Der Therapeut, der mir zuverlässig durch die Unbilden meiner Kindheit half, war mein Teddy Bulganin, ca. 50 cm groß, eine Wuchtbrumme, und gegen das abrupte Ende seines Lebens hin schon sehr abgeliebt, muss man sagen. Er hatte kaum noch Fell irgendwo und ließ stellenweise sein Innerstes durchscheinen, aber seine treuen Augen glimmten in unseren intensiven Nächten immer noch eulenhaft gelb-braun und gaben mir Zuversicht.
Er war geduldig und hörte mir intensiv zu, denn ich hatte ihm viel zu erzählen, sehr viel. Und da er ja die ganzen Entwicklungen all der Geschehnisse, die mich angingen, nicht wissen konnte, musste ich stets bei Adam und Eva anfangen, an die Wurzeln der Dinge gehen, damit er sie nachvollziehen konnte. So habe ich durch ihn gelernt, zu hinterfragen, mich mit allem auseinanderzusetzen, den Ursachen nachzuforschen, eine Abfolge logischen Denkens zu entwickeln und mich nicht abspeisen zu lassen. Es war ein guter Gesprächstherapeut, der mir da nächtlich zur Verfügung stand.
Viele von meinen Betrachtungsweisen sind ohne mein Zutun „den Leuten“ sauer aufgestoßen, auch später im Leben, haben ihnen nicht gefallen, denn meine Art zu sein, hatte ungewollt immer schon etwas Katalysatorenhaftes an sich, das Leute auf die Dauer abschreckt. Denn wer wird schon gerne auf sich selber zurückgeworfen, wenn er sich lieber nicht so genau selbst erkennen will.
Ein guter Freund, der in etwa das gleiche Problem hat wie ich, allerdings ohne Teddy, der Arme, schnaufte ungeduldig, als ich ihm meine Situation mit den Worten erklärte: „… dabei habe ich doch nur geschaut!“ Er brachte es auf den Punkt: „Nein. Du schaust nicht. Du willst wissen!“
Ich denke, dass die glücklichen langen Therapiestunden mit meinem Teddy Bulganin die Grundlagen für mein Schreiben legten, denn durch ihn habe ich gelernt (s.o.) zu hinterfragen, nach den Ursachen zu forschen, genau hinzusehen, mir so meine Gedanken zu machen aber auch, nicht an der Stirn des Gegenübers stehen zu bleiben, nur so für mich.
Denn nur so kann man schreiben, denke ich, und, wenn man Glück hat, sogar dichten, weil Texte nur dann wirklich gut sind, wenn sie nicht an der Oberfläche bleiben, wenn sie es schaffen, in der Tiefe zu berühren.
Ich musste früh erwachsen werden; nicht nur, weil mein Vater starb, als ich gerade mal dreieinhalb war. Ich muss so zehn gewesen sein, als ich nach einem Ferienaufenthalt außerhalb, wieder zuhause zurück, zwei eulenhaft gelb-braune Glasaugen in die Hand gedrückt bekam, deren Besitzer den Feuertod im Kohleofen hatte sterben müssen, weil er ja „schon überall Holzwolle müllerte“. Aber das sei ja nicht so schlimm, denn immerhin habe ich ja jetzt eine neue Tapete an der Kinderzimmerwand. Meinten die Leute, die mich im wirklichen Leben am liebsten gar nicht wahrgenommen hätten.
Aber dass ich meinen Bulganin überhaupt hatte haben dürfen, war das große Glück meiner Kindheit. Durch seine jahrelange Therapietätigkeit bei mir habe ich sogar gelernt, auch seinen Verlust irgendwie zu verpacken.
© noé/2020
Das Thema wurde dieser Tage wiederbelebt durch Angélique Duviers Gedicht "Teddybär" ...