Psychoanalyse, Freud und Jung

Bild von Uwe Kraus
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Beginnen will ich bei Freud, dem Arzt und Psychologen, der die Psychoanalyse ins Leben rief. Seine Theorien zu Ich, Es und Überich treffen den Kern der Philosophie des beginnenden Jahrhunderts, das in katastrophalen Zügen durch die beiden Weltkriege die einheitliche romantische Idee der Ästhetik verwerfen wird. Seine Ideen der Analyse prägten die Wiener Schule sowie den Schüler Carl Gustav Jung, der mit seinen Methoden der Psychoanalyse Hesse bei Schriften wie dem „Demian", nachhaltig beeinflussen wird. Vor allem geht es bei Freuds psychologisch-philosophischer Lehre um die Aufdeckung des Unbewussten. Das Unbewusste selbst muß als ein Ding angesehen werden, in dem sich alles vereint: Ängste, dunkle Triebe, Träume, das Verhalten selbst und die Begehrlichkeiten. Die Idee des Unterbewussten ist eine, die schon vor Freud zum Beispiel bei Schopenhauer und Nietzsche anzutreffen ist. Seine Leistung jedoch liegt in der Durchleuchtung und Erforschung der Tiefen des Seelenlebens. Ein Modell erklärt Freuds Gedanken zu Aufbau und Teilung der Psyche: Für Freud bestand die Psyche aus Unbewusstem, Vorbewusstem und Bewusstem, aus denen sich das menschliche Ich formt. Neben dem Ich, der Identität des Einzelnen, gibt es in seiner Auffassung das Es, das besteht aus Trieben und Bedürfnissen. Über diesen Faktoren ist das mächtige Überich anzusiedeln, das sich aus den Erwartungshaltungen des Umfelds, der Familie und Gesellschaft zusammenfügt. Zwischen diesen drei Teilen der Psyche findet nun eine Art Konkurenz des Verdrängens statt, die nach einem bestimmten Schema funktioniert. Dies Schema, das immer den gleichen Regeln folgt, wird vom Besitzer der Seele, vom Menschen, kaum durchschaut und erkannt. Wenn nun einer meint, Fehler seines „Seelenregelwerks" zu finden, so ist und war dies ein Grund für den Betreffenden, die Analyse der Freudschen Schule zu wählen. Aber dies Modell, das schon seit mehr als einem Jahrhundert zu den aktuellsten Ideen des Seelenaufbaus zählt, das immer weiterentwickelt wurde, ist nicht die alleinige Leistung; wichtig in Bezug zur neuromantischen Strömung ist nicht nur der tiefenpsychologisch analytische Schritt, nein, auch im „Demian" finden sich Traumdeutungen Freuds. Auch das Realitätsprinzip und die triebhaften sexuellen Kindheitserfahrungen, die Freud in seine Theorien einwebte, sind Mittel der romantischen Strömung. Erkennbar, was Sigmund Freud und die Psychoanalyse für die Philosophie, die Kunst und die Literatur, die auch in diesem Bereich unter die philosophischen Züge fällt, bedeuten, wird ersichtlich durch seinen 80. Geburtstag. An diesem Tage im Jahre 1936 dankten ihm 197 anerkannte Künstler und Schriftsteller für seine Forschung und seine Lehre, die gedanklich zu den Grundfesten der modernen abendländischen Kultur gehört. Einer dieser Gratulanten war zum Beispiel Pablo Picasso, in dessen Kunstwerken auch analytische Motive auftreten, die bei der Interpretation ersichtlich werden. Intensiven Kontakt pflegte Freud nur zu einem engen Kreis von Romanciers. Dieser bestand aus den Schriftstellern Thomas Mann, Arthur Schnitzler und dem mehrfach erwähnten Stefan Zweig. Diese drei vereinten vielleicht am genauesten Analytisches, so zum Beispiel bei dem psychologischen Verfalle der „Familie Buddenbrook", die vom Reichtum und gutem, angesehenem Leben in die Tiefe des Nichts fällt. Im damaligen Wien, der Hauptstadt der analytischen Schule, arbeitete Freud viele lange Jahre, bis er nach London ins Exil wechselte. Angefangen 1895, als der Aufsatz „Entwurf einer Psychologie" erschien, folgten 47 Jahre, in denen er arbeitete, analysierte, diskutierte und schrieb. Dieser Aufsatz ist sogleich der Eingang der Analyse für Kenner; aufmerksam auf Freud wurde man aber erst 1900, als er seine „Traumdeutungen" offenlegte. Thomas Mann, der selbst von Nietzsche lernte und ihn zu verstehen suchte, fand in Freud einen zweiten Kenner der Tiefenpsychologie Nietzsches und Schopenhauers. Mancher Analytiker glaubte sogar, dass Freud den Begriff des Es von Nietzsche übernommen hätte. Freuds Dualismus hingegen ähnelt dem Genieaufbau Nietzsches: dem apollonisch-dionysischen System der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik". Dies liegt wohl daran, dass Freud in seiner Studienzeit über den Komplex, wie ich ihn nennen mag, also über Wagner, Schopenhauer und Nietzsche diskutierte. Aus diesen Punkten ersieht man die Verbindung der Kunsttheorie der Romantik, die ohnehin schon psychologisch zu verstehen ist, mit der der Analyse, was einen neuen Zweig der Ideen entstehen läßt. Die Verbindung des Komplexes, also Schopenhauer als Gegenidealist, Nietzsche als Kulturphilosoph und Freud als Aufdecker des Unbewussten, ließen die Neuromantik entstehen. Dies war eine neue Ästhetik, der sich Schriftsteller gerne annahmen. Auch im späteren Verlauf der Geschichte wird die Analyse bedeutsam. In der Frankfurter Schule, dem Zentrum deutsch-jüdischer Philosophie, arbeiteten der Soziophilosph Adorno, der marxistisch angehauchte Marcuse sowie Fromm und der vom Institut unterstützte Ästhet Walter Benjamin, die in ihrer kritischen Theorie Formen der Analyse mit der Lehre Marx zu verbinden suchten. Die kritischen Denker, vor allen Dingen Marcuse, sind wichtig für eine letzte Windung der romantischen Idee: der Flower-Power-Romantik mit ihren Studentenbewegungen und Friedensappellen gegen den Vietnamkrieg.
