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Eine Geistergeschichte
von
Boz (Charles Dickens).
Aus dem Englischen
von
E. A. Moriarty.
Mit 8 Federzeichnungen
von
J. C. Leech.
Leipzig
Verlag von J. J. Weber.
1844.
Erstes Kapitel.
Marley’s Geist.
Marley war todt, damit wollen wir anfangen. Ein Zweifel darüber kann nicht stattfinden. Der Schein über seine Bestattung wurde von dem Geistlichen, dem Küster, dem Leichenbesorger und den vornehmsten Leidtragenden unterschrieben. Scrooge unterschrieb ihn und Scrooge’s Name wurde auf der Börse respektirt, wo er ihn nur hinschrieb. Der alte Marley war so todt wie ein Thürnagel.
Merkt wohl auf! Ich will nicht etwa sagen, daß ein Thürnagel etwas besonders Todtes für mich hätte. Ich selbst möchte fast zu der Meinung geneigt sein, ein Sargnagel sei das todteste Stück Eisenwerk auf der Welt. Aber die Weisheit unsrer Altvordern liegt in dem Gleichnisse und meine unheiligen Hände sollen sie dort nicht stören, sonst wäre es um das Vaterland geschehen. Man wird mir daher erlauben, mit besonderem Nachdruck zu wiederholen, daß Marley so todt wie ein Thürnagel war.
Scrooge wußte, daß er todt war? Natürlich wußte er’s. Wie konnte es auch anders sein? Scrooge und er waren, ich weiß nicht seit wie vielen Jahren, Handlungsgesellschafter. [6] Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger Administrator, sein einziger Erbe, sein einziger Freund und sein einziger Leidtragender. Und selbst Scrooge war von dem traurigen Ereigniß nicht so entsetzlich gerührt, daß er selbst an dem Begräbnißtage nicht ein vortrefflicher Geschäftsmann gewesen wäre und ihn mit einem unzweifelhaft guten Handel gefeiert hätte.
Die Erwähnung von Marley’s Begräbnißtag bringt mich zu dem Ausgangspunkt meiner Erzählung wieder zurück. Es ist ganz unzweifelhaft, daß Marley todt war. Das muß scharf ins Auge gefaßt werden, sonst kann in der Geschichte, die ich eben erzählen will, nichts Wunderbares geschehen. Wenn wir nicht vollkommen fest überzeugt wären, daß Hamlet’s Vater todt ist, ehe das Stück beginnt, würde durchaus nichts Merkwürdiges in seinem nächtlichen Spaziergang bei scharfem Ostwind auf den Mauern seines eignen Schlosses sein. Nicht mehr, als bei jedem andern Herrn in mittlen Jahren, der sich nach Sonnenuntergang rasch zu einem Spaziergang auf einem luftigen Platze, z. B. St. Pauls Kirchhof, entschließt.
Scrooge ließ Marley’s Namen nicht ausstreichen. Noch nach Jahren stand über der Thür des Speichers „Scrooge und Marley“. Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt. Zuweilen nannten Leute, die ihn noch nicht kannten, Scrooge Scrooge und zuweilen Marley; aber er hörte auf beide Namen, denn es war ihm ganz gleich.
O, er war ein wahrer Blutsauger, der Scrooge! Ein gieriger, [7] zusammenscharrender, festhaltender, geiziger alter Sünder; hart und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen warmen Funken geschlagen hat; verschlossen und selbstbegnügt und für sich, wie eine Auster. Die Kälte in seinem Herzen machte seine alten Züge erstarren, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht voll Runzeln, seinen Gang steif, seine Augen roth, seine dünnen Lippen blau, und klang aus seiner krächzenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag auf seinem Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf den starken kurzen Haaren seines Bartes. Er schleppte seine eigene niedere Temperatur immer mit sich herum; in den Hundstagen kühlte er sein Comptoir wie mit Eis; zur Weihnachtszeit wärmte er es nicht um einen Grad.
Aeußere Hitze und Kälte wirkten wenig auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn wärmen, keine Kälte ihn frösteln machen. Kein Wind war schneidender als er, kein fallender Schnee mehr auf seinen Zweck bedacht, kein schlagender Regen einer Bitte weniger zugänglich. Schlechtes Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der ärgste Regen, Schnee oder Hagel konnten sich nur in einer Art rühmen, besser zu sein als er: Sie gaben oft im Ueberfluß, und das that Scrooge nie.
Niemals trat ihm Jemand auf der Straße entgegen, um mit freundlichen Blicken zu ihm zu sagen: Mein lieber Scrooge, wie geht’s, wann werden Sie mich einmal besuchen? Kein Bettler sprach ihn um eine Kleinigkeit an, kein Kind frug ihn, welche Zeit es sei, kein Mann und kein Weib hat ihn je in seinem Leben um den Weg gefragt. Selbst der Hund [8] des Blinden schien ihn zu kennen, und wenn er ihn kommen sah, zupfte er seinen Herrn, daß er in ein Haus trete und wedelte dann mit dem Schwanze, als wollte er sagen: kein Auge ist besser, als ein böses Auge, blinder Herr.
Doch was kümmerte das Scrooge? Gerade das gefiel ihm. Allein seinen Weg durch die gedrängten Pfade des Lebens zu gehen, jedem menschlichen Gefühl zu sagen: bleib mir fern, das war das, was Scrooge gefiel.
Ein Mal, es war von allen guten Tagen im Jahre der beste, der Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Comptoir. Es war draußen schneidend kalt und neblicht und er konnte hören, wie die Leute im Hofe draußen prustend auf und nieder gingen, die Hände zusammenschlugen und mit den Füßen stampften, um sich zu erwärmen. Es hatte eben erst drei geschlagen, war aber schon ganz finster. Den ganzen Tag über war es nicht hell geworden und aus den Fenstern der benachbarten Comptoirs erblickte man Lichter, wie rothe Flecken auf der dicken, braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Spalte und durch jedes Schlüsselloch und war draußen so dick, daß die gegenüber stehenden Häuser des sehr kleinen Hofes wie ihre eignen Geister aussahen. Wenn man die trübe, dicke Wolke, Alles verfinsternd, heruntersinken sah, hätte man meinen können, die Natur wohne dicht neben an und braue en gros.
Die Thür von Scrooge’s Comptoir stand offen, damit er seinen Commis beaufsichtigen könne, welcher in einem unheimlich feuchten, kleinen Raume, einer Art Burgverließ, [9] Briefe copirte. Scrooge hatte nur ein sehr kleines Feuer, aber des Dieners Feuer war um so viel kleiner, daß es wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen, denn Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer und allemal, wenn der Diener, mit der Kohlenschaufel in der Hand, hereinkam, meinte der Herr, es würde wohl nöthig sein, daß sie sich trennten. Worauf der Diener seinen weißen Shawl umband und versuchte, sich an dem Lichte zu wärmen, was, da er ein Mann von nicht zu starker Einbildungskraft war, immer fehl schlug.
„Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!“ rief eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooge’s Neffen, der ihm so schnell auf den Hals kam, daß dieser Gruß die
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A Christmas Carol in Prose, Being a Ghost-Story of Christmas (wörtlich Ein Weihnachtslied in Prosa, oder Eine Geistergeschichte zum Christfest, deutsch meist Eine Weihnachtsgeschichte) ist eine der bekanntesten Erzählungen von Charles Dickens. Sie wurde im Dezember 1843 mit Illustrationen von John Leech erstmals veröffentlicht.