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der einzige, der kommt. Peter und Markus haben Knatsch.
Markus, er wäre recht. Nur leider ist er so schön. Und er ist fast zehn Jahre jünger als ich. Er stammt aus vermögendem Milieu. Markus, das ist das Grazile, das Empfindliche, das Beste des Weiblichen in der perfekten Verpackung männlicher Jugend. Ihm scheint’s im Blut zu liegen, den Leuten zuzulächeln und ihnen zuzuhören, als hätten sie ihm was mitzuteilen. Jetzt allerdings, seitdem Peter wegbleibt, bin ich vielleicht sogar der Einzige in dieser Gruppe, an dem ihm wirklich liegt.
Er platzt heraus, mir alles zu erzählen, was ihm in der vergangenen Woche passiert ist. Dabei habe ich bislang immer gehasst, wenn sie den offiziellen Programmteil der Gruppentermine mit solchen Alltäglichkeiten zugelabert haben. Dafür war genug Raum im anschließend dann folgenden Kneipenteil des Abends.
Was ich auf keinen Fall brauche, ist eine zweite Nacht der Körbe. Intellektuelle und ihre Hinneigung zum kleinen Bürschchen!
Als Peter zur Gruppe wieder zurückfindet, wird alles wieder ein bisschen entspannter und gewohnter.
Momentan wird ein Geschehensbelebungsversuch noch mal neu angefahren, den ich zu meiner Zeit schon habe platzen sehen. Zwecks Fitness und körperlicher Schönheit werden fakultative Abende im Reuenthaler Hallenbad ausgemacht. Duschengehen mit einem Aktionskreis emanzipatorischer Homosexueller kann, nüchtern erwogen, allerdings nicht groß Sinn machen. Keine Überraschung mithin, als am ersten Schwimmabend nur Markus, Peter und ich die Gruppe vertreten. (Oliver ist genug oft außerhalb der Gruppe mit Peter zusammen, deswegen lässt er das hier aus.)
Die beiden Schätzchen sind in ausgeschnittenen, kometenhaft sprühenden Textilstreifchen zu bewundern. Alle zwei von schmaler Statur, ungefähr gleich groß, fast so groß wie ich, jedoch ohne Behaarung und aus schnittigerem Fleische. Die unverwundbare Haut dieser Unter-Zwanzigjährigen. Wie im Gesicht ist Peters gesamter Körper knochig, viel mehr Ecken als Schwellungen. Nicht nur im Gesicht, sondern natürlich am ganzen Leibe ist Markus aus dem Stoff des Ikarus oder vom Ganymed. Mit Sebastian würde ich ihn eher nicht vergleichen, den hat man sehr athletisch abgebildet, fast plump zuweilen.
Hinterher geht’s in die Kneipe und geht’s dieses Mal nicht um Oliver, sondern um Markus. Der, so sagt er selbst, ist ein doppelter Markus.
„Ralf, pass auf! Er glaubt, du bist Seelenkenner. Deshalb musst du jetzt für ihn herhalten.“
Dass der zarte Markus so scharf schneidend losfahren kann! Schon schaut die Kneipe zu uns rüber.
„Ich habe“, sagt Markus, „noch niemals meinen Respekt für einen anderen im selben Ausmaß eingebüßt, wie ich ihn gegenüber mir selbst inzwischen verloren habe.“
Das klingt tragisch. Mir würden eine Menge Leute einfallen, denen es mal so gehen sollte.
„Ich bin nicht der eine Markus, den ihr zu kennen glaubt. Es gibt den Markus zwei Mal. Begreifst du? Ich täusche die Welt! Ich täusche dich. Da gibt es diesen jungen Mann, den alle so mögen. Der Schüler mit den super Noten. Er treibt Sport, engagiert sich für seinen Verein, er hat Freunde.
