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war.
Jeden Einzelnen betrachtete Jaro, sah ihn in die Augen, lächelte, spielte mit der Mimik und bewegte sich zum Takt der einfachen Melodie. Zum Ende des Liedes stimmte Andra leise mit ein. Nicht aufdringlich und doch deutlich genug um eine signifikante Ergänzung in der Melodie des Liedes zu sein. „Im Grunde deines Herzens darfst du nichts wollen und noch weniger erwarten“, sang Jaro. „Aber sei gespannt auf das, was kommen wird.“ Andra wog ihren Oberkörper im Takt mit, schmunzelte leicht, sobald sie in die fragenden Gesichter sah. Ein junges Mädchen, es mochte vielleicht drei Lenze alt sein, bettete ihren Kopf auf Andras Beine, schloss die Augen und schlief mit einem seichten Lächeln auf den Lippen ein. „Mein Bruder zog in den Krieg und kehrte nicht mehr zurück. Es war das Leben, das Leben wollte es so und ich liebe das Leben“, trug Jaro mit einem Augenzwinkern vor und breitete einladend die Arme aus. Das Feuer knisterte im Hintergrund, während er forschend jeden anblickte und dennoch klar machte, dass es kein Problem sei, wenn sie nicht wüssten, was er meinte.
Andra schloss die Augen. Es war eines ihrer Lieblingslieder. Obgleich sie es schon so häufig gehört und vorgetragen hatte, sorgte sie dafür, dass es jedes Mal für sie das erste Mal war. Sie liebte es einfach und sie liebte Jaros Art die Worte, die sie schrieb, vorzutragen. Als solcher war der Text vielleicht nicht so lustig wie er ihn vortrug. Aber auch die Melodie war weder schwer, noch klagend, sondern ein Fluss des Seins. Das Geschehnis mochte schlecht oder traurig sein, doch jeder hatte die Wahl wie lange er darüber klagen oder darunter zerbrechen wollte.
Andra ließ die letzte Note des Liedes verklingen. Applaus ertönte, Jaro verneigte sich vor den Menschen.
Die Nacht war bereits weit fortgeschritten. Man half sich noch gegenseitig, führte Gespräche und räumte schließlich auf. Nicht allzu weit war die Stadt entfernt, doch auf die Frage, ob man ihnen eine Unterkunft anbieten kann, verneinten Andra und Jaro zeitgleich mit einem freundlichen Lächeln. Noch immer mussten sie über ihre Synchronität schmunzeln. Die Besucher packten ihre Sachen zusammen; Andra half noch das schlafende Mädchen auf das Pferd zu drapieren, sodass sein Vater bequem nach Hause reiten konnte.
Das Feuer wurde langsam kleiner, zaghafter. Andra pfiff die Melodie des Liedes vor sich hin, während sie die Sachen zusammenpackte damit sie im Morgengrauen gleich los konnten. Jaro räumte die Becher in einen Sack, schnürte diesen zu und summte die Melodie des letzten Liedes. „He Weib!“, rief er und kam nicht weiter, da Andra ihn einen Zweig an den Kopf warf. Sofort wurde sie von hinten gepackt und durch die Luft gewirbelt. Ehe sie sich sortieren konnte, hatte Jaro ihre Hand in seiner, die andere an ihrer Hüfte, zog sie zu sich heran. Ihr Herz trommelte in der Brust. Immer wieder. Sie schämte sich nicht dafür. Sie wusste, es ging ihm nicht anders. „Hast du Lust auf einen Tanz?“ Er kannte die Antwort und Andra schwieg. Bis tief tanzten sie in die Nacht hinein um das langsam erlöschende Lagerfeuer herum.
