Stumme Worte an eine Sterbende

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von Willi Grigor

Trauer ist ein lieber Gedanke an das, was einmal war.

Einen Menschen in den Tod zu begleiten, muss doch unsäglich schwer sein..., habe ich in meinen jüngeren Jahren oft gedacht.
Dieser Gedanke hat mich lange begleitet.

Im März 1982 lag der Vater im Sterben, Krebs. Wir hatten die Fähre von Göteborg nach Kiel gebucht, wohnten bereits in Schweden. Ein plötzlicher Krankheitsfall der Kinder verschob die Reise nach Düsseldorf um eine Woche. Wir kamen zwei Tage zu spät.
Die Mutter starb neun Jahre später, 1991. Mein Bruder fand sie leblos in der Badewanne.

Bei beiden kamen wir zu spät.

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Erst spät, 1998, kam dieses "unsäglich Ungewisse" zu mir. Im Angesicht des Todes dieses Menschen, mit ihrer Hand in meiner, wurde ich ein anderer Mensch. Wir konnten nicht mehr miteinander reden, aber wir fühlten miteinander, hatten Kontakt. Ein kleiner Ruck ihrer Hand war die schließliche Bestätigung, dass unser menschlicher Kontakt endgültig gebrochen ist.
Trauer machte sich bemerkbar, aber eine nicht erwartete, gewisse Freude ließ sich - bis an den heutigen Tag - nie ganz unterkriegen. Die Freude über die gewesene Gemeinsamkeit.

Ich dachte zurück an meine Eltern, und daran, dass ich bei ihrem Tod nicht ihre Hand hatte halten dürfen.
Die Freude über unsere gewesene Gemeinsamkeit ist geblieben.

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Wenn wir einen Menschen verlieren,
zu dem man eine enge Beziehung hatte,
sind wir traurig.
Traurig sein zu können ist menschlich.
Traurig sein zu dürfen ist etwas Positives.
Trauer ist genauso groß wie das, was man verlor.

Nach der Trauer kommen die frohen Gedanken,
die schönen Erinnerungen an den Menschen,
mit dem man lange Zeit durch das Leben gegangen ist.
Frohe Gedanken an eine nicht mehr lebende
Person zu haben, ist menschlich, etwas Positives.
Trauer ist ein lieber Gedanke an das, was einmal war.
Sage Danke an das Leben, dass es war so wie es war.

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Sage Danke an das Leben
für sein Maß an Freundlichkeit.
Du darfst froh dich an es lehnen,
wenn es ruft: Es ist soweit.

Denn das Ziel ist nicht das Streben
in der kurzen Erdenzeit.
Es ist - wer weiß - ein stilles Schweben
in dem Licht der Ewigkeit.

Du wirst sie alle wiedersehen,
dort wo Freude herrscht, nicht Streit.
Du wirst des Lebens Sinn verstehen
und spüren reine Dankbarkeit.

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Sie lag regungslos im Bett eines Krankenhauses, konnte nicht mehr mit uns kommunizieren. Aber wir sprachen zu ihr, wollten glauben, dass sie uns versteht und gaben ihr regelmäßig den kleinen, feuchten Schwamm in den Mund, so wie es die Krankenschwester uns gesagt hat. Wir hielten ihre Hände in unseren und spürten ihren Puls.
Wir, meine Frau und ich, begleiteten zum ersten Mal einen Menschen in den Tod: die Mutter meiner Frau, meine Schwiegermutter. Am

In dem kleinen Raum herrschte eine stille, fast sakrale Stimmung, keine niedergedrückte. Ich sagte tröstende Worte an eine Sterbende, von denen ich nicht wusste, dass ich sie hatte.
Etwas später spürten wir einen zarten Ruck in ihrer Hand, der sich auf unsere übertrug - und danach keinen Pulsschlag mehr.
Ich sah zu meiner Frau und sie zu mir. Mit feuchten Augen hielten wir gemeinsam ihre leblosen Hände in den unseren.

Unsere Sprache hatte keine Bedeutung mehr, nur noch die stummen Worte unserer Gedanken.

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Från födseln går livet
igenom sin tid
och målet är givet
för var individ.

Vid slutet av tiden
tar ljusglansen vid,
ej mörker är döden
men stillhet och frid.

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Dein Weinen war ein Engelsingen,
dein Schmerz der Hoffnung Glanz.
Das Schweigen wird Erlösung bringen
und Klänge, die wie Wellen klingen,
die Zier zum Siegeskranz.

Der Schein von Engeln wird dich tragen
vom Dunkel in das Licht.
Nur Freude zeigt es, Wohlbehagen,
- nicht Zögern, Wanken, scheue Fragen -
dein Lächeln im Gesicht.

Ein Engel warst du schon auf Erden,
lass froh dein Haus zurück.
Die Ewigkeit dein Heim wird werden,
nach hier willst du nie wiederkehren -
dein neues Heim heißt Glück.

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© Willi Grigor, 2020

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