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„Wer sich mit uns auf den Weg macht, der gewinnt für’s Leben! Freuen wir uns, solang wir jung sind!“, scholl die raue Stimme durch die Dunkelheit.
Für einige Sekunden herrschte eine gespannte Stille, die lediglich vom Knistern des Lagerfeuers unterbrochen wurde. Ein einleitender Wirbel auf einem einfachen Schlaginstrument erklang, bevor sich andere Instrumente dazu mischten und schließlich eine fröhliche Melodie erklang, die das Blut der Zuschauer in Wallungen brachte. Er wirbelte mit seinem kahlgeschorenen Kopf wild und losgelöst rufend um das Lagerfeuer herum. Der freie Oberkörper begann im Schein des Feuers zu funkeln und zu glitzern. Immer wieder drehte er sich im Kreis, schlug die Füße kunstvoll auf den Boden, sodass der Staub nach oben wirbelte. Die einfache dunkle Kutte um seine Beine schlug feine Wellen; Dolch und Kordel klapperten im Takt mit. Man hatte sie kaum wahrgenommen, doch kaum, dass sie die Tanzfläche betrat, schien es selbstverständlich zu sein. Um ihre Fußgelenke schlangen sich jeweils ein Lederbändchen mit kleinen Glöckchen, die zu jeder Bewegung ihrer Füße passend zur Melodie sangen. Die Arme froh in die Luft gestreckt, drehte sie sich ebenso um das Feuer herum. Ihr Tanz wirkte wild, vollkommen und dennoch auf eine sonderbare Weise harmonisch. Die Menschen wussten nicht, warum es ihnen so gefiel.
Die Fremde zog größere Kreise, während der Fremde näher zum Feuer kam. Immer wieder liefen sie im Kreis. Sie lehnte sich zur Seite, streckte die Hand zu den sitzenden Menschen aus, ergriff schließlich eine Andere und zog denjenigen auf die Beine. Die junge Frau musste nicht lange überlegen, denn sofort fand sie sich in diesem bezauberten Tanz wieder, wurde ebenso getragen von der fröhlichen und auffordernden Melodie. Schnell fand sie ihren eigenen Rhythmus, tobte mit den Anderen um das Lagerfeuer. Immer mehr gesellten sich zu ihnen bis es niemanden mehr auf dem Boden hielt und selbst die Alten mit den Füßen wippten und in die Hände klatschten.
So tanzten sie lange in die Nacht hinein, hoben ihre Blicke zum Himmel, freuten sich und feierten das Leben, die Lebenslust, losgelöst von all den Problemen, die sie hinter den Mauern der Stadt gelassen hatten um den sonderbaren Aufruf auf dem Markplatz nachzukommen.
Das dunkle Pferd schnaubte leise und hob den Kopf um seinem Unmut Ausdruck zu verleihen. Die große Hand tätschelte seinen Hals, strich mit den Fingern durch das warme Fell. „Hier können wir doch Pause machen“, schlug er vor und ließ die Zügel aus den Fingern gleiten. Sein Blick wanderte über die Landschaft. Weich hoben sich die Hügel am Horizont gen Himmel ab, Wattewolken verteilten sich an dem unendlichen Blau und die Wiesen erstrahlten in ihrem schönsten Sommergrün.
Sie hielt die Nase in den lauen Wind, atmete tief ein. Sie konnte sich noch nicht so schnell von dem Anblick losreißen wie Jaro, der sich bereits aus dem Sattel schwang und seinen Friesen zu einem kleinen Bach führte. Durstig tauchte das Tier die Nüstern in das kühle Nass und trank einige tiefe Schlucke. Schon bald gesellte sich ebenso durstig die weiße arabische Schimmelstute dazu und Andra ließ sich in das Gras fallen. Wortlos überreichte sie Jaro den Wassersack, den sie immer an ihrer Hüfte trug, seitdem Jaro ihn zu Beginn ihrer Reise regelmäßig verloren hatte. Lieber schleppte sie sich einen krummen Buckel als ständig ohne Wasser dazustehen. Wortlos nahm Jaro das Wasser entgegen, trank und ließ sich schließlich auf den Rücken in das Gras sinken um den blauen Himmel betrachten zu können. Wortlos verschloss Andra den Sack.
„Wie vielen Menschen bleibt unser kurzweiliger Besuch eigentlich hängen?“, fragte sie schließlich und ließ den Blick wieder am Horizont entlang schweifen. Jaro hob seine Hand, ließ sie an ihrem Rücken ruhen. „Wichtig ist doch nicht die Zeit, sondern, DASS wir ihnen eine Freude bereiten.“
Andra nickte. Recht hatte er. Und so ließ sie sich neben ihm in das Gras sinken, zupfte einen langen Grashalm aus dem Boden, drehte diesen zunächst zwischen den Fingern hin und her, ehe sie begann darauf herum zu kauen und ebenso in den blauen Himmel zu blicken. Der Weg bis zu diesem Punkt, an dem sie aufhörten ohne Zeit, Nöte und Sorgen zu leben, war ein sehr langer Weg gewesen. Sie gingen durch untiefen, lange Zeit getrennt voneinander, dann zusammen und wieder getrennt. Viele Jahre sahen sie sich nicht, viele Jahre sahen sie sich zu oft; gehörten genauso zu der Maschinerie der Unterschicht wie viele der Menschen, die nun zu ihnen kamen, wenn sie den Aufruf hörten. Dabei war Jaro immer derjenige, der die Leute um sich herum in den Bann zog, der verkündete, sprach und ermunterte; der freundlich auf die Menschen zu ging und einen strahlenden Schein bei denen hinterließ, die ihn aufsuchten. Andra war der Geist im Hintergrund. Sie machte sich nichts daraus. Sie liebte es, zu sehen, wie Jaro die Menschen begeisterte, so wie er ihr gern dabei zu sah, dass sie Panik und Angst mit ihrer Ruhe und dem Frieden auflösen konnte oder stundenlang in sich versunken die Worte auf das Papier brachte, welche er später aussprechen sollte. Der Meister des gesprochenen Wortes. Der Verkündigung. Die Meisterin des Geschriebenen.
Manchmal kamen einige Menschen mit. Meistens zwei oder drei, wenn sie weiterzogen. Jaro und Andra wirkten wie ein Stein des Anstoßes, denn nach einigen Wochen gabelten sich die Wege und die Anderen zogen allein weiter um ihr Glück zu versuchen.
Sie waren bei vielen gern gesehen und bei vielen weniger gern gesehen. Aktiv versteckten sie sich nicht vor dem Hexenhammer und lebten weder in Angst, noch in Sorge um das, was mal passieren könnte.
Mit Stolz geschwellter Brust stand Jaro am Feuer, klatschte in die Hand, während Andra auf einem Baumstamm saß und musizierte. Seine Stimme war voller Inbrunst und er begann die Geschichte von einem entfernten Land zu singen, an das er sein Herz verloren hatte. Er berichtete von seiner Familie, die aus dem Land stammte und dort arbeitete, wenig Geld hatte und dennoch glücklich zu sein schien.
Die Augen der Zuschauer hingen an Jaros Gestalt, saugten die Energien auf, badeten sich in seiner Aura, während er davon sprach was das Geheimnis dieses Glücks