Andra schlug sich beinahe den Hammer auf den Daumen als sie mit dem Blick der kleinen Menschenmenge folgte, die um den Marktplatz hetzte. Sie konnte die Vibration einer gespannten Aufregung spüren. Tausend kleiner Schmetterlinge tanzten in ihrem Oberbauch, flogen in den kleinsten Winkel ihres Körpers. Mit einem gezielten Schlag den Nagel in den Balken versenkend, drückte sie Jaro schließlich im Vorbeigehen die letzten Zettel in die Hand, legte den Dolch ab und lief mit großen Schritten und wehendem Pferdschwanz quer über den Marktplatz. Am Rande, vor einer Schenke, versammelte sich die Menschenmasse. Von der schönen Aufregung magisch angezogen, kletterte Andra auf einen Karren und konnte von dort über die Köpfe der anderen Menschen blicken. Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen erkannte sie sofort das Brautpaar. Die Frau schien ihren zukünftigen Mann tatsächlich zu lieben. Nicht nur, dass ihr Lächeln strahlend war, so spürte Andra die Energien. Ein freudiges warmes Prickeln wanderte durch ihren Brustkorb und ihr Herz verging sich in Freude. Jaro fand sich relativ schnell neben Andra ein.
„Na, bekommst du auch Lust?“
„Soll das jetzt ein Antrag werden?“ Andra hob eine Augenbraue. „Ich glaube, so schlimm wie uns beide trifft diese Eheleute das Band ihrer Verbindung nicht.“
Nun machte Jaro ein gespielt empörtes Gesicht, strich dann jedoch Andra in einem Anfall spontaner Zuneigung über die Wange. Er wusste wie sie es meinte und ganz bestimmt nicht so, dass sie wirklich ihre Verbindung, das energetische Band, der Grund ihres Daseins, verfluchte. Das Brautpaar gab sich einen innigen Kuss und Jubel brandete auf. „Schön, wenn wir so fröhlich sind.“ Andra mochte das Funkeln in den Augen des Brautpaares. „Dann vergessen wir wirklich die Zeit und sind in dem eigentlichen Moment. Glaube nicht, dass sie sich grad den Kopf darüber zerbricht, was morgen sein könnte.“
„Ich aber...“
Verwundert hob Andra den Kopf und erstarrte als sie Jaros Gesichtsausdruck erkannte. Sie hatte ihn damals häufig gesehen, zu häufig. Lange nicht mehr. Dass sie ihn jetzt wieder sah, konnte nur eines bedeuten. Sein Verstand witterte eine wirklich ernstzunehmende Gefahr, sonst würde er gar nicht mehr in seinem Bewusstsein ankommen.
Andra sprang von dem Karren, wartete auf Jaro, sodass sie beide schnell und angespannt zu den Pferden flüchten konnten, doch ehe sie bei diesen ankamen, drangen von allen Seiten die Häscher des Hexenhammers auf sie zu. Spontan zog Jaro Andra in eine Seitengasse. Sie rannten. Sie rannten so schnell wie schon lange nicht mehr in ihrem Leben. Die Irrungen und Wirrungen der Gassen entlang; das Hämmern der Hufe im Ohr. Andra wagte es nicht, sich umzudrehen, klammerte sich mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, an Jaros Hand fest. Plötzlich zog er sie mit einem Ruck zu sich heran, stieß sie dann aber in eine Nische zwischen zwei Häusern und verschwand. Mit weit aufgerissenen Augen erkannte Andra wie die Häscher an ihr vorbeiritten. Das Herz verstolperte sich in ihrer Brust. Panisch wollte sie aus der Nische; wollte sehen, wo Jaro blieb. Panik wollte in ihr aufsteigen und es kostete sie alle Kraft, die sie hatte nicht in diese Welle zu springen, sondern beobachtend zu bleiben um mit Bedacht den nächsten Schritt wählen zu können. Sie wartete. Wartete sehr lange bis die Nacht herein brach. Langsam wagte sie sich aus der Nische, irrte den Weg zurück zum Markplatz. Mit trockenem Mund stellte sie fest, dass die Pferde noch an Ort und Stelle standen, aber Jaro nicht da war. Sie ließ den Blick wandern. Selbst die Schenke lag verlassen dort. Bedächtig huschte sie zu den Pferden, die sie mit einem leisen Schnauben begrüßten. Wo war nur Jaro? Tränen stiegen ihr in die Augen. Es brachte jetzt nichts sich dagegen zu wehren. Die Sorge um ihn war zu groß.
