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Auch wenn Vanessa von Jahrmärkten nicht viel hielt, so ging Gwendolina trotzdem mit ihr dort hin. Vanessa war nur selten unter Menschen, weil sie sich schämte. Sie war eben anders als andere Mädchen, denn sie hatte, wie die Katzen ihn zu tragen pflegen, einen Schwanz über dem Po, mit schwarzem und an der Spitze mit weißem Fell bewachsen. Sie versuchte, ihn zu verstecken, sie rollte ihn unter ihrem Rock zusammen, oder sie zog lange Hosen an, in denen sie ihn verbergen konnte. Gwendolina gab sich alle Mühe, dem Kind die Scheu zu nehmen, und ein Genuß war es ihr, wenn Vanessa im Schlaf den Schwanz um ihren Arm legte.
Vanessa hatte Gwendolina einst gefragt, woher denn dieser Schwanz rührte, und sie hatte ihr geantwortet, „es muß wohl daran liegen, daß ich Katzen über alles liebe. Der Mann, die dein Vater ist, und der nicht mehr bei uns ist, konnte sie nicht leiden und verlangte, daß ich sie abgebe. Dem widersprach ich. Und dann wurdest du geboren. Doch statt einem erfreuten Vater empfing mich ein schimpfender Mann. Ein besorgt dreinschauender Arzt trat hinzu, doch meine Ohren und Augen galten nur dir. Du lagst auf dem Bauch, und über deinen nackten Po war ein Katzenschwanz gewachsen. Ja, ich schluckte und staunte, indem der Arzt beschwichtigte, mit einer Operation ließe sich die Mißbildung, wie er es nannte, beseitigen. Ich beugte mich über die Wiege und nahm dich heraus. Da geschah etwas sehr Sonderbares. Kaum lagst du in meinem Arm, da klammertest du diesen Schwanz fest um mein Handgelenk, so fest, daß ich ihn nicht lösen konnte. Ich habe es abgelehnt, daß der Arzt Hand an dein besonderes Merkmal legte. Nun ja, dein Vater ging darauf seiner Wege, und ich, mh, ich hatte meine Schwierigkeiten mit den Windeln. Ich habe einfach ein Loch hineingeschnitten und später, als du größer wurdest, habe ich es ebenso mit deinen Höschen und Röcken angestellt, und wenngleich ich merkte, daß du dich vor den anderen schämtest, so habe ich, wie du weißt, zum Trotz Schleifchen an diesen Schwanz gebunden, mal ein rotes, mal ein weißes, mal ein grünes, immer zu der Farbe deiner Kleider passend.“
Und nun, auf diesem Jahrmarkt, trug Gwendolina Vanessa durchs Gedränge und durch Wolken an Gerüchen von Bratwürsten und Reibeplätzchen Runde für Runde über den Platz. Hier und da blieben sie stehen. Einer der vielen Passanten, ein dicklicher Mann, stellte sich Gwendolina in den Weg, „haben Sie ein häßliches Kind! Dieser gräßliche Schwanz, igitt!“ Damit ging der Mann weiter. Gwendolina sah ihm entgeistert nach, dann packte sie der Zorn, und sie rief, „eine Zierde ist ihr Schwanz, weit köstlicher als ihr dicker Bauch, Sie alte Pfeife!“ Darüber mußte Vanessa nun lachen, Gwendolina verscheuchte die Wut, „vergiß, wie ich fluchte, aber dieser blö...“
„Eine alte Pfeife hast du ihn genannt.“
„Habe ich das?“
„Ja, ich habe es gehört.“ Gwendolina hätte es gern ungeschehen gemacht, aber Kinderohren sind nun mal für Sonderliches empfänglich, und Kinderköpfe, so klein sie auch sein mögen, bewahren solche Entrüstung gerne auf. „Mach’ dir nichts daraus, er ist ein dummer und ein unhöflicher Kerl.“
„Ach, Mama, es ärgert mich, wenn sie meinen Schwanz...“
„Nicht doch, mein Liebling. Es gibt Sehende und Blinde. Dieser Dicke ist blind wie dein Vater, der uns verließ. Du bist mein, so wie du bist, eine andere Tochter könnte ich niemals lieben.“ In diesem Moment sprach sie jemand aus der Menge an, aber als sie sich umwandten, war die Menge aufgelöst, auch die Stände waren fort, bis auf einen, und auf einer leeren Theke stand ein leibhaftiger Fuchs. „Kommt heran, ihr beiden, kommt nur“, bat der Rote. „Wer bist denn du?“ frug Vanessa, „dein Stand ist ganz leer, hast du nichts zu verkaufen, oder hast du schon alle deine Waren verkauft?“ Der Fuchs antwortete, „ich habe nichts zu verkaufen, ich habe nur zu verschenken.“
„Aber ich sehe nichts, was du verschenken könntest.“
„Aber, aber!“ rief der Fuchs, „so ein kleines Mädchen, mit solch großen Augen, wird doch die Schätze sehen, die ich empfehle. Diese Theke ist keinesfalls leer, sieh nur genau hin, und spitze deine hübschen Ohren, und verstecke deinen wunderschönen Schwanz nicht, dann erfährst du von Lätitia und Florian.“ Der Fuchs hob die Vorderbeine, griff in die Luft und blätterte ein Märchen auf:
Es lebte einmal ein Zauberer, weit fort von hier, noch weiter fort von jetzt, der hieß Magus Magicum, und er lebte zusammen mit einer Hexe, die hieß Maga Magica, auf einem Hexenschloß. Eines Abends, da schwärmte Magus Magicum, daß es doch schön wäre, nicht länger allein zu sein, ein Wesen bei sich zu haben, das sie liebhaben könnten. Und wie bekannt, sind Zauberer und Hexen niemals gern allein. „Ach, wäre das schön“, seufzte Maga Magica und bedauerte sich, weil sie so alt war. Der Zauberer aber, der in jungen Jahren ein rechter Schwerenöter gewesen war, und allen jungen Mädchen mit überzeugendem Charme nachgestellt hatte, sprach auf die Hexe ein, „du bist nicht alt, du bist nur anders schön.“ Oh, da schmolz die Hexe dahin und wurde in ihren fortgeschrittenen Jahren verlegen wie ein junges Mädchen. Sie beschlossen gemeinsam, ein Kind zu zaubern, aber nicht mit Zauberruten und Essenzen, sondern mit den wiedererweckten, vom Zauberer erregten, ewig frischen Jugendträumen. Sie gingen gleich ans Werk, stellten einen großen Topf auf den Herd, Maga Magica blies Feuer hinein, darum vermochte sie vortrefflich, weil doch Drachenblut in ihr floß. Der Zauberer nahm sein Herz in die Hand, wie alle Zauberer es können und wrang es über dem Topf aus wie die Wäscherinnen die Wäsche. Und die Hexe folgte ihm. Bald war der Topf bis zum Rand mit den Säften ihrer Herzen gefüllt, da befand Magus Magicum, es fehle ihnen noch an einem Namen für ihr Kind. Nach einer Weile rief Maga Magica, „ich hab ‘s, wir nennen sie Lätitia.“
„Lätitia? Hört sich gut an, und wenn es ein Junge sein wird, heißen wir ihn Lätitio.“ Die Hexe nickte. Sie standen vor dem kochenden Sud, die Hexe blies Feuer, der Zauberer zauberte Scheite hinzu. Aber selbst Zauberer und Hexen müssen einmal ruhen, und so schliefen sie nach vollendeter Arbeit ein. Der Schloßhahn