Der Tag, an dem Pjöngjang Elvis Presley den Krieg erklärte - Page 2

Bild von NickCharles
Bibliothek

Seiten

hast du dir dabei gedacht, Gisbert“, fragte Renate, eine Schüssel mit dampfenden Pellkartoffeln auf dem Schoß.
„Nordkorea hat Generalmobilmachung angeordnet“, entnahm ich der Zeitung. „Im ganzen Land wurden Windlichter zum Gedenken an den verstorbenen Führer entzündet. Weitere dreißig Prozent der Heizölvorräte sind perdue.“
„Nordkorea, wo liegt das überhaupt?“
„Nördlich von Südkorea, Turteltäubchen.“

In der Nacht klingelte das Telefon. Bärlebärchen weckte mich, den Hörer bebend in der Hand. „Osama", sagte sie. „Osama ist dran.“
„Heiliger Vater“, entfuhr es mir.
„Nein, nicht der Heilige Vater“, beruhigte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Der Heilige Vater schläft um diese Zeit. Er ruft morgen an. Obama hier, Präsident der Vereinigten Staaten. Flötenzupf, wir sind auf Ihrer Seite. Auch die First Lady lässt ausrichten, dass sie auf Ihrer Seite steht. Wie ein Mann!“
„Welche First Lady?“
„Michelle, meine Frau. Sie erinnern sich?“
„Dunkel.“
„Dunkel?“, fragte der Präsident. „Das war jetzt aber nicht irgendwie rassistisch gemeint, oder?“
„Wer war dran?“ fragte Renate.
„Obama.“
„Obama? Der ist doch tot.“
„Nein, nicht der Obama, der andere. Morgen meldet sich der Papst.“
„Schön, dann zieh dir bitte saubere Unterwäsche an. Und, Gisbert, nicht die Krawatte mit Heidi Klum.“

Große Militärparade in Pjöngjang. Nach offiziellen Angaben hatten sich fünfundzwanzig Millionen Reisweintrinker zu einer „Demonstration der willenlosen Stärke“ versammelt. Es dauerte drei Tage, bis alle ballistischen Interkontinentalraketen an der festlich geschmückten Tribüne entlang defiliert waren. Kim Jong-un, Sohn und Nachfolger Kim Jong-ils, trug eine Sonnenbrille, die durch Satellitenfotos der CIA als Eigentum Elvis Presleys identifiziert wurde. Der King hatte sie 1972 anlässlich der weltweit ausgestrahlten TV-Show „Aloha from Samoa“ getragen. Die Raketen waren aus Styropor.
Während seiner anschließenden Rede verlangte Kim Jong-un mit „aller gebotenen Schärfe“ meinen Kopf - und zwar nur meinen Kopf! Washington entsandte den Flugzeugträger „Bart Simpson“. China verlangte eine sofortige Sitzung des UN-Sicherheitsrates sowie die kommunistische Weltherrschaft. Pjöngjang erklärte, die „Bart Simpson“ „binnen drei bis vier Sekunden“ in atomare Sojasauce verwandeln zu können. Der Heilige Vater rief in einem eindringlichen Appell alle Beteiligten zur Umkehr in Jesum Christum auf. Anschließend wurde Carmen Nebel selig gesprochen. Dies ein bedauerliches Missverständnis, wie ein Sprecher des Vatikans später der Nachrichtenagentur Reuters versicherte.

Die deutsche Ostermarschbewegung erkor ihren neuen Lieblingsfeind: Doktor Gisbert Flötenzupfer, Rassist, Kapitalist, Kriegstreiber. Siebzehn zottelhaarige und nur partiell gewaschene Friedensaktivisten hatten sich den drei koreanischen Protestlern zugesellt. Sie tranken Reiswein aus Senfgläsern, strickten Pullover mit Picassos Friedenstaube auf der Brust und sangen disharmonisch „Knockin‘ On Heaven’s Door“. Renate meinte, wir könnten ja ein Grillfest veranstalten. Mit Friedenswürstchen und „Give Pease A Chance“. Westerwelle riet ab. Das, so sagte er, könne in dieser aufgeheizten Atmosphäre die Atmosphäre nur unnötig aufheizen. Obama war dafür und erkundigte sich, ob er die Mädchen mitbringen dürfe. Der Papst stellte ein Wunder der Handelsklasse II in Aussicht. Desweiteren eine Kiste Messwein der Sorte „Anus Mundi ‘78“, ein wahrhaft göttlicher Jahrgang.

