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denke ich und bestelle eine Pizza. Und Cola, das bestellt der jedenfalls amtlich jetzt mindestens Achtzehnjährige sich auch gerade.
Ich sehe ihm zu, na ja, er denkt sich nichts dabei, hab Gnade, er meint es nur lieb, schau, dass er sich bloß nicht irgendwann gedemütigt fühlt von dir. Währenddessen versucht der junge Riese, uns eine Unterhaltung unter Männern aufzudrängen.
Ihm fällt aber nichts ein. Nur diese Pasta vom Beckinger und die Pizze des Beppos oder Tonis. Derweil verdrücke brav ich die Art von Hefeteig-Cola-Schnellgericht, die man überall nachgeschmissen bekam.
Beppo oder Toni, ein gut genährter Mann mit vielen Lachfältchen und einem grau werdenden Schnauz, tritt an den Tisch. Der Adonis lässt ein Helau vom Stapel, der Italiener, Beppo oder Mario, ein umgänglicher Mann, hat sein Herz am rechten Fleck. Meinen hübsch anzusehenden Freund muss er seit mindestens dessen Einschulung schon kennen, ihm geholfen haben, das Schlüsselkind von Beckingen mit hochfeiner Pizza und Pasta aufgepäppelt haben. Sie sind sich so gut.
Der Schnuckel sagt, diesen Herren, also mich, habe er eben erst kennen gelernt, im Hallenbad und zwar unter der Dusche. Und danach gleich noch mal getroffen beim Megges. Darum sei er auf die Idee gekommen, den Herren, mich also, stimmt, er kennt meinen Namen ja nicht, mit italienischer Küche vertraut zu machen. Dazu lacht Beppo oder Toni, patscht mir die Schulter und guckt mich ziemlich unerforschlich etwas durch.
Mich treibt die Frage um, was mein Schwimmer-Heros heute noch vorhaben könnte mit mir. Aufschluss bringt der Verlauf des Gespräches aber keinen. Außer, dass wir jetzt also Ralf und Rainer heißen, uns duzen. Ich grüble, ob er mich zur Haltestelle bringen wird oder ganz nach Hause. Und falls, ob ich es dann wage, ihm den Grund für meine interessierten Blicke zu erklären.
Spät in der Nacht ist es längst noch nicht, so unterbelichtet das grässliche Lokal auch wirkt. Wir könnten, schlägt mein Schwimmer vor, wenn ich die Zeit noch hätte, auf einen Sprung zu ihm noch.
Ich fasse das nicht. Wo wir uns jetzt die ganze Zeit schon nichts, nicht das Allergeringste zu sagen hatten!
Wir fahren zurück und quer durch die Stadt. See you later, Beppo! Er wohnt in einem Block in einer hässlichen Straße. Das Haus kenne ich von früher. Zwei Stock drüber wohnt das älteste Mitglied unserer Schwulengruppe. Sag’s ihm durch die Blume, denke ich, sagen musst du’s irgendwann. Von dem Alten da oben, obwohl er mir ganz egal ist, fange ich an zu schwärmen. Ich und meine Freunde, wie oft waren wir schon bei dem guten Mann. So ein älterer Herr ist das. Aber mein Schwimmer kennt in diesem Block keinen einzigen Menschen.
Das hier ist nämlich gar nicht die Wohnung von ihm, das war nur zu kompliziert fürs Erklären. Bis eben noch hat er bei seinen Eltern gewohnt, aber ja nicht hier im Haus. Er zieht auch gerade um, nach Frankfurt nämlich, beruflich bedingt. Zur Überbrückung ist er einquartiert bei einem Freundespaar. Diese aber sind gerade weggefahren für einige Tage. Und auch sie ziehen bald hier aus, wie man an den vielen, teils schon eingeräumten Kartons sehen kann.
Er bietet zu trinken an. Saft. Er macht einen Fernseher an. Game Show. Nach einer Weile schaltet er ihn wieder aus.
Wenn ich es nicht schaffe, ihm zu offenbaren, dass ich schwul bin, dass in mitgehen musste, weil ich nichts dagegen hätte, mit Rainer in der Kiste zu landen, wenn ich das nicht ausdrücken kann, sollte der Abend wenigstens nicht enden, bevor ich aus Rainer gekitzelt habe, was er sich von unseren zweisamen Stunden in dieser fremden Wohnung eigentlich versprochen hatte.
Sehr angefreundet haben wir uns nämlich immer noch nicht. Eher brechen wir uns einen ab mit Smalltalk. Wenn der Eine sein Thema hervorholt, weiß der Andere nichts davon. Schwimmen, Fußball, Autos, Urlaub, Fernsehen, gesunde Ernährung, Schule, Arbeit.
Schreiner hat Rainer gelernt, macht aber jetzt in Frankfurt was anderes. Er holt ein Werkstück aus seiner Lehre. Ein verzapftes Dings, an dem ich weder Sinn noch Zweck erkennen kann.
„Bestimmt nicht einfach, es so exakt hinzukriegen“, sage ich.
Bisschen einsam und trist, so Abende in einer teils schon geleerten Wohnung, ob er denn keine Freundin hätte. Wieso einsam? Beim Italiener drüben hätte ich ja erzählt, schon seit Jahren würde ich als Single existieren. Das Schlechteste sei es nicht. Um ihn herum seien bisher immer seine Eltern gewesen. Er sei der mehr ruhige Typ und an sich gar nicht ungern allein.