Die Zügel von Jaros Friesen in der Faust, schwang sie sich in den Sattel ihres Pferdes und schnalzte leise mit der Zunge. Es fiel ihr schwer den eigenen Zustand der Sehnsucht zu ertragen, aber ändern konnte sie genauso wenig daran. Der Mond schien auf den Marktplatz hinab und gab dem Szenario den Glanz der Kälte. Träge klappten die Hufe auf die Steine. Andra schob sich die Kapuze über den Kopf. Zu ihrem Erstaunen wurde sie beim Verlassen der Stadt nicht kontrolliert. Der Gedanke kam hoch, dass sie nun eigentlich mit Jaro am Lagerfeuer stehen würde um den Menschen um sich etwas Freude bereiten zu können. Sie dachte an die Lieder und schließlich begann sie eines leises zu Summen, während die den Lagerplatz ansteuerte. Das Gefühl in ihrer Brust begann Formen anzunehmen. Formen, die noch nicht so deutlich machten, was mit Jaro geschehen war.
Die Decken auf den Boden, wie immer, ausbreitend, lauschte Andra in sich hinein. Die Emotionen waren in Wallungen, verwoben und verstrickten sich miteinander. Die Pferde hatten sich unter eine Tanne gestellt, während Andra sich auf eine der Decken legte und in den Sternenhimmel blickte. Das Gefühl in ihr wurde deutlicher, breitete sich in ihr aus. Sie schloss die Augen, lauschte dem Schlagen des Herzen und atmete. Die Welt um sie herum begann sich auszubreiten, weit zu werden. Ein warmes Prickeln durchzog ihren Körper. Deutlich konnte sie das Plätschern des Baches hören. Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie konnte Jaro nicht sehen, konnte ihn nicht hören und spürte dennoch deutlich, dass er da war. Egal, wo er sich in diesen Sekunden befand. Er war dennoch bei ihr. Und es war als würde die physische Sehnsucht aus ihrem Körper gezogen werden.
Das Erste, was sie nach dieser traumlosen Nacht vernahm, war das erneuerte Plätschern in ihren Ohren. Schließlich spürte sie etwas an ihrem Arm, schreckte auf, zog dabei den Dolch und war bereit den vermeidlichen Angreifer sofort in seine Schranken zu weisen als sie im Bruchteil einer Sekunde erkannte, wer dort hinter ihr gelegen hatte.
„Jaro!“, war das Einzige, was ihre Kehle aufgeregt verließ, dann fand sie sich bereits in seinen Armen wieder, spürte, wie er sie fest an sich drückte, hörte sein rasendes Herz und den ruhigen Atem dazu. Jaro sagte nicht viel. Sie brauchten die Worte nicht um zu kommunizieren. Schweigend genoss auch Andra die Möglichkeit ihn wieder physisch spüren zu können.
Die Wolken, die bereits in der Nacht den Himmel entlang zogen, öffneten ihre Schleusen. Regen prasselte auf ihre Körper nieder. Jaro löste die Umarmung ein Wenig, legte beide Hände an die nassen Wangen von Andra und zog ihr Gesicht zu sich um sie innig zu küssen. Sie verloren sich darin, konnten nicht voneinander lassen. Ihre Körper reagierten aufeinander, drückten sich im Regen aneinander, dennoch war dort in ihnen etwas, das alles überstieg, was der Körper jemals vermochte auszudrücken. Und in dieser Gewissheit löste Andra zeitgleich mit Jaro den Kuss, biss sich dennoch lächelnd auf die Unterlippe und sah ihm in die Augen. Der Blick in die eigene Heimat, in das eigene Ich. So viel Frieden, den sie in ihm und in sich selbst fand. Ihre Finger wanderten über seine Lippen.
Zusammen waren sie Eins; jeder für sich vollkommen vereint im inneren Frieden; beflügelt von ihren freudigen Herzen, vermochten sie es diese Botschaft in jeden Augenblick an die Erde weiterzugeben.