Am Montag brachte der „Spiegel“ eine Titelgeschichte über die sogenannte „Elvis“-Affäre. Auf dem Cover ritt ich in bester Cowboy-Manier auf einem rotglühenden Erdball, der in einer dampfenden Schüssel mit Glasnudeln schwamm. Überschrift: „Der Totmacher“. Der Fernsehsender Phoenix wollte ein Feature bringen. Günter Jauch lud mich zu seiner Quizsendung „Wer wird Millionär“ ein. Carmen Nebel ließ anfragen, ob ich ein gutes Wort beim Heiligen Vater einlegen könne. Wegen der Seligsprechung.

Die nächste Sitzung des UN-Sicherheitsrates fand im Partykeller meines Hauses in Niederaubach statt. Peking war zunächst dagegen, ließ sich jedoch überzeugen, als Renate zusicherte, Ente Szechuan auf den Mittagstisch zu bringen. Obama hatte, wie versprochen, die Kinder dabei. Gemeinsam mit Bärlebärchen sangen sie Lieder von Bob Dylan, Roberto Blanco und Nena: „99 Düsenjäger, jeder war großer Krieger, hielten sich für Captain Kirk…“ Der Abend endete bei dem einen oder anderen Fläschchen „Grottendorfer Vollmeise – Badischer Birnenbrand“. Sarkozy bestand trotz fortgeschrittener Stunde darauf, eine Pressekonferenz abzuhalten. Der Mitschnitt wurde bei „You Tube“ binnen weniger Stunden drei Milliarden Mal angeklickt. Merkel ließ sich von Renate das Rezept für die in Sojasauce gerösteten Schweinsfüße geben.

Tags darauf krachte die erste interkontinentale Rakete ins Nichtschwimmerbecken der Rudi-Carrell-Freizeitdomäne in Niederaubach. Zu unser aller Glück war das Monstrum nur mit Glasnudelsuppe bestückt. Der zweite stellvertretende Bademeister erlitt eine Schnittverletzung im Bereich der Regio Glutealis. Luftmatratzen in Form von Krokodilen und lustigen Dinosauriern verteilten sich über die Vorgärten im Umkreis von mehreren Kilometern. Die „Bart Simpson“ versenkte daraufhin ein nordkoreanisches Gummiboot. Die Mannschaft, Vater, Mutter, sieben Kinder und ein Hängebauchferkel namens Babe, wurde gerettet und bat um „Asyl in Disneyland“. Peking drohte mit dem Ende aller bilateralen Gespräche und der sofortigen kommunistischen Weltherrschaft.

Das Telefon klingelte. Der Papst, Obama, Osama, Westerwelle oder Sarkozy, dachte ich. Es war Schmidt-Fronwein, mein Kegelbruder.
„Du, hör mal, Gisbert. Vor zwei Wochen hattest du im ,Hermann der Cherusker‘ nicht genügend Kleingeld dabei. Ich habe für dich ausgelegt. 587 Euro und 59 Cent. Hast du was dagegen, mir die Kohle kurzfristig zurückzugeben?“
„Bin ich nicht mehr kreditwürdig, Fronwein?“
„Doch schon“, druckste er feige herum. „Es ist nur so, falls die Koreaner in Niederaubach einmarschieren, möchte ich nicht auf Schuldscheinen von dir sitzen. So was könnte in Pjöngjang einen völlig falschen Eindruck erwecken.“
„Welchen Eindruck?“
„Na zum Beispiel, dass wir Freunde sind.“
„Aber wir sind Freunde!“
„Ja, schon.“ Schweigen. „Was hältst du davon, unsere Freundschaft für eine gewisse Zeit ruhen zu lassen. Nur, bis sich alles geklärt hat.“
„FronSCHWEIN, du elender, zitternder, arschkriechender nordkoreanischer ELVIS-IMITATOR!“

