Der Mann nimmt den Jungen nach Hause mit. Peters Zuhause ist eine Einzimmerwohnung in einem Mietshaus, in der Gegend vom Bahnhof. Um hinzukommen müssen die beiden die innere Stadt durchqueren. Es ist Nacht. Ihnen begegnet keiner außer den drei Arten Mensch, die man nach Mitternacht in Reuenthal noch treffen kann. Polizisten, immer zu zweit, in grün-weißen Streifenwagen, Taxifahrer, die viel schneller fahren als die Polizei, sowie einzelne Rentner auf Fahrrädern von der Wach- und Schließgesellschaft. Es regnet, ganz leicht nur. Der Mann hat in der einen Hand den Schirm, mit der anderen schiebt er das Rad. Der Junge wird noch nässer. Sie sprechen nicht viel.
In der Wohnung, hinter der Eingangstür, lässt der Mann ihn die Schuhe ausziehen. Er fragt, ob er was essen will. Der Junge sagt, dass er keinen Hunger hat. Aber wenn der Mann jetzt noch was isst, wird er ihm Gesellschaft leisten.
Es gibt Brot, Lyoner, Senf, Essiggurken, Tomaten, Apfelsaft. Der Junge würde eine Cola trinken, aber davon hat der Mann nichts da. Peter würde ihn gern mit Alkohol abfüllen, damit er sich vielleicht zu was bringen lässt. Er hat Bier, auch Schnäpse. Der Junge mag kein Bier, auch die starken Sachen nicht, Cola mit Bacardi würde er jetzt trinken.
Sie rauchen. Der Mann fasst die verschiedenen T-Shirts, die der Junge übereinander trägt, an der Brust vorne an. Vorgeblich, er wäre besorgt, der Junge könnte sich erkälten. In Wahrheit, weil er aus den Besuchen Tobis was gelernt hat. Nämlich, dass man zügig klarstellen soll, dass es das Bett für die Gäste nicht gibt, wenn sie sich dann zu bockig anstellen.
Der Junge findet es doof, dass es in Peters Küche so zwielichtig ist. Der Mann erklärt, das Lämpchen an der Ablufthaube hat halt nur 30 Watt. Er sagt, dass er eigentlich Lehrer wäre, aber arbeitslos, seit Jahren schon. Zuletzt hatte er drei Tage in der Woche gearbeitet. Bis zum heutigen Tag wird dieses Netto seiner Arbeitslosenhilfe zu Grunde gelegt. Was ihm sagen soll: Er hat kein Geld zu verschenken.
Der Junge hat auch keine Arbeit. Er kriegt im Moment aber nichts, weil er die letzten zwei Jahre nämlich bei einem Schwulen gewesen ist, drüben in Reiselfingen. Da hat er nicht arbeiten müssen. Weil ihn eben dieser Reiselfinger sozusagen ausgehalten hat. Seit zwei Wochen ist er jetzt weg von da. Heinz heißt der. Er geht niemals wieder zurück zum Heinz, weil dieser Reiselfinger ein Arschloch ist. Der hat ihn ausgenutzt. Er wird sich dann halt eine Arbeit suchen, ist egal, welche. Am Montag geht er zum Arbeitsamt. Dort geben sie ihm seinen Vorschuss.
Der Lehrer findet, dass solche Arbeitsämter einem erst mal gar nix zahlen. Der Junge hat doch nie was eingezahlt. Er muss den Antrag beim Sozialamt einreichen.
„Ich geh nicht zum Sozialamt.“
Timo ist sicher, das Arbeitsamt muss ihm was geben. Auch in bar, wenn er das will. Er kennt Leute, die haben es gesagt. Anschließend an den Heinz hat er bei paar anderen Schwulen übernachtet. Bisschen Stricher gemacht. Geht so nicht weiter.
Die Zigaretten sind aus. Der Lehrer geht und holt am Automat. Es regnet immer weiter. Der Lehrer fragt sich, ob der Junge was anstellt, wenn man ihn nicht kontrolliert. Aber sind nur vier Minuten. Der Mann weiß, dass keine Mark frei rumliegt. Anlage und seine CD-Sammlung wird der mitten in der Nacht nicht wegtragen. Der will auch mal schlafen.
Als er zurück ist, hat der Junge Licht angemacht und kauert am Bücherregal.
„Der Seelensucher. Klingt interessant. Du hast so viele Bücher.“
Das sagen sie alle, die der Lehrer mitnimmt. Es nervt.
„Ich bin auch ein Lehrer“, sagt der Mann und er lacht in sich hinein.
Die ganze Zeit interessiert ihn vor allem die obere Körperhälfte vom Jungen. Der hat sich die nassen Oberteile ausgezogen und erscheint mit einem Mal blendend nackt, vom Gürtel ab aufwärts natürlich.
Der Mann, der die Camel-Packung in der Hand hat, denkt nicht drüber nach, ob noch einer irgendwo wach sein könnte oder jetzt schon wieder wach sein könnte, Frühstück löffelt, rüber starrt zu ihnen. Der Mann streckt die Hand vor und berührt den Jungen an der Haut in der Mitte von dieser blendenden Brust.
Da an dieser blauen, sauhässlichen, etwas verwischten Tätowierung.
Ein schief ausgeführtes, riesiges Kreuz, es steht auf dem Kopf.
„Weißt du, was das ist?“
„Ein umgekehrtes Kreuz.“
„Das bedeutet, dass ich ein Diener des Satans bin“, sagt Timo.
„Ja“, sagt der Mann.
Er streicht über diese Brust. Die Brust, für sich genommen, ist schlicht herrlich. Haarlos und ein wenig männlich. Er hat ganz gut Muskeln. Fett hat er keins. Am Bauch auch nicht. Unter dem Nabel beginnt ein dünner Streifen und läuft in die Hose runter.
„Ich hab das Zeug ausgezogen. Ist alles nass.“
Timo sagt nichts, weil der Mann ihn so anstarrt, die Hand nicht wegnimmt. Der Lehrer merkt, dass sein Schwanz steif wird und sogar ein wenig ausläuft.
Er lässt ihn gehen. Er rennt in die Küche, wirft die Camels auf den Tisch. Aufgeräumt hat der Junge nicht. Die Shirts hängen verwurstelt über der Lehne vom Stuhl. Der Mann nimmt und schnüffelt. Dass sie riechen würden, kann man nicht behaupten, man muss sagen, sie stinken.
„So kannst du das nicht liegen lassen! Das muss trocknen. Morgen wasch ich dann alles.“
Der Mann geht und hängt die Shirts an die Heizung, da dürfen sie stinken, die ist aus.
Der Junge vor den Büchern.
„Die Stadt der Wunder. Hast du auch richtige Bücher? Oder nur so Romane?“
„Ich rauch noch eine. Kommst du?“
„Moment.“