Gefährlicher Sommer (Teil 17; Text 3)

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von Annelie Kelch

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Zwischen Hochmut und Demut steht ein drittes,
dem das Leben gehört; und das ist einfach der Mut.
(Theodor Fontane, Cécile)

Das Konzert (Kapitel 17; Text 3)

Die Laube war leer, als ich zurückkehrte, verlassen und öde, liebe Christine, und mich plagten sogleich Verlustängste. – Was hatte ich nun schon wieder angestellt oder vom Stapel gelassen, dass Hannes mich einfach versetzte?

„Hallo, Katja?!“ – Ich wandte mich um.

Kröger kam über den kleinen Rasen neben Opas Garten auf die Laube zugestiefelt und suchte meinen Blick. „Hannes kommt gleich. Er wollte nur noch mal zu Selmas Haus, um nachzuschauen, ob bei Kora alles in Ordnung ist. Selma spielt nämlich schon die ganze Zeit mit Leni und deinen Großeltern Karten. Sie war bloß ganz kurz zu Hause und hat Koras Kleid einge­weicht. Ich wünschte, Hannes wäre immer so fürsorglich. Es tut mir sehr leid, dass dir vorhin im Auto schlecht geworden ist. Ich bin doch hoffentlich nicht zu schnell gefahren?“

„Nein, keineswegs, Herr Kröger, Sie sind ganz hervorragend gefahren. Es ist wirklich nicht Ihre Schuld“, stammelte ich. – Übrigens, Christine, du hast mir immer noch nicht geschrieben, wie man höfliches Benehmen loswerden kann. Es gibt nämlich Fälle, in denen Höflichkeit ganz und gar unangebracht ist. Und es gibt Menschen, denen gegenüber man unter gar keinen Umständen höflich sein sollte, weil sie anderenfalls frech werden. Höflichkeit haben die nie gelernt und können sie deshalb nicht vertragen. Axel Kröger hatte auf mich bislang zwar keineswegs diesen Eindruck erweckt, aber möglicherweise unterhielt ich mich mit einem Wilderer der übelsten Sorte.
Vermutlich ist Kröger nur deshalb so freundlich zu mir, weil er weiß, dass ich Knuts Mörder finden will, überlegte ich fieberhaft. Er will auf gar keinen Fall, dass ich ihn verdächtige.

„Ist auch sonst wieder alles in Ordnung mit dir?“, fragte Kröger besorgt.

„Ja, vielen Dank, Herr Kröger, es ist alles in bester Ordnung“, versicherte ich, nachdem sich mir einen Moment lang die Frage aufdrängte, was er mit „sonst“ gemeint haben könnte.

„Da kommt Hannes.“ Kröger deutete zum Herrenhaus hinüber, um dessen Ecke Hannes gerade bog, in einem Affenzahn, als sei er hinter Helge her oder umgekehrt.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Katja“, rief er mir schon von Weitem zu, „aber ich wollte bloß schnell mal nachsehen, ob bei Kora alles in Ordnung ist. Tante Selma spielt nämlich Karten bei deinen Großeltern. Die gute Leni ist auch mit von der Partie.“

„Ja, ich weiß“, sagte ich. „Dein Vater hat es mir soeben erzählt.“

„Was machst du denn hier Papa?“ Hannes sah seinen Vater entgeistert an.

„Iiiich“, begann Kröger und zog belustigt seine Augenbrauen hoch. „Ich wollte euch beiden lediglich eine gute Nacht wünschen. Bleibt nicht mehr so lange hier draußen. Ich bin jedenfalls hundemüde und lege mich schlafen.
Ach – und ich hoffe sehr, dass ich keine Schwierigkeiten haben werde, in meinen Pyjama zu kommen“, lächelte er und zwinkerte mir zu.

Ich wurde rot bis über beide Ohren. Hannes sah mich verständnislos an.

