Seiten
„Lass nur deine Finger von mir!“
„Huh! Sei doch nicht roh! Ich bin ein Sensibelchen.“
Und die Finger fummeln am Schlitz.
Alex verzweifelt: „Lass mich in Ruh! Ich hab jetzt keinen Nerv.“
„Wieso? Für was stehst du hier?“
„Dich geht das ‘nen Scheiß an.“
„Spielt die Unnahbare. Im Schritt juckt’s dir.“
„Mensch! Zieh endlich Leine!“
Alex kann ganz laut sein.
„Hast du’s kapiert? Verpiss dich! Hau ab, du Drecksau!“
Die Tunte lacht, als nähme sie den Spinner nicht für voll.
„Ha! Ha! Ha! Eine Klemmtrine!“
Alex rastet aus. Er läuft ihr hinterher, reißt die Schulter, plärrt: „Mit einem wie dir kann man doch sowieso nicht reden. Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast. Entmenschtes Fickfleisch! Das eben gerade nicht!“
Die Tunte schlägt ihm ins Gesicht, aber lasch.
„Quatsch! Dich kenn ich. Auf Benz-Freier spannst du, bis die hier aufkreuzen, bist du eine Jungfrau.“
„Drecksau! Du dreckiges Schwein!“, tobt Alex und schlägt ihn.
Und sie haut dagegen.
„Das wirst du büßen! Ich mach dich fertig.“
Aber jetzt biegt mit quietschenden Reifen ein Polizeiauto ins Tor. Und zwei Polizisten halten sie fest. Alex sagt, man hat ihn beleidigt, er hat sich verteidigt. Die Tunte macht Kiekser. Keiner ist verletzt, stellen die Polizisten fest. Die Ausweise. Die Tunte zeigt was vor, ihre Informationen werden über Funk gecheckt.
Doch Alex wird bockig.
„Meinen Ausweis muss ich Ihnen hier nicht zeigen.“
„Wenn wir Ihre Identität feststellen wollen, haben Sie sich auszuweisen. Andernfalls werden Sie mitgenommen zur Feststellung der Personalien.“
„Ich habe nichts getan. Ich bin friedlich gewesen, da kommt er da und beleidigt mich und fasst mich an. Es ist mein Recht, mich gegen das zur Wehr zu setzen. Und von Ihnen wird man dann wie ein Verbrecher abgestempelt.“
„Haben Sie Ihre Papiere mit oder nicht?“
„Sie kriegen von mir keine Antwort mehr.“
„Gut, dann kommen Sie.“
„Sie wissen aber, dass Sie sich hiermit zum Büttel des Polizeistaats machen.“
„Na, das haben wir gleich. Komm, den nehmen wir mit!“
Sie bugsieren Alex in ihren Wagen und fahren los.
Die Tucke steht alleine am Tor. Die Stecher im Benz sind ums untere Eck.
Alex löchert mich eine Weile, dann bin ich einverstanden, mit ihm ins KC zu fahren. Wir treffen uns am Blumenpeterbrunnen und fahren mit der Bahn nach Stuttgart.
Ich kann mir gut vorstellen, wie das ausgehen wird. Die Disco wird voll sein und fast alle im Alter wie der Alex. Natürlich werden etliche schöner, besser angezogen und auch cooler sein als er. Aber im Laufe der Nacht werde ich zum Schluss gelangen, dass ich mit ihm, dem Alex, was hätte haben sollen. Er wird sich umschauen, aber so wie er ist, wird das mit keinem was werden.
Dann aber doch noch, weil in der Szene alles anders ist, wenn man als Paar hinkommt und vergeben und versorgt und also wertvoll erscheint, wird einer sich ranschmeißen und natürlich an ihn. Das wird dann einer sein, der mir am Arsch vorbeiginge, wenn er von mir je auch was wollte.
