Reuenthal m - Satan herrscht

Bild von Klaus Mattes
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Wie der Junge dem Satan anheimgefallen ist, bleibt ein Geheimnis.

Der Satan, sagt der Junge, ist nicht der Herrscher dieser Welt. Sondern Gott ist der Herrscher dieser Welt, aber Satan will ihm die Herrschaft entreißen. Deswegen kämpfen sie in alle Ewigkeit und keiner wird siegen, auch Gott, obwohl Herrscher, kann den Satan nicht besiegen. Wer an Satan glaubt, muss an Gott auch glauben.

Wie es scheint, hat der Junge irgendwann die falsche Seite erwischt. Er gehört jetzt zu Satan. Also verleiht Satan ihm Macht, damit der Junge herrschen kann über andere Menschen. Manchmal kennt er die Zukunft schon im Voraus. Oder er sieht, was die Leute sich heimlich in ihren Köpfen denken. Schlecht ist es nicht, aber es ist damit erkauft, dass er für immer verloren sein wird. Wen Satan hat, den kann Gott ihm nicht mehr entwinden. Der Junge kann sich sagen, mir wäre die Seite von Gott lieber, aber er kann nicht mehr gehen.

Sieben Namen hat Satan: Luzifer, Ahriman, Abbadon, Baphomet, Behemot, Samiel und Urian. Aber, was praktisch keiner weiß, nur eine Handvoll Leute, es gibt den achten Namen auch noch. Wenn man Satan beim achten Namen ruft, wird die Welt einstürzen, es kommt das Ende der Zeit. Der Junge kennt den Namen. Das heißt, witzelt der Mann, der Junge kann hier und jetzt ein Wort rufen und die Welt geht deswegen unter. Ja, genau so ist das. Dann, sagt der Mann, soll er das Wort mal ausrufen, dann sieht man es ja. Nein, sagt der Junge, die ganze Welt darf man nicht für nur einen Witz einstürzen lassen.

Peter ist ein guter Mann, sagt Timo. Peter, sagt der Junge, glaubt an Gott. Der Mann versichert, dass er an nichts glaubt, weder Teufel noch Gott oder Vergleichbares. Das ist schade, sagt der Junge, wenn du an Gott glauben tätest, würdest du aufgenommen werden zu den himmlischen Heerscharen. Allen, die nichts glauben, wird die Seele, genau wie ihr Leib, zu Asche und zerstieben im Wind. Aber, sagt der Junge, das kann er sehen, bald wird sich Peter zu Gott bekennen, dort ist sein Platz.

Allein die Aussicht, in Ewigkeit zu verschwinden, ist schrecklich. Einer von den Gründen, warum der Junge niemals schwul sein wird. Dann könnte er keine Kinder haben. Aber bevor er zur Hölle fährt, das weiß er, wird er auf der Erde seinen Sohn hinterlassen. Möglich, aber nicht sicher, dass der Sohn sich dann dem Satan anschließt.

In den nächsten Tagen gibt es einige Vorträge über Satan. Satan erscheint in der Gestalt von Tieren oder Frauen. Satan täuscht einen mit Bosheit. Wir sehen eine Frau und meinen, wir fühlen Liebe, aber es ist nur Geilheit, die Gier. Fleischliche Begierde kommt von Satan. Wir werden süchtig nach fremdem Fleisch, das Satan uns vorhält. Wir verfallen ihm. Darum macht er es. Sobald wir Menschen begehren, wollen wir sie besitzen, denn das ist zugleich Satan, der uns besitzen will.
Vieles klingt auswendig gelernt. Er sagt es alles noch und nöcher.
Der Mann hört nicht mehr zu.
Oder: „Ach was!“

Manchmal argumentiert er noch dagegen, obwohl er denkt, es klingt nicht mal dumm, er hat das irgendwo her. Er fragt, ob der Reiselfinger oder dieser Bodo ihm was vom Satan erzählt haben. Aber der Reiselfinger und der andere da, das sind ganz primitive Typen. Von so einer Materie, sagt der Junge, haben die doch keinen Schimmer.
Hat er einer Jugendgang angehört und da haben sie ihn auf diese Ideen gebracht? Aber nein, schon immer ist er allein gewesen. Das weiß der Mann alles. Er hat es sich von allein angeeignet.
„Ja, aber wie?“

Der Satan war früh gekommen und hatte ihn gelockt. Zu spät hat er den Preis gespürt.
„Wie denn? Wie ist er gekommen? Im Schlaf oder im Traum? Oder wie?“
Die Antwort klingt niederschmetternd banal. Timo, ein Junge, der beim Lesen die Wörter mit seinem Zeigefinger nachfährt, ist in die Reuenthaler Stadtbibliothek gefahren, hat sich Bücher geholt und hat sie studiert, Jahre.

