Ein nachmittäglicher Gedankengang bei Rückenlage
Nach dem Mittagessen auf der grünen Decke des Bettes im Arbeitszimmer zu entspannen, hat sich im Rentenalter zu einer angenehmen Gewohnheit entwickelt. Die Gedanken haben Freilauf. Sie dürfen mir auftischen, was sie wollen, und ich darf mir Notizen machen.
So kam einmal dieser Text zustande:
***
Wenn jemand etwas schreibt, um flüchtigen Gedanken eine gewisse Überlebenszeit zu schenken, dann hat das Geschriebene einen Wert, auch wenn alle eventuellen Leser es als "wertlos" bezeichnen sollten.
Wenn jemand etwas schreibt, dem der wankelmütige Schreiber selbst das Prädikat "wertlos" ausstellt, dann hat das Geschriebene dennoch einen Wert, der vielleicht erst in der Zukunft erkannt wird, oder auch nie. Der Wert liegt in beiden Fällen darin, dass jemand mithilfe seiner Gedanken etwas geschaffen hat.
Oder eine Frau sieht auf dem Nachhauseweg ein zerknittertes Stück Papier. Sie hebt es auf, weil es den Gehsteig verunziert. (Frauen sind diesbezüglich wertvoller als Männer.) Da sieht sie, dass es sich um ein Porträt handelt, von dem allerdings nur der Kopf und eine offene, erhobene Hand zu erkennen ist. Der Rest ist verschmutzt. Zwei Zeilen ganz unten sind gut lesbar:
"Die Erde ist der Hort des Lebens,
den Zwilling suchen wir vergebens."
Die Frau wird nachdenklich.
Ihr Mann sagt später: "Dieses Stück Papier ist total wertlos. Es gehört in die Mülltüte." Die Frau dagegen meint, in ihm einen symbolischen Wert zu erkennen. Ihr drängt sich das Gefühl auf, jemand hat dieses Bild auf den Gehsteig gelegt, damit sie es findet. Sie nimmt das Bild mit dem mystischen Text vorsichtig in ihre Hände und legt es behutsam zwischen zwei Seiten eines Buches, das sie vor Kurzem gelesen hatte.
Alles hat irgendeinen Wert. Nichts ist wertlos!
Oder jemand bastelt seiner Frau einen Hocker. Auch wenn sie ihn dann nie benutzt, weil er ihr zu wackelig ist oder nicht die richtige Farbe hat, hat er dennoch einen Wert, der Hocker. Für den Mann. Weil er etwas geschaffen hat. Mit seinen Händen und seinem Werkzeug.
Alles, was geschaffen wird, hat einen Wert. Nichts ist wertlos!
Nicht nur das von Menschen Geschaffene, auch das von Pflanzen und Tieren. Das von der Sonne, dem Regen, dem Wind und - durch deren Mithilfe - den Meeren, den Bergen, den Mutterböden.
Dies gilt nicht nur für die Erde. Jede Sonne, jeder Planet, jedes Staubkorn im sonst leeren Raum des Weltenraums schafft etwas von Wert.
Alles in ihm hat eine Aufgabe, schafft etwas, ist wertvoll.
Leben entstand - entsteht - aus dem Leblosen des Universums.
Nichts ist wertlos!
"Wertlos", wie auch "Zufall" oder "Zeit", sind menschliche Begriffe, es gibt unzählige. Durch solche Begriffe erleichtert sich der Mensch das Leben.
Bei Verwendung von menschlichen Begriffen gilt äußerste Vorsicht. Sie sind kurz, prägnant, aussagekräftig und kommen leicht über die Zunge, aus dem Mund. Doch beinhalten sie auch die Wahrheit?
***
Solche Dinge flüsterten mir die Gedanken damals zu. Ihr Vortrag endete mit einer Frage. Typisch!
Danach zogen sie sich wieder in ihre Windungen zurück. Ich zog mich von der grünen Decke des Bettes im Arbeitszimmer zum Schreibtisch in demselben und notierte das Erfahrene, überzeugt davon, dass auch die eigenen Gedanken nicht immer die Wahrheit erzählen.
Aber das hat in diesem Zusammenhang keine wesentliche Bedeutung.
© Willi Grigor, 2017
Kommentare
Deine während der Mittagsruhe unter grüner Decke aufgeschriebenen Momentgedanken gefallen mir, lieber Willi, sind wertvoll für mich und werden mich durch den Nachmittag begleiten, danke dafür.
LG - Marie
Danke für deine Aussage, Marie.
Sie wird mich über den Nachmittag hinaus begleiten.
LG
Willi
Das ist ein Text, der Inhalt hat -
Drum fand er auch beim Leser statt!
LG Axel
Auch dein Satz, Axel, es erklärt:
Das was man schreibt, hat einen Wert.
LG
Willi