71 - Lebenssplitter „Zwei rechte Hände"

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von Heide Nöchel (noé)

Mein Vater sammelte alles. Aber ein Messi war er nicht, das ganz bestimmt nicht. Nicht mein Vater! Der Keller war voller Schätze. Für alles hatte er „Näppel“ oder „Tippel“, in denen auch die kleinste Schraube oder Mutter noch gesammelt wurde. Selbst leicht krumme Nägel sammelte er, man konnte sie im Bedarfsfall ja noch „gradekloppen“. Alles war geordnet und beschriftet und hatte seinen Platz. Alte Kleiderschränke wurden im Keller wieder aufgebaut, denn sie waren prima vorgefertigter Regalersatz, durch die Türen sogar mit Staubbremse. Auch mein schöner schwarzer Bücherschrank vom Flur aus der Moltkestraße fand seinen Platz dort im dunklen Keller, seiner Bücher ebenso beraubt wie seiner Fensterglasscheiben. Die waren ersetzt worden durch Plexiglasplatten mit bunten Vorhängen aus alten Gardinen dahinter. Und hinter diesen stapelte sich das Eingemachte. Welch ein Abstieg für dieses Schrank-Gemälde, das ich in meinen Phantasien immer mit Butzenscheiben als Kleinod gesehen hatte, wieder prall gefüllt mit Lesestoff!

„Das ist meiner!“, sagte ich jedes Mal, wenn ich – herzblutend – dieses Prachtstück in seiner Verbannung sah. Insgeheim befürchtete ich ja, dass er Papas Axt zum Opfer fallen würde. Jedes Mal bekam ich zur hingeworfenen Antwort: „Wenn du ihn transportieren kannst, nimm ihn mit! Aber dafür wollen wir ein neues Regal für die Gläser haben.“ Und jedes Mal wieder die bange Befürchtung, dass sie sich nicht an ihr Versprechen gehalten hatten.

Wenn man meinem Vater sagte, irgendetwas sei kaputt, sagte er nichts, verzog sich in den Keller und kam kurze Zeit später mit einem Fundus an Dingen wieder nach oben, die eventuell helfen konnten, das Kaputte wieder heil zu machen. Und meistens funktionierte das tatsächlich. Selbst zerbrochene Plastikautos meines Bruders konnte er „schweißen“, ohne Kleber, durch Erhitzen der Bruchstellen kriegte er das wieder hin. Es gab wenig, das der praktischen Phantasie meines Vaters Widerstand leistete, und für fast alles hatte er Ersatzteile in seinem riesigen geordneten Lager im Keller.

Sogar für die Einbruchssicherung hatte er sehr praktische und effektive Lösungen parat, die ich später, als ich selber mal vorübergehend ein Einfamilienhaus bewohnte, zur Sicherung der vielen Türen übernommen hatte.

Mein Vater war ein Mensch mit vielen praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten und in der Nachbarschaft sehr geschätzt wegen seiner wortkargen, tatkräftigen Hilfsbereitschaft. Sie vertrauten ihm ihre Schlüssel an, wenn sie in Urlaub fuhren, damit er Bewohntheit vortäuschen konnte, Jalousien rauf und runter, Post reinholen, Pflanzen drinnen und Garten draußen wässern, im Winter Schnee aus den Einfahrten schippen.

Alles dies brachte ihm viel Ansehen und meiner Mutter nach seinem Tod ganz praktische, wortlose Hilfe. Denn sie war so gehandikapt, dass sie draußen nichts machen konnte. Das war aber nicht nötig. Zwar hatte sie für die normale Gartenarbeit einen Gärtner angestellt, aber wenn im Winter Schneefall war, schippte immer der eine oder andere Nachbar ihre Einfahrt frei und streute Sand auf die Stufen. Das wurde ohne großes Brimborium einfach miterledigt.

noé/2016

Prosa in Kategorie: 
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