VONA . Vona ist Hoffen auf Isländisch | Vol 12/13

Bild von Bruno Schulz
Bibliothek

12

„Lieber Bruno,

Ich möchte Dich gerne etwas fragen. Reine Hypothese. Und vielleicht doch ein bisschen mehr. Entscheide einfach selbst. Du hast in den letzten Wochen eine Menge über Island gelesen und vielleicht auch gelernt. Und Du weißt ein bisschen über meine Heimat, die Vestmannaeyjar. Heimaey. Dort leben immer weniger Menschen. Ich kann das verstehen und schade ist es doch. Unsere Regierung beginnt damit, die Dinge anzufassen. Man hat die Position eines Inselkünstlers geschaffen. Man muss sich entscheiden. Ein Jahr, zwölf Monate, dreihundertfünfundsechzig Tage. Und das Angebot gilt nur für Paare. Ich weiss nicht, ob ich das aushalte. Und alleine sowieso nicht. Ich habe einen Wettbewerbsvorteil. Heimaey steht in meinem Pass. Als Geburtsort. Am 22. Januar 1973. Du erinnerst Dich. Vielleicht möchte ich. Ich weiß nicht ob ich das kann. Kannst Du?

Machst Du mir eine Liste? 10 Dinge, die Du auf eine einsame Insel mitnehmen würdest? Für ein Jahr? Außer Kleidung, Schuhe und diesen Dingen. Ich bin so gespannt. Schreibst Du sie auf für mich?

Auf bald. Sehr bald.
Vona

——————————

13

„Liebe Vona,

ich habe lange nachgedacht über Deine Nachricht. Deine Bitte um die Liste mit den berühmten „zehn Dingen für die einsame Insel“. Zehn Dinge für ein Leben auf Heimaey. Meine zehn Dinge. Ein Jahr, zwölf Monate, dreihundertfünfundsechzig Tage. Dinge, die ich mitnehmen würde, um dort in Zweisamkeit zweiundfünfzig Wochen zu verbringen. In Zweisamkeit. Als Paar? Fast hätte ich „durchhalten“ geschrieben, aber das ist aus meiner Sicht schon eine falsche Haltung und Sicht auf die Dinge. Denn es sollte doch eine Entscheidung aus frohen und freien Stücken sein. In die man Zuversicht steckt. Soviel man kann und noch ein bisschen mehr. Ob Insel. Oder Zweisamkeit. Oder beides. Ich habe einige Listen erstellt und sie wieder verworfen. Was brauche ich? Ich habe das von links nach rechts gedreht. Und wieder zurück. Und doch alle schnellen Ideen und Notizen in den Papierkorb befördert, Deine Nachricht nochmal gelesen und eine andere Interpretation gesucht. Ich denke, ich habe sie für mich gefunden, auch wenn ich damit nicht unbedingt auf deine ursprüngliche Intention eingehen mag. Oder doch? Vielleicht ist es auch viel mehr Antwort, als du es erwartet hast und Dir wünschst. Wir werden sehen.

Die große Herausforderung besteht nicht in der einsamen Insel. Es geht in der Frage um meine zehn Dinge nicht darum, ob ich mein Macbook mitnehmen möchte, meine Bunt- und Bleistifte mit reichlich Papier, Bücher, einen Fotoapparat, meine Espressokanne, Notizkladden und ein ausreichendes Sortiment an Spirituosen oder was auch immer. Das sind nur oberflächliche Ausstattungsfragen. In Wirklichkeit geht es um die „Hypothese Zweisamkeit“. Was per se eine Menge miteinander zu tun hat. Die Stelle auf Heimaey gibt es nur für das Paar. Ist das eine Bedingung? Ich für mich kann sagen, dass ich eher beides als Herausforderung und Aufgabe betrachte: Heimaey und das Paarsein.

Interessant ist für mich demnach, welche Erwartungen ich an eine Beziehung anlegen würde, die ich ernst zu nehmen bereit bin. Eine Beziehung, die sich auch für „die einsame Insel“ eignet. Was sie per definitionem aushalten können sollte wenn sie ernsthaft ist. Dreihundertfünfundsechzig Tage. Immer. Risiko? Vielleicht ist es eine Chance!

Ich bin fast fünfzig Jahre alt und habe in meinem Leben viele Fehler gemacht. Der Aphoristiker Sinan Gönül hat mal von sich gegeben, „dass es menschlich sei, Fehler zu machen. Dass es schmerzlich sei, Fehler zu wiederholen. Und dass es dämlich sei, dieselben Fehler immerwieder zu machen“. Da hat er recht. Ergänzen mag ich das mit einem Statement des niederrheinischen Dichters Art van Rheyn: „der gefährlichste Fehler ist, zu glauben, dass man seine Fehler kennt.“

Ich hatte einige Beziehungen und viele beinahe. Gescheitert sind sie fast alle daran, dass wir uns verloren haben. Früher oder später. Und das kann man in einer asiatischen Millionenstadt genauso wie auf einer einsamen Insel. Der Begriff „Schuld“ greift nicht. Es ist nie einer allein. Es ist der Mangel an Aufmerksamkeit (1). Gegenüber dem anderen, aber vor allem auch gegenüber sich selbst. Der Mangel an Reflektion (2). An Achtsamkeit (3). Es ist der Verlust der Verbindung. Der tatsächlichen und nicht der vermeintlichen. Wir alle haben eine Vorstellung, ein Modell von dem, was eine Beziehung sein kann und subjektiv sein sollte. Modelle, Muster, Schemata. Und darüber verliert sich allzu leicht der Moment und sich ohne Wertung in ihm zu wiederzufinden. Der „Spirit“ (4), der wenig stofflich ist, nicht anzufassen und kaum zu begreifen. Was in deutscher Sprache ohnehin kaum wiederzugeben ist, da der Begriff Spiritualität in unserer scheinrationalen Gesellschaft nur allzu gerne als religiöse Macke verhöhnt wird. Dabei ist sie genau das Gegenteil religiöser Restriktionen, ohne manipulierenden Sinnüberbau. Echte Spiritualität ist immer individuell.

Es geht um ehrliches Interesse und Verantwortung (5) und die Bereitschaft, immer und immerwieder neu anzufangen (6). In jedem Moment. Wertschätzung (7). Unbedingte Nähe (8), körperlich, geistig, seelisch. Und es geht um die Bereitschaft und die Fähigkeit, ehrlich und von ganzem Herzen zu verzeihen (9). Und natürlich geht es immer um eine gute Pointe (10).

… und jetzt kommst Du
Bruno

© 2014/2015/2016 Bruno Schulz

Interne Verweise