So kommt es dann nicht. In der Stuttgarter Kellerdisco hängt Alex wie die Klette an mir. Oder eigentlich scheint er zu denken, ich wäre ein gemietetes Kinderfräulein für den Ausflug. Denn mögen tut er mich nicht. Er schaut merklich immer nur weg von mir. Es sollen alle sehen, dass er nicht zu mir gehört.
„Ralf, guck, dort hinten am Tisch, da, ist das nicht besser?“
„Wir geh’n doch wieder zur Tanzfläche!“
„Ist das verraucht! Komm mit nach hinten!“
Dass er schon alleine aufs Klo gehen kann, wundert mich.
Auch da bleibt er nicht lange.
Durchs Gestampfe schreie ich: „Lass uns mal tanzen!“ Alex schüttelt den Kopf.
Ich stehe auf und er fragt, wo ich hingehe.
„Na, tanzen doch!“
„Kannst du kurz bleiben? Guck nicht, hinter dir, der will mich anmachen. Der nervt. Bleib hier, bis er weg ist!“
„War der das? Jetzt ist er weg.“
„Da, an der Bar! Gehn wir dorthin!“
Als der Morgen graute, wollte ich nur schlafen und zwar ohne ihn. Obwohl ich vorher Tee gekauft hatte, ansonsten trinke ich Kaffee. Einige Jahre später hat Alex mir erzählt, wie toll diese eine Nacht von uns beiden in Stuttgart gewesen wäre.
„Wir sollten es wieder machen.“
Aber die Wege trennten sich. Er hat sein Abitur und wurde ausgemustert vom Bund. Er studiert so etwas wie Kunstgeschichte. Zuerst ist das kein großes Ding gewesen, denn er wohnte mit seiner Mutter zusammen und fuhr jeden Tag mit dem Zug.
Er steht vor dem Park. Die Daddy-Schlitten haben es ihm angetan. Wenn der Daddy-Schlitten sich nähert, flieht Alex nicht, vielmehr steht er steif und fest. Wenn der Daddy-Schlitten anhält, gleich bei einem machen sie es nicht, sagt Alex: „Moment!“, geht die Straße auf der anderen Seite, wo der Daddy-Schlitten nicht steht. Auf der Höhe von dem hält er nicht an und schaut nicht rüber, sondern erst bei der Ecke unten geht er über die Fahrbahn zurück. Die Daddys sitzen da und warten, aber es passiert nichts. Manche steigen dann doch aus und folgen ihm und Alex geht in den Park und sie hinterher und irgendwann kommen sie durchs Tor, sprechen miteinander und dann bringt Daddy Alex nach Hause auf diese eine Tasse Tee.
Aber, sagt Alex paar Tage später zu mir, eigentlich bringt es alles nichts, es ist alles hier so dumm.
Klar, dass er beschließt, er geht nicht mehr zum Park. Und klar, dass er seine Entscheidungen durchstehen kann. Es dauert also lange. Aber irgendwann sieht man sie alle wieder.
Er spielt rum an mir. Er zwickt meinen Bauch und sagt, dass die Kräftigen ihn anmachen. Ob ich Brusthaar hätte und er schiebt seine Hand hinein und findet es aufregend. Bei mir regt sich ein Schwanz, aber irgendwie weiß er es, genau jetzt lacht er und sagt, na, ich werd doch nicht bös werden, es ist alles so dumm und da muss man für Abwechslung sorgen. Ich kann umgehen mit ihm, weil wir kennen uns ewig. Wir sind Brüder, sagt Alex.
Aber, kommt mit der Zeit dann so durch, als Mann bin ich ihm zu lasch. Gegen die Schüler hatte ich mich nicht durchsetzen können und bin nicht Lehrer geworden. Hier hocke ich und mache nichts mehr, lasse mich tragen vom Sozialsystem. Das ist so eine Ecke und ich habe mich in meiner Ecke eingerichtet. Lasch ist das. Ich bin auch nett und man kann reden.