>> Wenn man ein netter Mensch ist, tut man das nicht.
> Sagt das jemand?
Galerie meiner 125 Parkgänger-Typen, hier Blatt 87: „Bisexueller aus der unteren Mittelschicht.“
Er ist nicht schwul, schwul ist er auch nie gewesen, er wird es nie mehr werden. Er hat seine „Partnerin“, mit der er Nachwuchs zu zeugen gedenkt. Er ist Spritzlackierer oder Lkw-Fahrer. Er ist wirklich unkompliziert und hat männliche Freunde, die ebenfalls nicht schwul sind. In schwulen Lokalen verkehrt er niemals, Saunen und Discos auch nie. Sexläden wie Beate Uhse gehen eher. Er mag keine Tunten. Männer in Frauenkleidern aber auf eine Art schon, nur nicht dieses aufdringliche, ordinäre Gehabe. Er arbeitet viel und gern. Ansonsten hat er ein unglaubliches Hobby wie Giftspinnen oder Eierbecher sammeln oder einem einzigen Fußballverein durch die Republik folgen.
In unseren Park tritt der Bisexuelle sehr spät erst ein und nur nach langen Pausen seiner Abstinenz. Bisweilen etwas angetrunken. Er rennt so flugs, dass möglichst keiner da drin ihn sich einprägen und später irgendwo wiedererkennen könnte. Mit großer Kapuze, gesenktem Kinn, Stehen in finsteren Ecken. Falls er beim Wechseln von einer finsteren Ecke zur anderen dem Schwulen im Laternenschein begegnet, dreht er das Gesicht fort und fasst sich mit der Hand dorthin. Er mag Topfigur haben und ein hübsches Gesicht, ist aber durchaus nicht drauf eingestellt, dass ihm die gesamte Belegschaft hinterdrein laufen muss, wie sie es doch bei jedem gut Aussehenden, noch Unbekannten machen. Er kann aggressiv werden, um das abzuschütteln.
Bevor er sich für einen entscheidet, will er das Angebot kurz noch überblickt haben. Nach dem Überblick bitte keinerlei Vorgeplänkel mehr! Wenn er will, hat der, mit dem er will, auch zu wollen. Verhält das Gegenüber sich irgendwie ratlos, wo er doch soeben Zeuge wurde, wie dieser Bisexuelle aus der unteren Mittelschicht die Verfolger bedroht hatte, schert er auffällig ein auf den Weg vor ihm, geht immer langsamer, bleibt stehen und zwar mehrmals so. Der Dümmste muss merken, dass er was zu tun hat. Also geht man hin, streckt die Hand aus, berührt ihn kurz und wird angeschnauzt: „Willsch mi ficke?“
Der Schwule wägt ab, ob ihm ins Gesicht geboxt werden wird. Er zögert immer noch. „Was isch denn? Willsch oder willsch ned?“ Auf solche Art begibt sich „das Unabänderliche“, wie Thomas Mann zu sagen pflegte.
Unabänderlich ist da so einiges. Dass man den Bisexuellen aus der unteren Mittelschicht niemals küssen kann, dass ihm Zärtlichkeiten unangenehm und auch zu schwul sind, dass er fast nie blasen wird, aus Vorsicht oder aus Ekel, man weiß es nicht, allerdings erklärt: „Ich lass mich gern mal verwöhnen.“ Wenn im sexuellen Geschiebe nicht bald jene Stelle erscheint, an welcher der Bisexuelle aus der unteren Mittelschicht durchgefickt wird, ordnet er an: „Fick mich! Steck en mol nei!“ Kondomgebrauch gilt als lästig. Fürs Blasen benützt man Gummis unter Umständen schon, nicht jedoch fürs Ficken. O, du manche Frau, wenn du ahntest, was der süße Heiner da so treibt! Aber klar, sie sind alle sehr vorsichtig. Sie sondern die Tunten aus. Und von den anderen nehmen sie nur welche, die solide, sauber und verlässlich erscheinen. Das ist meine Stunde.
Sobald er gespritzt hat, wird der bisexuelle Adonis sich, zwei Sekunden später, komplett entfernen, ohne noch einen Satz zu sprechen. Egal, womit man als Partner beschäftigt sein mag. Allein darum schon empfiehlt sich, ihn nicht bis zum Schlusse zu blasen, sondern zuvor zum AV überzugehen. Das bringt die Wahrscheinlichkeit mit sich, dass der Bisexuelle nicht spritzt und deswegen weiter wartet. Und solange hat man ihn eben.
Falls zufriedenstellend gefickt wurde, sind die Chancen enorm hoch, nach Wochen oder Monaten, wenn es ihn wieder in den Park verschlägt, vom Stand weg auserwählt zu werden. Die Chancen sind eher null, wenn der Fickvorgang nicht gelungen war oder abgebrochen werden musste. Er zieht die Hose hoch und ist gleich weg, aber dich hat er sich gemerkt.
Parkgänger dieses Typs bringen etabliertere Besucher zur Verwunderung, weil sie sich benehmen, als ob die Marktgesetze keinerlei Gültigkeit hätten. Ob jemand jung oder schön, neu oder schlank oder bestbestückt ist, es scheint auf einmal keine Rolle mehr zu spielen.
Sein „Willsch mich ficke?“ setzt umso mehr in Erstaunen, als die anderen Parkbesucher oft nicht mittels gesprochener Worte kommunizieren. Es sei denn, sie befänden sich in einem Kaffeeklatschkränzchen. In den Kaffeekränzchen findet Sex nie statt und er wird nie hervorgehen aus einem.
Steuert einer weg von jener Stelle, wo sie alle versammelt sind - üblich ist, dass alle sich an einem einzigen Fleck aufhalten, da hat man schnellen Zugriff auf alles, was sich ergeben könnte, und beschützt sich gegenseitig vor Angreifern, geht der weggehende Bisexuelle nicht sehr weit fort, sondern setzt sich auf eine Banklehne und blickt so hinaus, jedenfalls nicht jenen direkt an, der ihm hinterher gelaufen war. Dennoch besagt es, dass er jetzt angefasst, sexuell eindeutig angemacht sein möchte. Sobald das aber klar ist, können auch Worte fallen wie: „Auf was stehst du?“ Auf diese Frage gibt es in 102,1 Prozent der Fälle nur eine richtige Antwort: „Ich fick am liebsten.“ Oder man kann es noch so ausdrücken: „Ach, ich bin eher der Aktive“.
Es sollte einem klar sein, dass diese Herren sich kein bisschen interessieren, was man selbst sexuell etwa mögen könnte, vielmehr wissen sie doch sehr genau, was sie bekommen wollen, es geht nur darum, dass sie den Treffer zuvor abgleichen. Der schwule Parkgänger spricht einen vergleichsweise selten dermaßen offen an. Er rennt lieber fünf Mal weg, bleibt dann wieder stehen, lässt sich anfassen und rennt auch wieder weiter. Der Bisexuelle aus der unteren Mittelschicht steht auf seinem Standpunkt, man weiß ja, was man braucht und kann es sich also auch holen. Du bemerkst eine gewisse Plumpheit und fehlende Raffinesse bei allem, siehst vielleicht auch, dass es unter den obwaltenden Umständen so unpraktisch nicht ist.