Es gibt in Badisch Sibirien dieses weiße Haus. Oben am Hügel über einem Tal mit nichts als Nadelwald. Dort wohnt die Familie Mustermann. Jeden Tag spielen sie sich selber. „Schenken Sie uns Zuneigung, wir sind die Mustermanns!“
Wir sehen Herrn Mustermann und in Heilbronn treffen wir in der Fußgängerzone auf einen Juwelier Mustermann. An Herrn Mustermanns Seite lächelt die Gattin Mustermann. Wir sehen sie eine größere Gesellschaft auf der Terrasse hofieren. Wie sie den Tee nachschenkt, wie sie Kontrollblicke abschießt auf den Schmuck-Kaufmann, den sie nicht hingebogen kriegt. Immer wird er ein Bauerntrampel sein. Frau Liesch setzt ihre Hoffnung in den Sohn, ihren Markus. Sie zupft ihm das Haar. Der Klassenprimus, der Pokalgewinner. Zwar ein Schwuli, sie weiß natürlich Bescheid, was im Haus los ist, verliert aber niemals die Beherrschung.
Aber jetzt tritt Markus Zwei auf den Plan. Ein Monster, das gelächelt und sich gedacht hat, ich find euch zum Kotzen. Schmuck, Pokale, das Boot auf dem Bodensee, die Society von Badisch Sibirien, ein Witz!“
Ich gestehe Markus diesen Grimm aber nicht zu. Klar, sein Leben ist nicht fertig. Eines Tages wird er eine gute Position einnehmen, wird Geld verdienen. Reisen wird er, Menschen rund um den Globus treffen, seinen Spaß haben.
„Wenn du’s durchdenkst, erkennst du, da sind so viele, die mit dir tauschen wollen.“
„Was ich immer sage“, sagt Peter.
„Auf eure Art habt ihr Recht“, mault Markus, „aber deswegen geht es mir ja nicht besser.“
Markus bringt mich nach Hause und fragt, ob er mit rauf darf.
„Oder bist du müde und willst schlafen?“
„Nein, schon recht. Dann siehst du die Wohnung.“
Er hat ein Fotoalbum dabei, das möchte er mir zeigen.
Auf den Bildern finde ich nichts, was Markus’ Schreckensbild von der Familie Liesch rechtfertigt. Hübsch ist das Haus. Noch größer, als ich dachte. Allerdings geschmackloser möbliert, als ich erwartet hatte. Bei allerlei Festlichkeiten ein graziler Jüngling. Unbefangen albert er. Wie jung diese Eltern sind! Die Mutter schaut patent aus, alles andere als dumm, überkandidelt ist sie nicht. Sein Vater, bulliger Typ mit braunem Bart, rustikal für den Juwelierberuf, aber Kerl zum Pferdestehlen.
„Auf’m Segeltörn. Das war mit Freunden von meinen Eltern, auf dem Mittelmeer, Yacht in San Remo, stinkreich, dagegen sind wir arm. Guck das nicht an! Da seh ich aus wie ein Konfirmandenbub.“
Nein, du siehst aus wie ein ziemlich großer, unglaublich schöner Bub. Der kleine Sportsfreund im blau-weiß geringelten Matrosenpulli. Das warst du, als ich nicht ahnte, dass es dich gibt.
Am Dienstag fehlt Markus. Ich schicke eine Karte, auch wenn er das nicht mögen wird. Vorn ist der Blumenpeter von Reuenthal drauf, hinten ein Gruß von „Deinem Ralf“. Wenn wer fragt, soll er sich dazu was ausdenken.
Buchheim und auch Heilbronn sind nicht im Telefonbuch. Aber auf der Post kann man alle Telefonbücher der Republik nachschlagen. Ungefähr hundert, sie hängen den Nummern nach an Ketten. Dabei kommt es dann so, wie ich erwartet hatte. Heilbronn ist zwar eine größere Stadt, aber der Name Liesch kommt nur ein einziges Mal. Und das ist ein Juwelier und mit Vornamen heißt er Gerhard, Gerhard Liesch. Auch in der Gemeinde Buchheim gibt es nur eine Familie Liesch. Lerchenstraße 11. Die Gattin heißt Inge. Die Postleitzahl steht im Postleitzahlenbuch.
„Hallo Markus! Ich hoffe, du verlebst schöne Tage, jetzt, wo du schulfrei bist. Bestimmt habt ihr tolles Wetter. Ich bin in Reuenthal. Kennst du das? Eine herrliche