„Was meint mein Alter damit, Katja?“, fragte er, als Kröger um die Hausecke gebogen war.
Ich beichtete ihm mit knappen Worten den Pyjama-Streich (Hannes hörte amüsiert zu, liebe Christine. Dann fragte ich atemlos: „Und was ist mit Helge?“ –

„Er ist es!“, sagte Hannes – feierlich und wütend zugleich.
„Er ist was?“, fragte ich.
„Mensch, Katja. Du kannst vielleicht blöde Fragen stellen.“
„Er ist der Maskenmann. Helge ist der Masken­mann und niemand anderer sonst.“
„Woher willst du das so genau wissen?“, fragte ich aufgeregt.
„Ich hab die schwarzen Klamotten und die Maske im Kuhstall gefunden“, sagte Hannes mit unverhohlenem Triumph in der Stimme. „Sie liegen in einer alten grünen Bade­tasche, die er ganz oben ins horizontale Gebälk gequetscht hat.“
„Wie hast du das Versteck gefunden?“, fragte ich erstaunt. „Machst du neuerdings Klimmzüge im Kuh­stall?“
Hannes grinste. „Nein, Katja. Ich bin im Wald hinter dem Maskentyp hergefahren. Zu meiner großen Überraschung schlug er den Weg zu den Feldern hinter dem Gut ein. Ich ließ das Fahrrad Fahrrad sein – mein Gott, das Fahrrad, gewiss vermisst es jemand total – , und schlich hinter dem Kerl her. Glücklicherweise steht der Weizen dort noch höher als das Gras auf den Wiesen hinterm Lachauer Kuhstall. Und jetzt kommt der absolute Clou: Du wirst es nicht glauben, liebe Katja, aber der Typ ging als Maskenungeheuer in den gefähr­lichen Winterweizen, darin unsere bezaubernde Kora, der du heute schamlos aufs Kleid gekotzt hast, ihr kleines Geschäft verrichtet hat, wonach sie prompt entführt wurde, und kam als Helge wieder heraus, die schwarzen Klamotten unter den Arm geklemmt.“
„Ich konnte wirklich nichts dafür, Hannes“, wandte ich verlegen ein. „Mir war spei­übel, auch deshalb, weil ich Angst um dich hatte."
„Weiß ich doch.“ Hannes lächelte glücklich und legte seinen Arm um mich.
„Wie konnte Helge nur so unvorsichtig sein? Das will mir einfach nicht in den Sinn“, überlegte ich.
„Na ja“, sagte Hannes, „mein Vater war im Konzert, Heiner weilte bei seiner Tante zu Besuch oder befindet sich immer noch dort, und Leni, unser schnarchender Hausdrache, sitzt mit stoischer Ausdauer beim sonntäglichen Kartenkloppen. Uns wähnte er eben­falls im Konzert, das heißt, natürlich wusste er genau, dass wir im Konzert waren ..."
„Aber weshalb dann diese Maskerade? Wen wollte er damit erschrecken?“, fragte ich erstaunt. „Irgendwie scheint mir die Sache nicht ganz plausibel zu sein.“
„Katja“, seufzte Hannes. „Du bist vielleicht manchmal be­griffsstutzig. „Der hat die ganze Zeit am Waldsaum gelauert. Irgendwann hätte schon jemand zu ihm hinübergeschaut. Und so weit stand er ja nun auch nicht von uns entfernt, als dass wir ihn nicht als ,Maskenungeheuer', denn das wollte er zweifellos sein, identifiziert hätten, zumal wir ja bereits des Öfteren dieses zweifelhafte Vergnü­gen hatten. Der wollte uns den Spaß verderben. Das typisch für solche Scheißkerle.“
„Und was hätte er gemacht, wenn zum Beispiel dein Vater ihn entdeckt hätte?“, fragte ich, äußerst gespannt, was Hannes darauf antworten würde.
„Das ist dem doch piepegal. Der Kerl geht über Leichen“, sagte Hannes.
„Wo ist Helge jetzt?“, fragte ich.
„Vermutlich in seinem Zimmer, Katja. – Wieso? Willst du ihn besuchen?“, grinste Hannes.

***
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, liebe Christine, war mein erster Ge­danke: Morgen fährt Hannes nach

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