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Irmhild traf Regentag zusammen mit dem Kunstsammler, der eines seiner ungemalten Bilder aus der Serie Überraschungskunst gekauft hatte, zufällig in einem Café. Bald nach einer überschwänglichen Begrüßung mit „Hallo, Bussi usw.“ erfuhr sie, dass die Gattin des Sammlers einen folgenschweren Haushaltsunfall hatte und eben in diesen Tagen mit komplizierten Brüchen im Krankenhaus liegt.
Und weil ein Unglück nicht selten alleine kommt, sagte der Sammler, fällt nun auch unser schöner Urlaub aus. Übermorgen sollte es für zwei Wochen nach Montego Bay gehen. Meine Frau hat sich so sehr darauf gefreut und jetzt liegt sie in der Klinik, da könne er unmöglich in den Urlaub fahren und sie in ihrer misslichen Lage alleine zurück lassen. Schade, sagte er, der Urlaub ist bezahlt und verfällt. Kennen Sie zufällig jemand, der auf die Schnelle Lust auf Jamaika hat? Zu einem symbolischen Preis, eventuell? Sie beide, vielleicht?
Zu Regentag hingewendet meinte er weiter: „Sie, lieber Regentag, könnten uns doch z.B. als Andenken ein kleines karibisches Landschaftsbild oder ein kleines karibische Stilleben mitbringen. Meine Frau würde sich für ihr Unglück entschädigt fühlen und sich darüber mindestens so sehr freuen, wie über das Überraschungsbild, das Sie anlässlich ihres Geburtstages in unserem Haus gemalt haben. Da ist ja auch schon so was Karibisches in seiner lebendigen Farbigkeit und mit den starken Kontrasten drin“, fügte er noch motivierend hinzu.
„Ich würde sofort fahren“, warf Irmhild plötzlich ganz aufgeregt ein und erzählte, dass sie an einer Dissertation über Ursprung und Strömungen des Reggae arbeite, aber nicht recht weiter komme, weil sie nach einer authentischen Informationsquelle suche. Jemanden, der die Entwicklung selbst mitgemacht und mitbestimmt hat, würde sie auf Jamaika aufsuchen und interviewen wollen und sie wüsste auch wer das sein müsse. Nämlich niemand geringerer als der berühmte Lee „Scratch“ Perrry, ein jamaikanisches Original, ein echter Soundwizzard und ein philosophischer Rastafari dazu. Er ist der Erfinder des Raggae und musikalischer Ziehvater von Bob Marley, wie auch von andern. Es gäbe da wahnsinnig viel zu ermitteln, und nur dieser Lee Perry kenne die Rocksteady. Dub und Ska-Music, wie auch alle anderen Strömungen auf das Genaueste.
Regentag schaute Irmhild kurz und bewundernd an, dann wandte er sich zum Sammler hin und sagte: „An mir soll die Doktorarbeit nicht scheitern, ich helfe wo ich kann!“ Der Sammler zelebrierte sofort mit grösster Freude seine Zustimmung und Zufriedenheit darüber, dass er zwei Künstlern fördernd zur Seite stehen dürfe, er ermahnte aber ebenso Regentag aufs Eindringlichste, ja nicht seine Malsachen zu vergessen. Denn, weder er noch seine Gattin, hätten für solche Schlampereien Verständnis, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu!
Die ersten Tage im Montego Bay verbrachten Irmhild und Regentag zur Eingewöhnung auf dem Gelände ihrer luxuriösen Hotelanlage, die sich an einer traumhaft gelegenen Bucht mit weissem Korallensand erstreckte. Es gab auch mehrere Pools in allerbester Ausstattung, Cafés, Restaurants und überall Personal, von dem zu vermuten war, dass es die Kunst des Gedankenlesens beherrschte, denn sie waren immer genau zu dem Zeitpunkt, an dem man einen Wunsch hatte, freundlich lachend zur Stelle und erledigten jeden Auftrag unverzüglich. Nur auf die Frage nach dem Wohnort von Lee „Scratch“ Perry wussten sie keine Antwort, versprachen aber immer sofort jemanden zu suchen, der Lee Perry gut kenne. Leider konnte die betreffende Person nie ausfindig gemacht werden und Irmhild machte sich Sorgen, ob in Montego Bay überhaupt jemand Lee Perry kennen würde. Sie erinnerte sich an den Ortsnamen Negril im nahen Westmoreland, wo er in den 70er Jahren gewohnt haben soll.
