Ein Parkbaum zieht meinen Blick an. Er ist kahlästig, wortkarg, statt der Blätter trägt er die Nummer 123. Von welcher Art er ist, erkenne ich nicht. Amtlich erfasst ist er wie ich, sein Bestand ist als Vorgang in einer Akte abgelegt wie meiner. Sollten wir unsere Nummern vergleichen, uns über ihre Bedeutung austauschen? Steht EINSZWEIDREI etwa für Einbaum, Astgabelung, Anzahl der zu erwartenden durchschnittlichen Jahresblattmenge?
Vor über drei Jahrzehnten bin ich ihm begegnet, undeutlich erkenne ich ihn wieder. Am Ufer des Schlossparks wurzelt er, dem Fluss zugewandt. Damals schon war mir die See stets weiter als die Stadt, ohne Mauern und Ufergrenzen. Entstand mein Wunsch weit zu gehen hier?
Aufbrechen, rasch fortgehen, zurücklassen, kaum Abschied nehmen, verlassen, anderen eine Erinnerung hinterlassen, lernte ich beim Schauen auf den Fluss. Ich wollte da sein, bleiben, wo ich mich nicht aufhielt.
Zurück kann ich überall sein, an den Küstenrändern meiner Phantasie. Vertrauten Ortsgeruch verströmt er und trägt Jahresringe wie mein Reisepass Stempel von Meeresländern. Während ich weitergehe, wächst er mir nach.
VON DER SCHÖNHEIT DER UMWEGE. LYRIK & PROSA. Paperback, 164 Seiten, Verlag epubli Berlin 2016, ISBN 978-3-7418-1644-4, Umschlagbild: von Sibylle Meister