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meldete sich schon am zweiten Tag ein Passant, der zwar nicht wusste, wo Lee Perry zu finden sei aber Angaben über einen nahen Verwandten machen konnte. Er nannte den Namen der Strasse in der dieser ein Souveniergeschäft betreibt.
Es stellte sich heraus, dass es sich ausgerechnet um jenen kleinen Laden mit den Ansichtskarten- und T-Shirt-Ständern links und rechts der immer offen stehenden Eingangstüre, genau auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Hotel, in dem Irmhild und Regentag abgestiegen waren, handelte.
Als Irmhild in den kleinen Laden hinein trat, vernahm sie, noch bevor sich ihre Augen der Dunkelheit anpassen konnten, Raggaerhythmen aus einem verborgnen Lautsprecher. Ein älterer Jamaikaner mit einer Mähne aus Rastalocken, die bis auf die Schulter reichten, trat aus dem Dunkel hervor und begrüßte sie überaus freundlich. Er fühle sich geehrt, sagte er und fragte, ob die Lady mit dem Schiff angekommen sei aus Amerika oder aus Europa. Er habe es gleich gespürt, dass sie Europäerin sein müsse, entgegnete er auf Irmhilds Antwort hin und er vermute auch, dass sie aus der Schweiz stamme. Irmhild reagierte überrascht und amüsiert zugleich und wollte natürlich wissen, wieso sie der Mann für eine Schweizerin halte, wo sie doch gar kein Wort auf Schwizerdütsch gesagt habe. Weil sie genau so schöne blonde Haare habe und so eine hübsche Dame sei, wie die Frau seines Onkels, der in die Schweiz geheiratet habe, sagte er und führte sie zu seinem kleinen Ladentisch, wo er ein Foto vom pinboard an der Wand nahm, auf dem ein sehr, sehr dunkelhäutiger kleiner Mann in grellbuntem, dem Schweizer Trachtenstil nachempfundenem Anzug gemeinsam mit einer Sennerin und einigen Kühen auf einer Almwiese vor einem Hochgebirgspanorama stehend, zu sehen war. Weil der Mann an seiner Joppe und auf dem Hut glänzende CD-Scheiben aufgenäht hatte, brach es beinahe entsetzt aus Irmhild heraus: „Ist das vielleicht Lee Perry?
Der Mann im Laden macht einen kleinen Freudensprung und klatschte in die Hände. „Ich wusste, dass sie meinen Onkel kennen“, jubelte er förmlich und sagte auch gleich, dass sie auf alles was sie sich im Geschäft aussuche zwanzig Prozent Rabatt bekäme.
Irmhild bedankte sich und versprach auf das Angebot später zurück zu kommen, wenn sie sich für ein geeignetes Souvenir entschieden habe.
Regentag saß im Café auf der Veranda beim Pool, von wo er auch die Lobby im Blick hatte, die Irmhild gerade im forcierten Schritt energisch durchquerte. Er winkte ihr zu und sie steuerte sofort und geradewegs einen Stuhl an seinem Tisch an, auf den sie sich erschöpft wirkend niederließ. „Du hast ihn gefunden?“fragte Regentag hoffnungsvoll und sie antwortete ihm etwas missmutig: „Ja ich habe ihn gefunden, aber du weißt nicht wo!” Noch bevor sie weiter erklären konnte, stand ein beflissener Kellner bei ihr und erkundigte sich, ob er einen kühlen Drink servieren dürfe. Irmhild reagierte erfreut über so viel Aufmerksamkeit und bestellte einen Ice tea. Der Kellner zog ein wenig erstaunt, die Augenbrauen nach oben, verneigte sich aber dankend und verschwand lautlos wie er gekommen war.
