Als plötzlich Schneeregen einsetzt, suche ich Schutz bei einem überdachten
Marktstand und tue so, als ob ich mich für die angebotenen Geldbörsen interessiere.
Der türkische Händler lächelt breit und einladend wie auf einem orientalischen Basar.
Scheinbar ist er mit diesem Basar-Lächeln geboren.
„Bitteschön, bitteschön, alle Farben, billig!“, schreit er, als wäre ich schwerhörig.
Ein kleiner Mann, ein Araber – als Neuköllnerin erkenne ich einen Orientalen auf den
ersten Blick – tritt heran.
„Cold!“, sagt er schlotternd in seiner dünnen Jacke.
„Kalt.“, erwidert herablassend der türkische Verkäufer.
Der Araber wiederholt hartnäckig:
„Cold, cold.“
„Kalt!“, sagt der Verkäufer.
Die Lehrerin in mir – einmal Lehrerin, immer Lehrerin – mischt sich ein.
„Auf Deutsch heißt es kalt.“
Verständnislos geht der Araber davon.
„Flüchtling! Ich Türke, ich integriert.“, sagt der Verkäufer verächtlich.
Unterdessen tritt eine Türkin an den Stand, sie unterhalten sich in der Muttersprache.
Als eine Pause entsteht, werfe ich ein: „Ich verstehe etwas Türkisch, weil ich aus
Kasachstan komme, dort wird der alttürkische Dialekt gesprochen.“
Der Verkäufer würdigt mich keines Blickes.
Die Integration-Brücke ist mir nicht gelungen.
Unüberbrückbar?
von Lena Kelm
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Interne Verweise
- Autorin/Autor: Lena Kelm
- Prosa von Lena Kelm
- Prosakategorie und Thema: Anekdote, Gesellschafts- & Entwicklungsinhalte
Kommentare
Möglicherweise kennt der Basarhändler nur "kalt", "warm" etc. "Alttürkischer Dialekt" war vermutlich ebenso schwierig für ihn wie für den armen Araber das Wörtchen "kalt". - Integration ist halt schwierig, wenn sich Erwachsene dümmer benehmen als Kinder. Deine kleinen Anekdoten sind interessant. Dass mit dem Basarlächeln, das ihm in die Wiege gelegt wurde, hast Du ganz sicher nur geschrieben, weil er sich so schäbig und hochnäsig gegenüber dem Flüchtling benommen hat.
Liebe Grüße,
Annelie