Die Romantik geht so weit und rückt in die Geschichte vor wie keine andere Idee. Sie schließt durch Nietzsche und Kierkegaard auch die Existenzphilosophie und den Existenzialismus mit ein, die Schriften Camus' und Satres, sowie die Romane „Stiller", „Homo Faber" und „Montauk" von Max Frisch. Ich selbst sehe gerne die Ausläufer Nietzsches, mit denen die Wendung eingeleitet wurde, als abschließenden Rahmen des Irrationalen. Hesse zuliebe, dem ich später ein eigenes Kapitel als nachfahrendem Romantiker widmen werde, will ich mich nun C.G.Jung zuwenden, der mit seiner Archetypenlehre die Tiefenpsychologie ausbaute. Doch bevor ich dies tue, muß noch eins gesagt werden: Jung wurde vom Wiener Kreise ausgebotet, da die Freudianer, auf Freuds Theorie gestützt, meinten, nur wer an die Psychosexualität, an das Unbewusste und an ödipale Komplexe glaube, sei ein richtiger Analytiker; und dies tat Jung nur teilweise, denn er verstand es nicht, alles auf Triebe zurückführen zu müssen! Jung baute aber trotzdem die Arbeit Freuds aus und gründete zudem die analytische Schule der Psychologie, die durch ihre Tiefenpsychologie bekannt wurde. Auf dem Gebiet der analytischen Arbeit Freuds sah er geistige und gefühlsbetonte Störungen als Mittel der Ganzheit, die erlangt wird durch Persönliches und Psychisches. Carl Gustav Jung, der ein breites Hintergrundwissen in den Fächern Zoologie, Biologie, Paläontologie sowie Archäologie pflegte, begann mit seinen Arbeiten über die Komplexe, also über die Verbindung von Assoziationen zu Reizwörtern. Diese Untersuchung verband ihn noch eng mit Freud. Erst 1916 mit der Veröffentlichung „Über die Psychologie des Unbewussten" erklärte er mit seinen Anschauungen, wie anders seine Einstellung zu Freuds Libidointerpretation sei. In diesem Werk berief er sich auf Parallellen, die zwischen antiken Werten und psychotischen Ideen, Phantasien bestehen. Mit dieser Idee und seiner Aussage verließ er die Psychoanalytische Gesellschaft und gründete eine Bewegung, die er analytische Psychologie nannte. Über 50 Jahre hinweg arbeitete Jung konzentriert und baute seine Kenntnisse durch Reisen nach Neumexiko, Indien und Kenia aus. Seine wichtigsten Gedanken, die die Psychologie und Medizin beeinflußten, stammten vor allen Dingen aus Träumen seiner Jugend und seiner Phantasie. 1921 veröffentlichte er das Werk „Psychologische Typen", das das Verhältnis zwischen bewusst und unbewusst erklären sollte. Hiebei erschuf Jung die Begriffe des Intro- und Extrovertierten. Auch schuf er die Idee des kollektiven Unbewussten, das aus sogenannten Archetypen und Urbildern zu bestehen scheint. Mit Urbildern verband Jung die Angst und das Erlebnis des Todes und verfestigte sie mit Mythen, Märchen und Religionen. Diese Verbindung erschien Hesse wichtig, da er von ihr Ideen des Schreibens zog, die ihn zu „Narziß und Goldmund" sowie zum „Steppenwolf", dem „Demian" und „Siddhartha" brachten. Somit will ich ein paar Beispiele psychoanalytischen Schreibens aufzeigen. Der „Narziß und Goldmund", eine meisterhafte Erzählung Hesses, gibt Fragen auf, die man wohl nur durch den Mund eines Psychologen erwarten würde:
„Ernst blickte Narziß ihn an: Ich nehme dich ernst, wenn du Goldmund bist. Du bist aber nicht immer Goldmund. Ich wünsche mir nichts anderes, als daß du ganz und gar Goldmund würdest. Du bist kein Gelehrter, du bist kein Mönch – einen Gelehrten oder einen Mönch kann man aus geringerem Holz machen. Du glaubst du seiest mir zu wenig gelehrt, zu wenig Logiker, oder zu wenig fromm. O nein, aber du bist mir zu wenig du selbst.“
Dies psychologisch tiefgründige Gespräch zwischen den Hauptcharakteren des Werkes Hesses zeigt, wie man sprachliche Schönheit, Ästhetik und Kunst mit anlytischem Schreiben vereinen kann. In mir selbst wirft dieser Auszug Fragen auf: Wann bin ich ich selbst?
Dies ist der Ausgangspunkt für eine philosophische und analytische Überlegung, die zu einer Grundfrage über unser eigenes Inneres führt.
Diese Fragestellung behandelt Hesse auch, im drei Jahre zuvor erschienen Steppenwolf, dessen Spaltung des eigenen Selbst, zwischen Mensch und Wolf im Traktat, einem analytischen Meisterwerke deutlich wird:
„Es war einmal einer namens Harry, genannt der Steppenwolf. Er ging auf zwei Beinen, trug Kleider und war ein Mensch, aber eigentlich war er doch ein Steppenwolf.
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Es mögen sich kluge Menschen darüber streiten, ob er nun wirklich ein Wolf war, ob er einmal, vielleicht schon vor seiner Geburt, aus einem Wolf in einen Menschen verzaubert worden war oder ob er als Mensch geboren aber mit der Seele eines Steppenwolfes begabt und von ihr besessen war oder aber ob dieser Glaube, daß er eigentlich ein Wolf sei, bloß eine Einbildung oder Krankheit von ihm war.“