Als Irmhild von dem Mann erzählte, der ihnen den Hinweis auf das Souveniergeschäft gegenüber gegeben hatte, servierte der Kellner mit fröhlichem Schwung einen „Long Island Iced Tea“ für Madame, wie er sich höflich ausdrückte. Irmhild nahm gleich einen schönen Schluck von dem eisgekühlten Getränk und konstatierte: „Ohlala, nicht schlecht für einen Tee!“ Das Getränk schmeckte ihr so gut, dass sie innerhalb kurzer Zeit schon die dritte Bestellung aufgab, was Regentag veranlasste auf der Getränkekarte nach den Ingredienzien des Ice tea zu schauen. Er fand „Long Island Iced Tea“ enthält: Wodka, Tequila, Rum, Gin, Triple Sec, Ice…usw. „Schön, schön“, sagte er ,„und ich wollte vorschlagen , dass wir uns heute nach dem Dinner, einen kleinen Cocktail genehmigen sollten.“ „Genau. das machen wir,“ pflichtete Irmhild bestätigend bei und fragte schon etwas beschwingt, was da noch so alles für Cocktails auf der Karte stehen. Der Ober, der eben das dritte Glas auf den Tisch stellte, hatte die Frage verstanden und legte sofort los: „Cuba Libre, Caipirinha, Daiguiri, Mai Tai, Mojito, Pina Colada, Planter´s Punch, Zombie – alles was ihr Herz begehrt, Madame“. Irmhild war hingerissen von der Kompetenz des Kellners und bestellte gleich für vor dem Dinner einen Caipirinha und für danach einen Daiguiri.
Als sie das dritte Glas „Long Island Iced Tea“ geleert und Regentag über die Zusammenhänge ihrer Nachforschung informiert hatte, fiel ihr plötzlich ein, dass sie vor dem Dinner nochmals zu dem Geschäft gehen müsse, weil sie vergessen hatte nach dem Namen des Schweizer Wohnortes von Lee Perry zu fragen. Ausserdem wollte sie Regentag mit einem hübschen T-Shirt als Geschenk überraschen. Sie wusste nur noch nicht, ob es mit einer Usain-Bolt-Siegerpose oder mit einem Jamaikamotiv bedruckt sein sollte.
Nach einiger Zeit, als sich die meisten Hotelgäste schon am Buffet zum Dinner eingefunden hatten und in der Regentag gedanklich mit ungewöhnlichen Lebenswegen, wie z.B. den des Lee Perry beschäftigt war, kam der Kellner und fragte ob er den Caipirinha für Madame hier am Tisch oder im Diningroom servieren dürfe.
Regentag erschrak und stellte überrascht fest, dass tatsächlich schon eine Stunde vergangen war seitdem Irmhild zum Souveniergeschäft gegangen ist. Er entschied sich spontan, ihr entgegen zu gehen und sie zum Dinner abzuholen.
In dem Geschäft angekommen, ohne Irmhild begegnet zu sein, wurde er von dem Inhaber auf das Freundlichste begrüßt und auf die Frage, ob er wüsste, wo die junge Dame, die nach dem Wohnort von Lee Perry gefragt habe, hingegangen sei, antwortete der Rastaman:
„Ach ja, sie meinen die Touristin. Mein Neffe Matthiew war gerade da. Sie kennt ihn wohl von der Caribbean Dream und war sichtlich froh, dass er sie im Auto mit zum Schiff nehmen konnte, damit sie in ihrem Zustand nicht den ganzen weiten Weg gehen muss. Sie hatte ja schon ganz schön Schlagseite!
„Wieso? Warum? Caribbean Dream?”, fragte Regentag konsterniert. „Mein Neffe ist Steward auf der Caribbean Dream und da hat er sie halt gleich mitgenommen, damit sie sicher an Bord ist, wenn sie morgen schon um vier Uhr früh auslaufen“, antwortete der Mann unbekümmert.
Regentag griff instinktiv nach seiner rechten Hosentasche mit dem Handy, hielt aber abrupt inne. Nein, von einer solchen Doktorarbeit war nie die Rede, dachte er und er war sich sicher, dass er niemals hinter ihr her telefonieren würde. Nein, er würde jetzt erst einmal dinieren.
Im Morgengrauen wo er von der Veranda aus, auf der er die ganze Nacht über mit einer ebenso reizenden wie gebildeten Französin über die jamaikanische Sklavenrevolte von 1760/61 und die französichen Revolution diskutierend verbracht hatte, beobachteten sie wie weisse Kreuzfahrtschiffe auf dem Meer dahin zogen.
Da sagte Regentag : „Ich denke, es ist Zeit fürs Bett“ und sie antwortete „ Avec moi ou avec vous?“
Kommentare
Gut geschrieben - dazu Musik
Steckt ebenfalls im starken Stück!
LG Axel
Cool erzählt und wirklich angenehm zu lesen. Ich verstehe nur nicht, warum es am Schluss "avec moi..." und nicht "chez moi" heißt?? LG Tanja
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