Es gab jedoch ebenso Beispiele aufrechter Zivilcourage. Mein Kumpel Harfenbläser, um nur ihn zu nennen, bot mir Asyl in seiner Datsche vor den Toren Berlins an.
„Wir ziehen die Mauer wieder hoch, Flöte. Sollen nur kommen, diese schlitzäugigen Sushi-Fresser. Ich bin vorbereitet. Die alte NVA-Uniform passt noch wie angegossen!“
„Harfe, ich weiß nicht, was ich sagen soll…“
„Dann sag am besten gar nichts. Du würdest das für mich genauso tun.“
Ganz bestimmt nicht, dachte ich, und legte den Hörer auf.

Der Bürgermeister und die Bevölkerung der kreisfreien Stadt Niederaubach baten mich eindringlich, meine „zweifellos wichtige politische Arbeit“ in einem anderen Teil der Welt fortzusetzen. Himalaya zum Beispiel. Oder Südsudan Um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen, wurde vor unserem Carport ein Scheiterhaufen errichtet. Dreißig Prozent der Niederaubacher Heizölvorräte gingen in Rauch und Flammen auf. Im nächsten Winter darf mit Frostbeulen gerechnet werden. Unter Anleitung der koreanischen Provokateure skandierte die Menge: „Kim Jong-un, Kim Jong-un bringt zu Recht den Flöte um!“ Hobbydichter! Funkamateure! Thälmannpioniere!

Unser neues Heim in Kabul ist recht angenehm. Osama oder Obama, einer von Beiden, erklärte per Satellitentelefon, Afghanistan wäre in dieser prekären Lage der mit Abstand sicherste Ort der Welt. Immerhin hätten seine „Boys“ dort jahrelang vergeblich nach Bin Laden gesucht. Keine Ahnung, was ich davon halten soll.
Bärlebärchen schmollte anfangs ein bisschen. Ich sagte: „Kind, hier findest du jede Menge Freunde. Der Altersdurchschnitt liegt bei deutlich unter fünfundzwanzig Jahren!“
„Schon, aber doch nur, weil die sich vorher in die Luft sprengen.“
„Okay, das ist nun mal Teil ihrer Tradition. Und Traditionen, das weißt du, Schatz, die sollte man als Mitglied der westlichen Überflussgesellschaft stets respektieren - mögen sie uns im Einzelfall auch noch so befremdlich erscheinen.“
„Aber - Sprengstoffgürtel? Mensch, Papa, die machen dick. Richtig dick! Ich werde nie wieder einen Freund finden. Und wenn, dann sieht der aus wie Sigmar Gabriel.“
In der Burka ist es egal, ob du fett bist oder nicht, ging mir durch den Kopf, du siehst immer aus wie eine wandelnde Kaaba. Natürlich behielt ich das für mich. Man ist ja auch als Vater irgendwie Mensch.

Der King erfreut sich in Nordkorea allergrößter Beliebtheit. Insbesondere seit Genosse Kim Jong-un mit Elvis‘ alter Band vor dem Denkmal seines Großvaters das „Heartbreak Hotel“ gerockt hat. Obwohl – kann man da, kritisch betrachtet, noch von Musik sprechen? Die alte Schmalztolle jedenfalls hätte sich im Grabe umgedreht. Wenn das möglich wäre. Ist es aber nicht. Elvis lebt. Er wohnt im Haus gegenüber, heißt Hamid Usamah Ukkakaul und verkauft Sonnenbrillen aus Seetang. Auch die ein Riesenhit. Vierundzwanzig Millionen Reisweintrinker können sich nicht irren!

생일 축하!

Seiten