Reuenthal v - Ostern

Bild von Klaus Mattes
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Dieses Mal hatte der Junge sein eigenes Bett, sogar ein Zimmer, in einem Männerwohnheim in Litterkrauch. Aber das hatte wohl keine große Zukunft. Ach was, er werde dann bald was Eigenes bekommen. Für Peter kam die Gesellschaft des Jungen in diesem Jahr viel billiger, weil er nur nur noch an manchen Tagen bei ihm aß, dann natürlich auch viele von den Zigaretten rauchte. Irgendwoher, ob vom Arbeitsamt oder Sozialamt, schien er Geld zu beziehen.

Aber schon häuften sich die Übernachtungen, Timos Besuche wurden immer länger. Statt im Heim die Wochenenden abzusitzen, durfte er die Samstage und Sonntage beim Peter verbringen. Allerdings saßen sie am Montag noch da und spielten Malefiz. Wenn die Nacht heranrückte, war es dem Mann nicht unlieb zu wissen, dass der Junge neben ihm liegen würde. Am nächsten Tag schmiss er ihn dann raus. Wieder einnisten sollte er sich nicht. Aber schon am folgenden Donnerstag, da klingelte er wieder bei ihm.

Ostern stand vor der Tür. Über die Feiertage wollte Peter zu den Eltern fahren.
„Du lässt mich hier in der Scheiße hängen!“
„Nein, jedes Jahr fahre ich Ostern zu den Eltern. Sie sind dreihundert Kilometer weg. Ich kann dich nicht mitnehmen. Es steht nun mal so, ich komm ja wieder. Dann darfst du hier auch wieder klingeln. Such dir aber halt mal was Eigenes.“

Ein paar Tage vor Ostern erinnerte ihn der Mann noch mal daran. Der Junge reagierte, als falle er aus Wolken.
„Also dann, bis wann denn dann?“
„Äh, na ja ... Moment ... Wahrscheinlich fahr ich am Tag vor Karfreitag, Donnerstag also, übermorgen. Die Ostertage bin ich ganz sicher weg. Wird Dienstag bis Mittwoch.“
Eigentlich war er Jahr für Jahr bis Donnerstag bei seinen Eltern geblieben.
„Kann schon auch Mittwoch werden.“

„Wann bist du wieder da?“
„Ruf mich an, bevor du’s probierst!“

Die Feiertage waren grau und regnerisch.
Peters Geschwister hatten vorgezogen, bei ihren jeweiligen Partnern zu bleiben. In seiner Heimatstadt kannte er außer den Eltern fast niemanden mehr. Seine Eltern sahen viel fern. Der Vater liebte Sportsendungen, die Mutter Talkshows. Peter hatte die Zigaretten abgesetzt und wurde hibbelig. Wichsen ließ er auch bleiben. Dass in Reuenthal ein Vorbestrafter auf ihn wartete, schien hier nicht groß glaubhaft.

Am Dienstag zögerte er die Abfahrt raus. Nach Reuenthal wollte er jetzt auch nicht mehr, so schnell nicht wieder.

Als er nach acht Uhr abends dort an der Litter ausstieg, stand ein dunkelhaariger Mann in knallroter Regenschutzjacke auf dem Bahnsteig und wollte ihm seine Tasche tragen.
„Du hast nicht wissen können, wann ich überhaupt ankomm.“
Peter hatte es ja auch nicht gewusst.

Der Junge sah glücklich aus, was man so nicht kannte.
„Bin seit vier schon hier. Dienstag hast du gesagt. Also los!“

Wie es bei den Eltern gelaufen wäre?
„Och, da tut sich wenig, wie läuft’s hier?“
„Die machen mich verrückt in dem Heim“, blaffte der Junge, klang aber froh. „Du hast neue Schuhe an.“

In der Übergröße - die Plastikjacke war eine von Peter - sah Timo wie eine halbe Portion aus. Die Plastikjacke war ein altes Teil. Ansonsten hatte er in diesem Jahr genug eigene Sachen und gar keine schlechte Ware. Besagter Armin schien großzügig gewesen zu sein.

Der Mann wartete bis zum nächsten Tag, bevor er das Problem anging.
Ob das Wohnheim, dessen Name und Adresse er beharrlich verschweige, wirklich so schlimm wäre. Seiner Meinung nach neige Timo dazu, Zumutungen, die er auszuhalten hätte, dramatischer zu malen, als sie in Wirklichkeit wären. Die Verfolger wären seiner kranken Fantasie entsprungen. Das sei dann Paranoia und damit komme nur jemand vom Fach klar. Seine Verfolgerangst werde nicht weggehen, wenn der Junge sich weiter verkröche. Sowieso werde er ihn dann rauswerfen.
„Ich seh jetzt mal, wie du die Wohnungsangebote vom Boten durchschaust und dann nimmst du das Telefon und rufst einen an.“

Am Freitag werde er zu ihm kommen, dann sei er fit für den Samstag. Der Mann schnaubte. Theoretisch kam der Junge sowieso jedes Mal freitags, nur dass er meist ja schon am Donnerstag auf der Matte stand. Am Samstag pennten sie fast immer zu lang, das lag aber eher an Peter.

Eine eigene Wohnung zu haben, schien im Moment das einzige Mittel, den Jungen ein Stück von seinem Traum sehen zu lassen. Der Mann stand früh auf, kaufte am Bahnhof die Zeitung, drängte sie nach dem Frühstück Timo auf. Er hätte jetzt mal Leistung zu bringen.

Die Aussichten waren zwar trübe. Timo hatte Knast hinter sich, saß seither im Männerwohnheim, konnte die Kaution nicht leisten. Wenn beim Telefonaten etwas nicht am Schnürchen lief, ließ er Schreie der Wut ab. Leider war er eben Raucher. Nein, leider konnte er keine Verdienstbescheinigung beibringen.

Am dritten Wochenende zog er zum ersten Mal in seinem Leben los, eine wirkliche Wohnung für sich zu besichtigen, sich als Mieter vorzustellen. Begeistert kam er wieder. Einbauküche, Garten, Waschmaschine, Sauna, alles da. Diese Vermieter dort waren allerdings Spießer, die hatten gesagt, nur einem so jungen Mann ganz allein gäben sie ihren Besitz nicht hin. Da sollte eine Freundin auf jeden Fall auch dabei sein. Sie hatte er ihnen hingelogen, geglaubt hatten sie es wohl nicht.

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