD und CDU abgeschmettert.

Der politische Standort seines alten Kumpans Sigmar Gabriel lasse sich so leicht bestimmen wie jener der munteren Forelle im Gebirgsbach. Er konnte nicht schlecht vom Leder ziehen, hatte den Wahlkampf drauf. Mich beschlich Mitleid, dass seine winterlichen Abendausfahrten mittlerweile auf derartige Zwergschulen zielten.

Nachdem dieser Redner und Beauftragte für den Parteiaufbau West das Lokal verlassen hatte, führten seine Anhänger sich wie Schüler auf, deren Lehrer den Unterricht schwänzt. Die Wahlkreiskandidaten versuchten, einige Punkte zu verdeutlichen und zu diskutieren, da standen aber schon Leute auf, um an der Theke die Zeche zu zahlen. Simultan zum Podiumstisch wurde längst allenthalben paarweise sich ausgetauscht, ungedeihlich angehörs der winzigen Restzuhörerschaft.

Die zu Wählenden wurden launig auf die Schippe genommen. Einen Moderator hatte man nicht bestellt, vielmehr versuchte die erste Kandidatin diese Funktion mitzuversorgen. Jener Typ, der ihr ständig ins Wort fiel, war, falls ich richtig kombiniert habe, Kandidat der Linken aus dem Nachbarwahlkreis, also, falls er das war, ein Betriebsrat der Elektro- oder Metallindustrie, bzw. von den Autozulieferern.

Alle scharrten mit ihren Füßen. Bis zehn wollen sie daheim sein, dachte ich, als Lehrer muss man früh wieder raus und gleich aufnahmefähig sein.

In der Pause, als Maurer ging, und später dann noch, als der Abend beendet war, stand ich rauchend vor dem Lokal und konnte sehen, dass Uli Maurer sich von einem Parteigenossen zum Bahnhof bringen ließ. Ich selbst benutzte den Bus, der um dieses Stunde ganz leer fuhr, sodass ich sehen konnte, das außer mir keiner von der Linken-Wahlveranstaltung einstieg. Klar, ich hatte sie ihre Privat-Pkws ansteuern sehen. Es handelte sich fast nur um um Einzelautofahrer, pro Motor einer.

Ganz, ganz übler Abend. Ich wählte sie dennoch und war einer von jenen 2,9 Prozent, als welche sie zum Schluss herauskamen. Welches grün-rote Chaos in den anschließenden fünf bis fünfzehn Jahren übers Land brechen sollte, ich hatte es mir nicht auserwählt. Ich konnte dagegen sein.