Meine Freundin Absurda

Bild von Alf Glocker
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Meine Freundin wohnt in Groß-Foppingen an der Schleich, in der Geht-Garnicht-Straße 13. Ihre Handynummer ist 0815 / 6666660. Ihre Wohnung liegt im 6. Stock (ohne Aufzug). Sie trinkt gerne reinen Wein. Aber einschenken tut sie ihn weniger gerne. Man sollte schon einen mitbringen und sie damit bedienen, wenn man sie besucht.

Manche Leute sagen, sie sei nicht ganz koscher, nicht zu gebrauchen, ein bisschen sehr wirr im Kopf, oder auch ganz einfach völlig aus der Welt. Ich lasse mich davon nicht abschrecken, denn ich bin so optimistisch, daß sich dadurch manchmal schon die Realität verzerrt. In solchen Situationen sehne ich mich nach Wärme, die ich, dummerweise, bei ihr, meiner, wie sie selbst sagt „Freundin", vermute.

Ihr Humor kennt keine Grenzen. Aber das betrifft wirklich nur ihren Humor. Man könnte ihn auch „Schwarzen Humor“ nennen. Überall in der Wohnung hat sie Grenzen installiert, imaginäre Fäden gespannt. Wenn man einen davon berührt, wird Alarm ausgelöst: ein durchdringender Ton, in einem für andere Menschen nicht mehr wahrnehmbaren Frequenzbereich, macht einen dann schier verrückt – außer man ist ein überzeugter Ignorant.

Ein sensibler Mensch bemüht sich leider sofort, die arme Frau wieder zu beruhigen. Wenn meine Freundin mit der Reaktion auf den Alarm zufrieden ist, fängt die Sache mit der Kerzenromantik an. Wie von selbst beginnen sich überall Kandelaber in unterschiedlichen Größen zu illuminieren. Ihr plötzliches Erstrahlen ist mir ein Rätsel.

Ich habe in vielen Jahren nicht herausbekommen, wie sie das macht. Unvermittelt sind alle Räume in angenehm sinnliches Licht getaucht. Vertraute Stimmung kommt auf. Sie lässt ihren Mund lächeln und ihre Augen leuchten. Meine Freundin ist nicht nur ausgesprochen hübsch, sie ist auch eine nicht böse Zauberin.

Eifrig spreche ich bei jedem meiner Besuche, bereits zum Essen, meinem mitgebrachten Reinwein zu. Ich erzähle und erzähle. Sie erzählt auch etwas … völlig frei erfundene Geschichten aus dem Steh-Greif. Ich bewundere sie dafür, so stark improvisieren zu können. Ihre Storys handeln von Liebe und erlebtem Sex in allen denkbaren Variationen. Aber nichts davon ist wahr …

Danach reicht sie mir die Hand – wobei wir teuflisch aufpassen müssen, nicht einen der imaginären Fäden zu berühren, damit nicht schon wieder der Alarm ausgelöst wird. Das wäre äußerst fatal und würde das aufgebaute Vertrauen sofort zerstören.

Vorsichtig streichle ich ihre kleine Hand, Sie ist schmal und zierlich und angenehm heiß. Wir setzen uns aufs Sofa. Nach einiger Zeit rutscht meine Freundin ein wenig näher an mich heran und legt den Kopf auf meine Schulter. Ich verstehe nicht, wie sie das immer schafft, ohne den Alarm auszulösen.

Verzückt bleibt mein Blick (wie immer) an ihrem Bücherregal hängen. Meine Freundin ist eine begeisterte Büchersammlerin. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat sie z. B. gleich dreimal. Daneben stehen Werke wie „Justine“, „Die Geschichte der O“, „Shibari“. Sie besitzt aber in der Hauptsache Fachbücher. „Das große Buch der Schlangen“ sehe ich, „Spinnen an sich“. Doch auch die mächtige Roman-Trilogie von Niedrich Fritzsche „Weit hinterm Licht“ ist vorhanden. Erstaunlicherweise fehlt die Bibel. Das verblüfft mich etwas.

Während ich die entzückenden Rücken der Bücher anstarre, berichtet mir meine Freundin von ihrem bevorstehenden Umzug. Zumindest habe sie sich fest vorgenommen, demnächst in die Venusalllee Nr. 69 überzusiedeln. Dort wolle sie ein riesiges Schlafzimmer haben, gesteht sie mir. Das Himmelbett, von der Firma Lotter und Co. GmbH KG, habe sie schon bestellt. Darüber möchte sie dann auch ein Ölbild aufhängen, auf dem eine Miesmuschel zu sehen ist. Das traue ich ihr zu, denke ich, passe dabei aber höllisch auf, daß ich es nicht laut ausspreche.

Als sie noch näher an mich heranrückt habe ich für meinen rechten Arm keinen Platz mehr. Unwillkürlich lege ich ihn um ihre Schulter und streife dabei unabsichtlich ihren Busen etwas. Das löst sofort den Alarm aus, denn offensichtlich bin ich an einen der Fäden geraten. Nein, es müssen gleich mehrere gewesen sein. Zu allem Überfluss geht jetzt auch noch die Sprinkleranlage an und ich stehe wie ein begossener Pudel da.

Wahrscheinlich hat sie mein hochroter Kopf mit seiner Dödelstrahlung aktiviert. Im Nu gehen die Kerzen aus. Die Szene wirkt trist. Ich beginne zu zittern – und ich suche verzweifelt nach den richtigen Worten, die alles erklären können. Aber ich finde nur Ausreden.

Das kann meine Freundin nicht länger ertragen. Sie verabschiedet mich beinahe panisch, weil sie noch saubermachen müsse, meint sie. Zum Glück sind bei ihr alle Möbel mit Plastikfolie überzogen. Der Teppichboden ist aus künstlichem Rasen. Und aus Sicherheitsgründen ist im Fußboden sogar ein Abfluss vorhanden. Sie muss also nur noch trockenwischen.

Sich selbst muss sie ja auch noch abtrocknen, denn logischerweise ist sie ganz schön feucht geworden …

Darüber, wie ich jetzt mit mir zurechtkomme, macht sie sich keine Sorgen. Das gehört schließlich alles zum seltsamen Spiel ...

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Kommentare

27. Feb 2019

Die Absurda mag ich sehr!
Kannst Du uns erzählen mehr?

Liebe Grüße
Ella

27. Feb 2019

Leider muss Geheimnis bleiben,
was wir miteinander (nicht) treiben...
:-)))

Liebe Grüße Alf