Freundin also keine, ich beglückwünsche mich zur Frage. Aber schon gehabt, in die Brüche gegangen. Frauen sind nämlich so Wesen, die kapiert man ja nicht.
„Was denkst du so über die Frauen? Ein Thema, über das man viele Nächte schwätzen kann.“
Mein Gott, verwünsche ich mich für meine Mädels-Nachfrage.
Von hier an schwafelt Rainer über die Frauen. Frauen, sensibel und temperamentvoll, immer unbegreiflich, so sind sie uns Männern alle. Ganz schwer zu erkennen, ob man sie je zufriedenstellt oder ihnen vielleicht schon wieder wehtut, ohne es doch zu wollen.
Je länger es kommt, desto mehr fällt mir auf, dass er nur Seifenblasen ablässt. Das sind poetische Worte, die sich auf nichts beziehen, was ihn betrifft.
Und jetzt sogar Nachfragen, als wäre ich der stadtbekannte Frauenarzt und Ehehygieniker. Geduldig harre ich aus. Im Laufe der Nacht wird auch dieser Pfad von Rainers Blabla sich irgendwann wieder verlieren.
Reichlich später dann wird es mir aber doch zu dumm, uns beiden Trotteln dabei zuzuschauen, wie wir hier um den Breitopf schleichen.
„Mit Frauen kenne ich mich nicht so aus“, sage ich. „Eigentlich habe ich bis heute mit Frauen fast überhaupt keine Erfahrungen. Was Frauen wollen vom Mann, kann ich dir also nicht sagen.“
Was Rainers Redefluss nicht wirklich stoppt.
Unterdessen rücke ich ihm allerdings nach und nach immer dichter an den schönen Leib heran und gucke mich so längs durch sein laufend hübscher werdendes Gesicht. Und jetzt gar, ohne es irgendwie vorbereitet oder vermittelt zu haben, fasse ich Rainer in sein Gesicht hinein. Knapp übers Auge, in die Augenbrauen, ziehe an einem Härchen und schmachte ihn an:
„Komisch, so ein Haar, das da so raus steht!“
Dieser Vorgang trifft Rainer wie ein Baseball-Schläger. Er ist total verdattert und versteinert. Schon auch ist meine Hand wieder ganz zurück bei mir selbst. Ich bin so harmlos. Und also geht es nach kurzer Atempause weiter über die Unerforschlichen, die unser Dasein umtreiben.
Ich fahre brutal dazwischen: „Ja, aber wenn man dann weiß, dass es schöner sein kann, ohne das alles. Wenn man spürt, man ist der ruhige Typ und gar nicht unglücklich, allein mit sich zu bleiben. Was genau macht man dann in diesen Abendstunden, wenn man keinen Besuch hat?“
Stickarbeiten, sagt er.
„Stickarbeiten?“
„Ja, Stickarbeiten.“
„Ah ja. Stickarbeiten.“
Recht spät ist es geworden, ich verabschiede mich endlich von ihm.
„Ja, war aber echt schön für mich, Rainer, dein Italiener, diese schöne Wohnung von dir, aber ist ja gar nicht deine, na, jedenfalls unsre Gespräche und alles.“
Und bohre meine Blicke so verlangend in seine braven Äuglein hinauf.
„Aber die Frauen. Das ist eben was! Ewig Trouble hat man da“, platzt es aus ihm heraus.
Ich stehe ganz eng bei ihm und morse ihm in die Pupillen: „Ich will dich haben, Kleiner. Hör jetzt einfach mal auf damit. Du weißt so gut wie ich, was ich von dir will. Gib jetzt endlich den einen kleinen Mucks von dir, dass es in Ordnung ist und ich fall über dich her!“
Na ja, jedenfalls legt man sich selbst solche Dinge später in der Erinnerung zurecht, bevor man sie weitererzählt.
Tatsächlich hat man aber bis zum bitteren Ende immer weiter bei allem mitgemacht und ihm auch noch gesagt:
„Ja, ja, mit den Frauen kann man sich plagen. Aber weißt du, auch mit den Männern allein kann man genug Probleme kriegen.“
Und da, ich schwöre, hat man Rainer zart übers Gesicht gestrichen.
Und Rainer ist rot geworden.
Er hat nichts gemacht. Er hat geguckt. Und dann hat er so getan, wie wenn er genau jetzt erst, nach all der Zeit unter dieser Dusche und beim Megges und beim Beppo/Toni, während dem Saft, dem Fernsehen, bei Autos, Ferien, Arbeit, Frauen natürlich von allem, zum ersten Mal merkt, dass er sich einen irgendwie Durchgeknallten ins Haus geholt hat.
„Also dann“, stammelt er. „Bestimmt sieht man sich ja mal wieder.“
Natürlich sieht man sich wieder. Nämlich genau ein einziges Mal und wieder dort in dem Hallenbad.
Das heißt, ich sehe ihn, Rainer. Rainer sieht mich noch nicht. Er sieht mich halt nicht und ich könnte ja winken und rufen, „Hey Rainer, hallo, kennst mich noch?“, aber ich rufe halt nicht.
Ich gehe natürlich noch viele Male zum Schwimmen. Und manchmal sehe ich einen, das könnte er sein. Ich könnte ihn so knapp nicht wiedererkennen, wie mir das damals bei McDonald’s passiert ist. Oder es ist ein Fremder, der auch so gut gebaut ist und der mich nicht grüßen kann, weil er mich nicht kennt. Und Rainer ist jetzt in Frankfurt und lernt die Frauen kennen.
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Wow! Das knistert vor Erotik!
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