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Leicht gemacht hat es Alex sich oft selbst nicht. Deswegen ist er auch zu seinem Namen gekommen.
In den Achtzigern, als er noch ganz jung gewesen ist, hat Alex nahe beim Park gewohnt. Ich war noch nicht in der Stadt gewesen, ich weiß nicht, wie er seinen Weg hinein gefunden hatte. Aber, dass er dieses Hundchen gehabt hat, hab’s selber nie gesehen. Lag sicher nahe, sein Hundchen Gassi zu führen in diesem Park. Unbestritten, dass von allen Grünanlagen dieser Park die schönste ist. Hunde brauchen Auslauf, junge Schwule wohl auch mal. Alex hat immer allen, die ihn dort gesehen haben, erklärt, er sei wegen dem Hundchen da.
Eine Zeitlang ist der Alex in unsere Gruppe gegangen. Dort ist der Name dann verbreitet worden. Alex ist nicht lang dabei geblieben. Für ihn sind die Schwulen allgemein verkrüppelte Seelen gewesen, die meisten, viele eigentlich. Nur immer das Eine haben sie im Kopf.
Alex war kultiviert. Und schmerzlich ist er sich da schon im Klaren gewesen, wie wenig seine Familie zu seinen Idealen stimmte. Der Alex war fest entschlossen, es zu etwas zu bringen. Er musste ohne Vater oder Geschwister aufwachsen. Seine Mutter war Arbeiterin, ihre Ehe geschieden. Der Vater hatte, als Alex fünf war, sich vom Acker gemacht. Dass seine Neigung zu besser situierten Herren mit Hetero-Optik was von einem Vaterkomplex an sich hatte, war ihm bewusst. Projektion nannte er das.
Alex sieht in meiner Erinnerung aus wie der schottische Sänger Edwyn Collins auf der LP „Gorgeous George“. Eine Art Musik, die nicht die vom Alex gewesen ist. Alibi-Alex schmolz bei Griegs Klavierkonzert. Schön war Alex aber auch nie wirklich. Wie um den Eindruck, den er bei vielen hervorrief, zu festigen, war seine Nase oft steil aufwärts gerichtet, dieses Schmollende hatte er mehr als Edwyn Collins. Und den altväterlichen Anzug, seine lange Mähne, die Hornbrille, irgendwann verschwand sie und kam nie wieder. Viele hielten Alex für einen Besserwisser und schon auch Schwächling.
Alex stand ziemlich auf Intellektuelle. Jahre hatte er das eine Gymnasium am entgegengesetzten Rand der Stadt besucht, weil man dort Russisch lernen konnte. Vom Büchermarkt aus der Stadtbücherei fischte er den Band Sigrid Undset und sprach von dieser Norwegerin, die keiner von uns kannte, öfters, sie wäre toll.
Englisch, Französisch, Russisch waren ihm noch zu wenig. Er paukte nebenbei Italienisch. Per Undset landete er bei Norwegisch oder war es doch Schwedisch und sie eine Lagerlöf? Von Schwedisch kam er auf Finnisch, weiter zum Ungarischen; das war logisch. Dazu Latein und irgendwann musste er sich an Chinesisch ausprobieren. Ich glaube, richtig frei und fließend konnte er keine von diesen Sprachen, war er doch mehr so ein Paukertyp, der sich im Selbststudium Wörterlisten und Grammatikgesetze beibrachte und einem dann vorführte.
„Amo, amas, amat, amabo, amabis, amabit.“
„Du kannst es gut“, sagte ich.
Das erste Mal sah ich ihn bei der Schwulengruppe. Er war da schon nicht mehr drin, kam hin und wieder doch noch. Leider begrüßten sie ihn mit „Alibi-Alex“ und sofort war er eingeschnappt.
Ich wusste noch nicht, dass er auf Ältere stand, besonders, wenn sie gebildet waren. Ich merkte, wie wir uns irgendwie vom Haufen absonderten. Ich fand Alex nett, charmant unbeholfen und rührend stolz. Wir standen an der Haltestelle und als er weg war, fragte ich mich, wieso wir nichts ausgemacht hatten.
Unsere nächste Begegnung fand nachts im Schwulenpark statt. Richtiger gesagt, draußen beim Tor zum Park und Alex hatte keinen Hund mehr. In diesem Park fühle er sich nie wohl. Es wären schreckliche Menschen, die diesen Park im Beschlag hielten. Erscheint jedoch an der unteren Ecke ein Auto, hackt Alex das Gespräch schnell ab: „Achtung, Stecher kommt!“
Von innen her war einer einst heraus und hatte Alex gefragt, warum er vorn steht, ob er auf den Stecher wartet. Diesen Ausdruck hatte Alex nicht gekannt und das fand er dann typisch, dass sie auf einen warten, der sie sticht.
„Oder auf ihren Messerstecher, damit sie nicht mehr warten müssen.“
Es ist schon wahr. Selbst ein Alexander kann nicht jeden Abend Tee brühen oder Grieg hören. Und die Mutter zigeunerte durch die Gegend und er hat keine Freunde, weil die Leute von dieser Dummstadt mit seiner Art nichts anfangen konnten.
Die Typen in den Autos, die Gesichter sieht man nie, sie fahren im Kreis und die trauen sich nie aus ihrer Büchse vor. Besser geht er rein in den Park und in einen dunklen Busch und lässt sich einen wichsen, denn er ist noch jung, da wollen die ihn alle, egal, was sie sonst von ihm halten mögen, riet ich ihm.
„Dort drin sind alles Schweine“, sagte Alex. „Die haben sich entschieden, auf Würde zu verzichten. Erotik wird reduziert, den Trieb lassen sie herrschen, statt den Trieb zu beherrschen. Menschen wie die Schweine.“
Er hat, erzählt er mir, es aber schon anders gesehen. Zum Beispiel hat es mal geregnet, dort hat ein Mercedes gestanden mit einem älteren Mann. Alex hat ans Fenster geklopft und gefragt, ob er ins Trockene kann. Natürlich, hat der Mann gesagt, ist netter, wenn man einen zum Quatschen hat. Sie haben sich gut unterhalten in dem Mercedes. Gleich sind Stunden verflogen. Und unterdessen hat er dem Stecher genau auf den Zahn gefühlt, denn psychologisch ist der Alex talentiert.
Für ihn kommen ausschließlich Partner mit Niveau in Frage. So einen lädt er zu sich auf eine Tasse Tee ein. Ich soll nicht meinen, er wäre gefühlskalt oder verklemmt Er wisse schon, was hier geredet werde. Im Gegenteil wäre er leidenschaftlich und heißblütig.
Zum Tee bittet er mich kein einziges Mal. Allerdings fängt er irgendwann an, sich bei jedem Abschied zu entsinnen, dass wir bald mal das Teetrinken nachholen müssten.
Steigt einer aus und läuft vorbei am Tor, verschwindet in der Dunkelheit und kommt nicht wieder, sagt Alex: „Ralf, laufen wir doch mal ein Stück.“
Alex möchte von mir wissen, was sie in der Gruppe über ihn sagen. Aber in der Gruppe sagt längst keiner mehr irgendwas über den Alibi-Alex. Er will es mir nicht glauben.
Eines Abends steht Alex auf seinem Posten am Tor. Eine junge Tucke kommt heraus. An Alex schmiegt die Tucke sich und greift ihm an die Hose. Alex haut ihr die Hand weg und er keift: