Prosa und Prosagedichte
Ich gehe den Wald hoch, in der Hoffnung den Frühling zu treffen, aber den einzigen, den ich treffe in diesem Kahlschlag, bin ich selbst. Wir grüßen die stehengelassenen Föhren, die in Gib-acht-Stellung im Wind stehen. Sie schicken uns eine Antwort in Form von einigen trockenen Blättern vom Vorjahr; die Mitteilung lautet: "Die Zeit läuft, vergiss nicht den Kompass, die Landkarte liegt auf dem Boden"
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Wie wenn Regen fast nur rieselt
und die Stunden ähneln nichts.
Hinterm Ausblick gibts ein Sachte,
das doch auch ein Fast-nur ist.
Frühling, Lenz ist noch nicht hier,
nur beinahe, nur beinahe,
und auch du bist gar nicht hier,
nur beinahe gar nicht hier.
Regen hörte auf zu fallen,
Erde unter unsren Füßen.
Unsre baren, nassen Füße
sind nun hier und fast nur hier.
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Mitten in einem ungezügelten Schneefall Ende März, weißnasse Gobelins kommen und ziehen vorbei - irgendwo in dem nassen Weißen hört man die Paarungstrompeten von Singschwänen, sie lieben sich durch den endlosen Schneeregen!
Anstelle von Schneewehen und wachsenden Schneepflugwänden kommt ein Wurf grauer Schwäneküken unter dem Weibchen gekrochen, die knallgelben Sumpfdotterblumen leuchten und der Birken Karelien-weiße Stämme spiegeln ihre Galerie im dunklen Wasser des Teiches.
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Ein Tag kam,
ein anderer ging, er bewahrte
sich nicht, er verblieb uneingeschlagen,
aber das Grün machte weiter, so wie das Grün es tut
und tun soll.
Es gab die, die dachten:
Es ist eine Freude zu leben.
Unfassbar, dachten die anderen,
aber die Puppe eines Schmetterlings
brauchte nur einige
Gramm Licht, plus
etwas Theorie.
Das Dunkel fällt nicht, kam mir gerade in den Sinn,
das Dunkel steigt, von den Fersen nach oben.
Luft ist immer noch gratis, das Grün
schreitet fort, alles schreitet fort,
und die Toten sind dabei,
sie sind es, die das Ganze aufleben lassen,
und die Wolken natürlich,
sie segeln niemals vergebens
vorbei.
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Vieles scheint lange her zu sein, obwohl das Leben so kurz ist. Wie eine Falte auf der Stirn von einem sonnengebräunten Vormittag. Der Duft von frisch gebackenem Brot und der Schatten der ersten Hummel des Frühlings auf der Außenseite des Küchenfensters. Die Kriege behielten Distanz, sie hatten nicht genügend Platz auf der Unterseite der Wachsdecke. Sirup auf das noch warme Brot, Milch aus der Speisekammer.
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Wenn der Regen sich nähert,
ein Flüstern hinter den Wolken,
du gehst dort mit deinen alten Schritten,
du träumst nicht, du bist nicht wach,
du gehst vorbei und nach vorne,
der Stein lächelt zu dir,
ein Zweig streichelt deine Wange,
du bist auf dem Weg durch das Leben,
vielleicht im letzten Kapitel,
aber das spielt keine Rolle:
Die Krähe dort irgendwo im Astwerk weiß,
sie versucht, dich zu unterweisen,
es spielt keine Rolle,
und das weiß sie.
Ich borge mir ein wenig von ihrer Luft,
ich weiß, dass ich ihr vertrauen kann,
ich weiß, dass ich auf dem Weg bin,
aber sie ist es, die weiß wohin.
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Es kamen fahrende Händler, eine Art Sendboten aus einer entlegenen Welt. Ein paar neue Gummistiefel konnten fast einen Monat lang gummiduftende Freude verbreiten. Die Fußeinlage glänzte im Dunkeln, der Saum musste hinten und gerade sein. Ein benutzter Gummi am Parkplatz für Holztransporter konnte eine gewisse Erregung hervorrufen, mit einem Birkenzweig fummelte man daran herum und die ganze Welt wackelte. Es gab ein Leben unter dem Leben, in dem man sich befand, eine Welt des Unfassbaren. Nachdem alle nach Hause gegangen sind, saß man am Schwimmsteg, sah, wie dunkle und schnell vorbeihuschende Fische ihre eigenen Schatten im Sonnenuntergang jagten. Und die Luft kühler, das Brausen knasterte unter dem Fahrradreifen und Milch sollte geholt werden.
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Bald wird es regnen,
der Regenbogen ist schon aufgespannt
quer über den Hänsee,
ein junges Mädchen, das weiß
was Sehnsucht nach Walderdbeeren bedeutet,
es geht über den Weg, was nicht mehr ist
als einige Längenkreise.
Und bald der Regen,
weich über die Axeln,
bevor er durch die Watte
und bis zur Haut dringt.
Du weißt nicht, was du mit ihm machen sollst,
dem Regen, dem Leben oder
dieser Hand, die will, dass du sie hältst,
vielleicht in einem Park,
wenn der Wind den Regen wegfegt,
und du weißt,
dass glücklicher als so
du nicht werden wirst,
oder immer warst.
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Ich ging, wo ich gegangen bin, Abenddämmerung und über dem Weg, über dem Berg, hinunter ins Dorf, den Fluss entlang ... Der letzte Tag im April, mehr Frühling im Kalender als in der Luft, aber der Strom rauscht, die Buschwindröschen zittern und den Brachvogel kann ich gehört haben. Die Hunde bellen wie wild und im Chor, und bald sieht man den Rauch vom Feuer auf der Wiese neben dem Fußballplatz. Kinder und Alte, ältere und jüngere, einige knapp unterhalb denen mit Mittelmaß. Dies ist Landleben und das ist verdammt gut: dass man sich trifft und feiert, weil der Frühling jeden Tag kommen kann - von der Tenne Musik durch die Gegend ging ...
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Nun, da ich alt bin, bin ich nicht alt,
ich bin ebenso neu, wie der Tag neu ist,
und ich weiß, dass ein Grashalm
mehr ist als das,
ständig rinnen die Tage
durch der Zeiten Fluss,
aber nicht nur durch ihn - auch durch uns,
die wir am Strand stehen und schauen.
Wollte etwas über die Tanne sagen,
sie, die die Braut des Waldes ist,
ihre Blüten sind hellrot,
wie der Nagellack der Heiligen Birgitta,
sie wiegt sich im Takt mit dem Wind,
sie lehrt den Spielmännern
den Takt zu halten, ihre Wurzeln
streicheln das Moos
auf verführerische Weise.
Das Leben ist kurz,
aber die Kunst währt lang.
Solange es noch Wälder gibt,
gibt es auch Hoffnung.
Des Waldes große, tiefe Lunge
macht es uns möglich,
eine kurze Weile auf der Erde
zu leben.
Der Wald und wir stehen
Seite an Seite, das
heißt: wenn der Wald
verschwindet, bleibt nurmehr
Schatten übrig.
Das Leben könnte genauso einfach sein
wie es ist, die Atemzüge
in irgendeiner Art Takt,
ein Blick hinein in
das Unergründliche,
ein Sommerabend, der
sich selbst nicht ähnelt,
zwei Kraniche, die nicht richtig wissen,
was zu tun mit ihrer angeborenen Liebe.
Der Duft von neu ausgeschlagenen
Maiglöckchen erfüllt uns
mit Andacht,
es gibt
etwas, das größer ist als Geld,
es gibt
eine Hoffnung, wie in einem Gedicht
von Arne Garborg.
Aber der Wald steht noch
da an des Weges Rand.
Regen würde beglücken
alle diese Wurzeln,
die gleich irrende Flüchtlinge
versuchen, nachhause zu finden.
Børli steht auch dort,
er denkt an etwas anderes,
aber in der Hosentasche hat er ein Gedicht,
es handelt um die Apotheke
in Alexandria.
Arne Garborg - (1851-1924) norwegischer Dichter
Børli, Hans - (1918-2018) norwegischer Dichter
© Willi Grigor, 2019
Übersetzungen aus dem Buch von 2018 "Jag går där jag gick" (Ich gehe wo ich ging) des schwedischen Dichters Bengt Berg. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.