In diesen Beispielen ersieht man das, was ich anfangs zu sagen versuchte: Mit Kunst fängt die Kunst an und hört niemals auf zu wirken, denn wir gebrauchen die Magie!
Ein kleiner Hauch von Wahnsinn steckt in jeder Seele. Wahnsinn, damit meine ich kohärent gesehen die Wahrheit.
Magie, damit meine ich romantische Wahrheiten.
Wer den Wahnsinn in sich erkennt, erkennt meistens auch ein Stück Wahrheit. Da Wahnsinn und Wahrheit Brüder sind, wird die Wahrheit immer romantisch zu betrachten sein.

Hesse hielt sich wie viele an die Maßstäbe Novalis': Wenn einer verrückt wird, so ist dies beängstigend, wenn alle verrückt werden, so ist dies Magie.

Die analytische Schule prägte und stellte klar, dass die Romantik ein System ist, welches auf Magie basiert. Auch hier zählten die Verbindungen des geheimnisvollen Weges nach innen, die zwar nun konservativ verarbeitet wurden, doch mit Hilfe von Ich, Es und Überich neu gestaltet und ausgelebt werden. Auch an diesem Punkte muß man wieder sagen, daß Freud recht hatte: „Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat."
Und dies mag wohl richtig sein; es hatte damals Richtigkeit und sollte auch heute Richtigkeit haben, denn Intellekt beruht auf Erhaltung, Erfahrung, Bewahrung und Tradition.

Der Zyklus

Wenn nur noch Zahl und Figur,
Sind Schlüssel unserer Welt
Und nur noch gedacht wird an
Hab und Geld.
Wird vergessen werden, was das Märchen lehrte,
Die Fabel, der romantische Held.
Wenn Rationalität siegt, wird die
Welt nicht Traum, der Traum nicht Welt.
Dann zählt nur noch die Vernunft
ohne die reromantische Widerkunft.

Ausschnitt aus meinem unveröffentlichten Erstlingswerk, dem „Reromantischen Manifest"

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