Es war, als wäre sein Zimmer kleiner geworden. Er saß vor den gelben Wänden und hatte den Eindruck, gleich würden sie auf ihn einstürzen.
Gelb ist eine positive Farbe, das hatte seine Mutter gesagt. Die Farbe des Sommers, der Wärme, des Lebens. Da war schon alles abgeklebt gewesen, sie hielt die Walze in der Hand, den Farbeimer hatte sie mitten in den eben doch viel zu kleinen Raum gestellt. Und weil er nicht widersprochen hatte, sofort angefangen zu streichen. Alles in Gelb. Also hatte er die andere Walze genommen und ihr geholfen.
Fantagelb, dachte er jetzt. Gelb wie reife Zitronen. Gelb wie ein vergilbtes Buch. Zu süß, zu sauer, zu alt. Und da fiel ihm die Liedzeile ein bei Frank Zappa: Never eat the yellow snow. Und er musste lachen. Frank Zappa kannte er von seinen Eltern.
Seine Mutter war alt geworden. Hatte zugenommen, Falten und Schwellungen unter den Augen bekommen. Obwohl er sie immer noch täglich sah, fiel ihm das auf. Das Haar immer ein bisschen zerzaust, weil sie es färbte und es davon geschädigt wurde. Bleib doch einfach, wie du bist, dachte er und sagte es ihr auch. Aber sie hörte nicht auf ihn. Papa würde das nicht gut finden, sagte sie und lachte, dass sich ihr ganzes Gesicht faltig kräuselte. Seine Eltern waren wohl ein glückliches Paar.
Jetzt sah er wieder auf die gelben Wände. Wünschte sich große Widderhörner oder Elefantenstoßzähne, um sie einzureißen. Aber so ging es ja nicht. Also an den PC, die Bilder aufmachen und in Ruhe ansehen.
Er war stolz. Es war ihm gelungen, Bewegungen auf den Fotos einzufrieren, gerade so, dass er sich an sie erinnern konnte. Dass er sah, was er sowieso schon wusste, aber sich trotzdem noch einmal wiederholen wollte: Genau so senkte sie ihren Kopf, wenn sie etwas aus der Durchreiche nahm. Genau so bewegte sie ihren Arm, um nach einem Formular zu greifen. Genau so, sah es aus, wenn sie mit ihrem Kugelschreiber Zahlen in leere Kästchen schrieb. Und er hatte alles ganz unbemerkt aufgenommen. Den Film zu den Fotos gab es in seinem Kopf und er konnte ihn jederzeit abrufen. So war alles erträglicher.
Aber immer häufiger war ihm, als würde die Zeit drängen. Als müsste er sich um etwas kümmern, gerade jetzt und nicht irgendwann. Und gerade das lähmte ihn und ließ ihm das Zimmer immer kleiner werden. Die Luft darin für ihn immer abgestanden riechen, so als würde er zu wenig Sauerstoff bekommen.
Ob sie es wohl wirklich wusste, das fragte er sich oft. Und ob er sich auch nicht irrte. Obwohl er ja immer wieder den kleinen Lichtstrahl sah, wenn ihre Augen von der Theke zu ihm aufsahen. Er leuchtete aus dem Hellblau unter dem schwarzen Kajal heraus, das konnte er sehen. Aber wie sollte er wissen, ob auch seine Iris so leuchtete, wenn er sie ansah. Brauchte sie nicht einen Beweis?
Also schrieb er es auf. Er schrieb kurz und prägnant, so dass es für sie keinen Zweifel geben konnte. Dann sah er sie abends vor der Tür der Bank in der Kälte stehen, ein bisschen schlotternd, schließlich war sie zart und feingliedrig, und auf ihn warten. Sah sie lächeln, wenn er auf sie zuging, und dann sie beide, sie und ihn, zusammen losgehen, irgendwohin. Aus dem gelben Zimmer heraus in die Welt. Sah auch seine Mutter endlich wieder lächeln und spürte, wie sein Vater ihm zufrieden seine Hand auf die Schulter legte. Er schob, was er geschrieben hatte, in einen Umschlag.
Das aber hieß, dass er losgehen musste. Zur Bank, zu ihr. Es war nicht einfach. Aber er entschloss sich. Er nahm wie immer die Scheine für das Wechselgeld mit. Das brauchte seine Mutter in der Bäckerei.
Als er auf die Tür zuging, befürchtete er schon, sie würde sich an diesem Tag gar nicht öffnen. So lange musste er auf sich selbst zugehen, seinen eigenen Gang beobachten, seine hagere Gestalt. Bis endlich die Automatik auslöste, die Schiebetür sich öffnete und er auf sie zugehen konnte. In seiner Jackentasche ertastete er den Umschlag.
Sofort sah er es blond hinter dem linken Schalter leuchten. Er atmete auf. Panzerglas, dachte er zum ersten Mal. Das muss Panzerglas sein, wegen der Bankräuber. Da sah sie schon zu ihm auf und lächelte.
Wie immer schob er die Scheine zu ihr hinüber. Wie immer schob sie ihm die bunten Rollen in der Schublade zu. Das konnten sie beide wortlos und routiniert erledigen.
Tschüss, sagte sie schon. Einen schönen Tag noch. Da blieb er einfach stehen. Und sie sah ihn erstaunt an. Also griff er zu, in seiner Jackentasche, zog den Umschlag heraus und legte ihn auf die Ablage, schob ihn dann unter dem Panzerglas hindurch zu ihr auf die andere Seite.
Sie griff nicht zu. Hielt zögernd die Hände rechts und links über dem Umschlag, als würde er eine Bombe enthalten.
Das ist für Sie, sagte er. Etwas Persönliches. Sie lächelte nervös.
Es ist nicht gefährlich, sagte er also. Jedenfalls nicht für Sie. Sie sah ihn an, ihre Augen flimmerten matt. Er blieb stehen.
Und sie ließ ihre Hände sinken. Den Umschlag hatte er nicht zugeklebt. Sie konnte ihn schnell und ohne Gewalt gegen das Papier auszuüben, öffnen.
Er blieb immer noch stehen. Sie sah ihn noch einmal an, immer noch matt. Dann las sie. Es war ja wenig Text. Sie las und dann starrte sie auf das Papier. Lange. Ohne wieder aufzusehen. Als wären ihre Pupillen magnetisch angezogen.
Dann hörte er das erste Glucksen. Es stieg in ihr auf wie aus einem Brunnen. Ging direkt über in ein helles Kichern, so hell und sonnig wie gelbe Zitronen. Das schüttelte sie eine ganze Weile lang.
Er blieb stehen. Ein paar Sekunden lang noch. Die Kolleginnen an den Schreibtischen sahen auf. Grinsten. Er drehte sich um und ging wieder auf die Schiebetür zu. Seine hagere Gestalt, sein Gang, sein Kopf. Dann ihre Stimme hinter ihm.
Warte doch!
Aber dafür war es schon lange zu spät. Ihre Schritte hinter ihm, ihre Hand, die versuchte, irgendwie nach ihm zu greifen. Das interessierte ihn alles schon lange nicht mehr. Er war schon am Auto angekommen. Ließ den Motor beim Start gleich aufheulen. Sie rüttelte tatsächlich an der Fahrertür. Er fuhr an, wie er es in der Fahrschule gelernt hatte. Sie hüpfte zur Seite. Er schaute nicht mehr in den Rückspiegel.
Zu Hause ging er gleich in sein Zimmer. Schaltete den CD-Player an und machte es sich gemütlich. Las in einem Krimi und sah ab und zu auf.
Am Schalter
von Tanja Grün
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