Ich konnte die Stimmen, wie so oft, nicht unterscheiden. Sie hatten beide denselben Text. „Thomas!“ und: „Da ist ein See!“. Ein hübscher Chor.
Die beiden standen also am Seeufer, dicht nebeneinander, und starrten auf die glatte Oberfläche, als hätten sie noch nie Wasser gesehen. Ich sah die langen braunen Haare, die bei beiden gut zwei Drittel des Rückens bedeckten. Dann drehten sie sich im selben Moment um, als würden sie einer Choreografie folgen. Vier blaue Augen leuchteten mich an. Wie schön.
Wir saßen lange am Ufer, obwohl wir doch alle schwimmen wollten. Wir beobachteten das Wasser und den Strand aus Kies. Ein Zufluss des Sees lag uns gegenüber, zwei andere rinselten etwas versteckter an den Seiten. Rinnsale also. Denn rieseln kann ja nur Schnee. Und der war uns zum Glück längst weggeschmolzen! Ein See aus Regenwasser, sagte dann auch Hannah. Wie eigentlich alle Seen, sagte ich. Wir lachten und suchten schon bald nach Holz für ein Feuer, Holz für den Abend.
Hannah zeigte Juli, wie man ein Feuerzeug benutzt, ohne sich selbst zu verbrennen. Sie war stolz, als wir es dann knistern hörten und das erste Gelb und Orange leuchten sahen. Gerade rechtzeitig, denn die Sonne war schon fast im See verschwunden, die Temperatur sank und der Wald sah aus wie ein Nachtschattengewächs. Wir wärmten uns und schwiegen. Du musst uns ein Reh jagen, flüsterte Hannah mir zu und lächelte verlegen. Oder einen Hasen.
Was gibt es zu essen?, rief Juli da schon begeistert, strahlend und mit lauter werdender Stimme. Bin ich ein Jäger, fragte ich Hannah und wir stritten uns ein wenig. Bis Hannah Nüsse in ihrer Handtasche fand und ich ein großes Sandwich in meinem Rucksack. Alles schmeckte gut und wir wurden satt.
Dann packten wir unsere Taschenlampen aus, schalteten sie an, jeder seine eigene. Das konnte Juli schon gut.
So gingen wir also nach Hause und verabredeten uns für den nächsten Tag. Unsere kleine Familie für einen Nachmittag. Ich küsste Hannah auf beide Wangen und sagte, grüß auch Stefan von mir. Am Mittwoch hätte ich Zeit, wir könnten Schach spielen, sag ihm das mal. Hannah nickte, mach ich, da freut er sich.
Ich küsste sie nochmal auf beide Wangen und spürte, wie ihre Locken mich kitzelten. Übertreib es nicht, sagte sie und lachte, aber nicht mit ihren Augen.
H2O
von Tanja Grün
Bibliothek
Veröffentlicht / Quelle:
Tanja Grün, Wind, Pangai Misi Verlag ISBN 978-3-989-10-6
Prosa in Kategorie:
Thema / Klassifikation: