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es.“
„Ich bin hier schon des öfteren gewesen. Sehen Sie“, und dabei blättert sie ihren Zeichenblock auf, „das ist der Mann, der einst hier lebte, er heißt Tan...“
„Tankred“, falle ich ihr ins Wort. „Sie kennen die Geschichte?“
„Sie scheinbar auch. Ich weiß nicht, habe ich sie erträumt, oder wurde sie mir zugetragen auf irgendeine Weise.“
„Wir haben beide gewiß nicht das gleiche geträumt. Zuerst wollte ich nur diesen Baum mit dem mit ihm verwachsenen Haus zeichnen, doch dann zeichnete ich diesen alten Mann und wußte nicht, weshalb ich das tat. Seltsam, nicht wahr, finden Sie nicht?“ Und ohne mich antworten zu lassen, fährt sie fort, „ich erinnere mich, es ist einmal ein Experiment durchgeführt worden, dabei ging es darum, ob und wie Pflanzen reagieren. An die Pflanzenblätter wurde ein Oszilloskop angeschlossen. Der Experimentator beobachtete den kleinen Bildschirm, darauf verlief ein gerade Linie. Dann dachte er daran, ein Blatt der Pflanze mit einem Feuerzeug anzubrennen. Er hat sie aber nicht angebrannt, sondern nur daran gedacht. Dabei schlug die Linie aus in Bögen und Zacken. Das legte er so aus, daß die Pflanze auf seinen Gedanken reagiert hatte1. Das ist jetzt zwar reichlich kurz und oberflächlich erläutert, ich meine das Wesentliche aber getroffen zu haben.“
„Dem stimme ich durchaus zu mit der Einschränkung, daß zwischen Mensch und Pflanze sehr wohl eine Kommunikation stattfindet, es aber sicherlich nicht so ist, daß eine Pflanze spricht, sondern daß wir selbst empfinden, sie spräche, indem wir gedanklich deren Reaktion in Worte fassen. So könnte es doch sein, daß, indem Sie den Baum zeichneten, dieser Sie aufrief, auch den Mann, der einst hier wohnte, zu zeichnen, und die ganze Geschichte um ihn Ihnen nahezubringen, und ebenfalls die des grausamen Fürsten und seiner Tat. So kann es auch mir ergangen sein, indem ich Baum und Haus betrachtete. Gehen wir doch mal hinein, vielleicht finden wir dort was.“
„Was meinen Sie denn darin zu finden?“
„Ich weiß es nicht.“ So erheben wir uns und gehen zum Haus. Die Tür ist einen Spalt weit geöffnet, und ich drücke sie auf. Tageslicht fällt durch große Fenster auf Möbel, die aus einem anderen Jahrhundert zu stammen scheinen, doch sind zu gut erhalten und gepflegt, trotz der Verlassenheit liegt kein Staub auf ihnen, und die Dielen sind ohne Schmutz, die Fensterscheiben sind rein, kein Fleck auf ihnen. „Als sei es bewohnt“, flüstere ich, „übrigens, Zeichnerin, mein Name ist Gandolf und wie heißen Sie?“
„Ich heiße Freya.“
„Folge mir Freya, in Walhall suche mit mir!“
„Na ja, Wotan sang das zwar anders, außerdem hieß sie Fricka, aber was soll es, Hauptsache Wagner.“
Also suchen wir weiter, dabei erinnere ich erinnere mich, Tankred sprach von einem Hohlraum im Baum, er muß vom Hausinnern zu erreichen gewesen sein. Wir finden auch einen Zugang an einer Wand, an der des Baumes Rinde in das Zimmer reicht, ein Spalt darin, der ein Durchschlüpfen erlaubt. Wie eine enge Höhle mutet der dahinter liegenden Hohlraum an. Rankende Gewächse, bunte Blüten daran heben sich empor bis zu jener Höhe in der der Stamm sich schließt. „Ja, hier hat er Adda verstecken können“, gelangt es leise über Freyas Lippen. „Und die Blüten erinnern an Adda“, füge ich dem bei, „lassen Sie uns dieses Loch verlassen, denn ich höre ein Kind schreien, nein, nicht höre, ich fühle es schreien.“ Wieder im Wohnraum setze ich mich an einen Tisch, „also, Sie zeichneten das Haus, den Baum, Und dann zeichneten sie den Mann, der gar nicht gegenwärtig war, und Sie zeichneten sein Gesicht so, wie ich es in Erinnerung habe. Ein kluger Mann hat mal gesagt, daß jemand seine physischen und geistigen Fähigkeiten in Bewegung setzt, sobald er etwas herstellt2. Indem Sie zeichnen stellen Sie etwas her. Eine Eingebung? Mehr als ein Produkt?“ Indem ich vermute, hat Freya ihren Zeichenblock hervorgeholt und zeichnet, „wie ein Aufruf“, antwortet sie, „eine Art Atem aus längst vergangener Zeit.“
„Genau, Freya.“
„Denken sie mal an den Fürsten,“
„Schade, daß ich ihn nicht verurteilen konnte.“
„Stellen Sie es sich doch vor!“
„Also gut. Zeichnen Sie des Fürsten Burg, so wie Sie sich diese vorstellen, die Hallen darin, den Fürst auf seinem Thron sitzend. Nehmen wir einmal an, ich stünde, nein, wir beide wären seinerzeit vor dem Fürsten gestanden, ein Lump der sein Kind verbannte, dann ergäbe sich ein Gespräch, er früge, >wer seid Ihr, und wer ist das Weib an Eurer Seite<. Ich würde ihm antworten, >das ist Adda, Eure Tochter. Eure grausamen Gesellen haben sie nicht ermordet. Ihr habt Euer Kind verbannt, aber es zu töten habt Ihr nicht vermocht. Dafür habt Ihr ihren Geliebten zu morden getrachtet, was Euch, wie Ihr sehen könnt, nicht gelungen ist<. Er würde fluchen, >impertinentes Geschwätz, wessen erdreistet Ihr Euch, nichts als Lügen sind das<. Worauf ich ihm entgegnen würde, >es gibt keinen besseren Beweis, es bedarf keiner wahrhaftigeren Zeugin, als jene, die neben mir steht<“.
„Sie gäben mich als Adda aus?“
„Warum nicht?“ Ich mußte ihn doch überzeugen, daß seine Taten den von ihm gewünschten Erfolg nicht hatten.“
Und da geschieht etwas Unerwartetes, der Raum verwandelt sich, mir ist als stünden wir tatsächlich vor dem Fürsten, eine Gestalt, ein Hühne von Mann, von Füßen bis Kopf mit Pflanzen, Blättern und Moosen bewachsen, schreitet in den Raum. Das runzelige Gesicht dagegen ist frei, funkelnde, hellblaue Augen darin, ich erkenne es augenblicklich, und ein Ruf hallt durch den Raum, „Euch zu töten sei gerecht, meine Hand, mein Zorn wird Euch töten, er wird Euch ersticken, verwesen auf immer!“ Die Gestalt hebt einen Speer, der eher wie ein überwucherter Ast ausschaut, und schleudert ihn mit Gewalt gegen des Fürsten Brust, durch sie hindurch und selbst durch die Lehne seines Thronsessels.
Der Fürst sackt auf seinen Thron zusammen, haucht sein Leben aus. So wie die Gestalt erschienen ist, so entschwindet sie auch wieder, und Freya auf dem Boden kniend läßt vom Zeichnen ab, und sie blättert statt dessen in ihrem Zeichenblock, „sehen Sie, das ist Tankred, wie ich sein Gesicht schon gezeichnet hatte.“ Ich rücke an Freya heran, setze mich neben sie, „wie Sie ihn gesehen haben. Sie zeichnen und das, das Sie zeichnen, erscheint. Was ist es, das Ihre geschickte Hand führt, Ihren Geist beflügelt? Ist es Wirklichkeit oder Vision?“
„Es ist mein Gefühl, ein Charisma, glaube ich, das in uns beiden wirkt, führt oder gar verführt, Impressionen schafft, Blüten sprießen läßt selbst dort, wo an sich sie nicht sprießen. Aber weshalb erfahren wir darüber?“
„Nun, Freya, ich meine, nicht Tankred teilt sich uns mit, vielmehr seine endlose Unruhe darüber, Adda nicht gerettet zu haben. Das konnte er auch gar nicht, und das will sein Kummer hören, auch von uns. Der Fürst starb nicht, so meine ich, durch Tankreds Hand, durch einen Speer, das ist ein Wunsch, ein Begehren, eine Vorstellung von uns, eben eine kraft des Geschehens angeregte Intuition.“
„Unser Empfinden hat etwas in Bewegung gesetzt, und damit hätten wir zwei Phänomene, das eine der Pflanze, die nicht angezündet werden wollte, das andere des Baumes, der Tankred als Rächer wollte.“
Tankreds Haus des schrecklichen Geschehens halber abzubrennen verwerfen wir, es war anderen schon nicht gelungen. Der Spalt, durch den des Baumes Rinde in das Haus drückte, hat sich geschlossen. „Wir werden es neu streichen“, schlage ich vor. Freya schüttelt den Kopf, „vertrauen Sie mir, wenn wir drin wohnen, wachsen Blumen an allen Wänden, drinnen wie draußen!“
„Davon bin ich überzeugt.“
Bei einem unserer Spaziergänge gelangen wir auf einem Hügel an eine Burg. Wir steigen hinauf und betreten einen verwahrlosten Hof, durch ein herausgefallenes Tor gelangen wir in verschmutzte Säle, umgestürzte, zerborstene Möbel, Unrat liegt überall herum, Öde haucht uns an, Plünderer und Vandalen haben hier wohl ihr Werk vollbracht. „Verlassen wir lieber diesen Ort, hier fließt kein Atem mehr, nichts bewegt sich, kein Laut erklingt.“ Indem wir mehr eilen als gehen, fällt draußen ein stürmischer Schauer nieder. „Macht nichts“, befindet Freya, „Tankreds trockenes Heim erwartet uns.“
Und trotz des strömenden Regens hält Freya inne, kommt mir nahe, umarmt mich, legt ihren Kopf an meine Schulter, ich umarme sie ebenfalls und küsse sie. „Und das in Sturm und Regen“, sagt sie lächelnd. „Warum nicht? Wie heißt es bei Wagner?“
„Sag du es, dann paßt es besser.“
„Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer, mein Mädel bin dir nah!“
„Paßt also doch.“
„In diesem Zusammenhang gewiß.“
„Gandolf, was meinst du, ob sie wirklich Blumen wachsen lassen konnte dort, wo sie anfaßte, oder ihre Füße aufsetzte?“
„Meine liebe Freya, ob das, das du zeichnest, wirklich geschehen ist, oder eintritt, weil du es zeichnest?“
„Dann haben wohl Adda und ich etwas gemeinsam.“
„Das sehe ich auch so.“
Tankreds Haus wird frisch mit Farbe versehen, nur den Baum, der dicht ans Haus lehnt, den spare ich aus, doch ist mir zumute, als raune etwas in mir, ich könne ihn ruhig streichen, grün wäre ihm am liebsten. „Tankred?“
„Gewiß, ich bin der Atem des Baumes.“ Als ich Freya über meine Eingebung berichte, antwortet sie lediglich, „so ist es nun einmal.“
So bleiben wir im Haus des Tankred und leben miteinander darin, in einem Haus unter einem Baum, beider Alter wir nicht kennen, nicht kennen brauchen, um dessen Geschichte wir aber wissen, und deren Bewohner wir in uns eingeschlossen aber nicht verschlossen haben. Was mich allerdings beschäftigt ist die Frage, was aus Alwina und Harold geworden sein mag, Freya findet dafür eine Erklärung, Tankred habe ihr weiteres Dasein doch nicht erlebt, so konnte er nicht mehr berichten über beide, sagt sie, wahrscheinlich haben sie zufrieden und im Glück gelebt. „Oder beide sind in der Gestalt, die du gezeichnet hast, enthalten gewesen und haben sich gemeinsam gerächt.“
„So ist es!“, bekräftigt Freya. Ich fasse nach ihren Händen, „in der einen Hände sprießen Blüten, in anderen wird ein Vermächtnis verwirklicht.“