Hier stand ich in dieser langen Warteschlange, soweit hatte ich es immerhin gebracht.
Da piekte mir mein Hintermann in den Rücken. Ich drehte mich schnell um, er stand
regungslos da, den Blick zur Decke gerichtet. Die Schlange rückte voran, ich war dran.
„Ihre Halsgröße bitte!“, fragte der Verkäufer, ohne mich anzusehen. „Wie bitte?“, fragte
ich verständnislos zurück. Der Verkäufer sah auf, er blickte sehr ernst. Er nahm ein
Maßband, legte es mir akkurat um den Hals, maß den Umfang und verglich den Wert
mit seinem Display. Heftig schüttelte er den Kopf und versuchte ruhig zu atmen. Die
anderen Kunden starrten an die Decke. „Der nächste!“, rief er angewidert. In diesem
Moment begriff ich – mein Hals entsprach nicht der Norm – und dann fing ich an zu
lachen. Ich drehte mich um, die meisten Leute hatten Hälse etwa so dünn wie eine
Zahnpastatube. Das Lachen blieb mir im Hals stecken. Hinter mir Gemurmel, Murren,
Füße scharren, die Menge schubste mich voran. Weiter als bis zur Ladenkasse kam
ich nicht. Hatte ich bis dahin angenommen, dass mein Hals völlig normal gewachsen
war, wurde ich jetzt eines Besseren belehrt. Mein Hals war kräftig gewachsen. Bestürzt
senkte ich den Blick – und betrachtete meine schmalen Handgelenke. So also musste
ein Hals sein! Ich fasste Mut und schaute mich noch einmal um. Niemand hatte so
schmale Handgelenke wie ich!
Waghalsig
von Monika Jarju
Prosa in Kategorie:
Noch mehr von der Persönlichkeit → Monika Jarju