„Was? Hier in der Stadtbücherei haben sie Satanisten-Bücher?“
„Nein, das sind keine Satanisten, die das schreiben. Das sind wissenschaftliche Bücher, wo man lesen kann, was bekannt ist über den Fürsten der Dunkelheit.“
„Aber warum denn hast du diese Bücher lesen wollen?“
„Weiß nicht. Das waren die interessanten.“

Und für Satan brennt er sich mit Kippen die Unterarme oder schneidet, bis Blut kommt?
Nein, der Satan verlangt es nicht. Das macht er für sich selbst. Kann man nicht erklären. Das ist manchmal so. Dann gefällt einem so was. Sowieso, was die Zeitungen schreiben, ist nur verlogen. Und auch diese Dark-Wave- und Death-Metal-Rocker betreiben es fast alle nur zur Schau, weil sie Geld wollen. Manches von ihrer Musik mag er ja immer noch, aber das ist so, das ist Schau. Weil es cool aussieht. Satan kriegt das mit und er mag das nicht. Über den Satan spottest du nicht lange, lacht der Junge heiser.

Wer ihn so schlecht tätowiert hat?
„Das war ich. Sieht man, dass es nichts geworden ist.“
„Das Kreuz auf der Brust warst du nicht!“
„Hat en Kumpel gemacht. Er hängt heut an der Nadel. Keine Ahnung, ob der noch lebt.“

Und bei Teufelsmessen, war er dabei?
Bei schwarzen Messen nicht. War mehr Spielerei. Nämlich keine echten Satanisten. Manchmal steigt er nachts in Friedhöfe, setzt sich an ein brennendes Grablicht und er meditiert. Dann ist er allein mit dem Satan. Das schon, aber sonst hat er, ehrlich gesagt, kaum etwas erlebt. Mal das frische Blut von einem geschlachteten Huhn getrunken.

Aber nie bei der Opferung von einem Medium. Das Medium ist meistens ein junges Mädchen. Satan wünscht sich unberührte Jungfrauen. Es müssen erst mehrere Medien da sein, damit Satan eine aussuchen kann. Das Medium wird in die Messe geführt. Dann fällt es in Trance. Die Jünger entkleiden sie, dann wird ihr jungfräulicher Körper mit Blut genetzt. Satans Jünger schänden sie. Das heißt, sie ficken das Medium. Dann bekommt sie der Herr.

„Heißt das umgebracht? Weiß ein Opfer, was mit ihm gemacht wird?“
„Du bist darum Medium, weil du den Willen des Satans in dir spürst. Kein Mensch kann sich weigern, wenn Satan ihn haben will.“
Vielleicht ist er sogar auch ein Medium. Er weiß es nicht genau. Das zeigt sich erst noch.
„Also würden sie dich opfern!“
Eigentlich werden nur Frauen geopfert. Männer kommen nur selten vor.

Und mit einem Mal will er ein Gedicht schreiben.

Gedichte schreiben ist schwer. Der Mann soll Bücher mit Gedichten raussuchen, er macht das denen dann nach.
Der Mann sieht ihm über seine Schulter. Das mag er nicht.
Ob er die Schreibmaschine kriegt?

Mehrere Tage geht das so. Der Junge sitzt, nackt bis auf die Unterhose, am Schreibtisch, sucht und hackt mit einem einzigen Finger. Hört Krach in den Kopfhörern. Qualmt die verrammelte Bude zu. Bricht ab. Liest. Reißt das Papier aus der Maschine, zerknüllt es, wirft es zu Boden.

Peter guckt nach und da ist er doch enttäuscht. Das ist so ohne Talent. Der Junge sucht sich Zeilen aus verschiedenen Gedichten zusammen, reiht sie aneinander. Meist ist kein Zusammenhang erkennbar.

Am dritten Tag entdeckt der Mann ein Schreiben an den Teufel („Großer Herr und Meister!“).
Nach drei Stunden, ist er über zwei Zeilen nicht rausgekommen. Viele Vorstufen auf dem Boden.
„Hier mit gelobe und verspreche ich Timo Brot folgsamer und geleriger Schüler des Grosen Meisters der“

Das Ende seines Versprechens erfährt der Mann dann erst, nachdem der Junge ihn einige Zeit später verlassen hat. Dann kehrt er den Papierkorb um, streicht das Weggeworfene glatt und er findet die Rechnung.

In verschiedenen Versionen hat der Junge überlegt, wie er das Geld, das er vom Amt kriegen wird, aufteilt. „Drogen“, liest er. Und „Kerzen“. Sowie: „1 Nutte“. Anderswo sind es: „2 Nutten“. „Geld für Peter“, steht auch auf einem Blatt. Und Herrn Satan hat er geschrieben, dass er Gefolgschaft und ewige Treue schwört. Unterschrieben hat der Junge es mit seinem Blut. Timo B. Fünf Buchstaben, mit einer Messerspitze auf das Recyclingpapier gestochert. Wenn so etwas tagelang im Papierkorb gelegen hat, sieht es nach gar nichts aus. Bräunlich verblasstes Gekritzel.