Gemeinsam fuhren sie am nächsten Tag dort hin und fanden einen typischen Touristenort mit einem unendlich lang erscheinenden Traumstrand an dem sich kleinere, aber durchaus luxuriöse Hotels wie an einer Perlenkette aneinanderreihten. Auf der anderen Seite entlang der Küstenstraße erstreckten sich diverse Souvenierläden mit den üblichen T-Shirts mit oder ohne Usain-Bolt-Siegerpose, Baseballkappen und kunsthandwerklichen Andenken mit Jamaikamotiven bedruckt. Alle Fragen nach Lee Perry, dem Erfinder des Reggae, wurden jedoch nur mit Schulterzucken und der Erwähnung des Namens von Bob Marley beantwortet. Als sie in Rick's Café der Bedienung die selbe Frage stellten, schaukelte diese mit dem Kopf hin und her und sagte zögerlich:„ V-i-e-l-l-e-i-c-h-t habe ich den Namen schon mal gehört. Ich hole mal unsere alte Küchenhilfe, die könnte etwas wissen.
Es erschien eine weißhaarige Greisin, die mit abwinkenden Handbewegungen sagte: „Das ist lange, sehr lange her und er war ein richtiger Hallodri, immer nur Tanzen und Musik im Kopf. Zur Arbeit war er sich zu fein, deshalb hat er sein Glück in Kingston gesucht. Er ist nach Kingston gegangen, seit vielen Jahren schon, nach Kingston. Ich glaube, er ist jetzt berühmt und hat ein Geschäft. Ein Musikgeschäft natürlich, was sollte es auch sonst sein. In Kingston ein Musikgeschäft, sagte sie nochmals als sie mit schlurfenden Schritten wieder in ihre Küche zurück ging.
In Kingston, wohin sie gleich am nächsten Tag gefahren sind und im Hotel eingecheckt hatten, forschte Irmhild natürlich sofort nach Lee Perry. Die Freundlichkeit des zumeist jungen Personals war phänomenal, leider hatten sie aber den Namen Lee Perry oder Lee„Scratch“Perry noch nie gehört. Sobald jedoch der Begriff „Reggae“ fiel, wussten sie sofort Bescheid und beschrieben ihr den Weg zum Bob Malrey Museum an der Hope Road auf das Genaueste. Der Besuch des Bob Marley Museums erwies sich, wie fast erwartet als wenig nützlich, weil es eben ein Museum zu Ehren von Bob Marley ist und sich darin, trotz angestrengter Suche und Rückfragen beim Personal keinerlei Hinweise auf Lee Perry ergaben.
Irmhild war in Anbetracht der kurzen Zeit, die ihr noch blieb, um an das für sie und ihre Arbeit so bedeutende Interview zu gelangen in allergrößte Sorge geraten. Es war ihr klar, dass sie jetzt systematisch alle Straßen nach Plattenshops und Musikalienläden durchforsten werde müsse, wenn man ihr im Hotel nicht bessere Informationsquellen nennen könne. Eine hilfsbereite Rezeptionistin, deren Vater ein Rikschakuli ist, hatte die Idee an dessen Rikscha links und rechts und hinten Plakate mit einem Suchaufruf anzubringen und mit dem Ortskundigen erst einmal alle Straßen abzufahren in denen Musikgeschäfte angesiedelt sind. Tatsächlich
Kommentare
Gut geschrieben - dazu Musik
Steckt ebenfalls im starken Stück!
LG Axel
Cool erzählt und wirklich angenehm zu lesen. Ich verstehe nur nicht, warum es am Schluss "avec moi..." und nicht "chez moi" heißt?? LG Tanja
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