In den Ringen des Saturns war nichts los. Darum beschlossen Bor und ich, zu verschwinden. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass wir in der Bar auf QR7 nicht wirklich willkommen waren. Das Volk, was sich dort herumtrieb, mochte sich noch an unseren letzten Besuch erinnern. Ich tat das ebenfalls. Bor war es egal. Er machte sich selten Gedanken, aber er langweilte sich schnell.
Nun wollten wir hinüber zu Alpha Centauri. Bor hatte gehört, dass es dort ein Treffen der Turks geben sollte. Wir mochten sie nicht. Doch das spielte keine Rolle. Viel interessanter war, dass die Turks sich untereinander auch nicht mochten. Es versprach also ein aufregendes Treffen zu geben. Bor und ich liebten es, wenn wir in ein Abenteuer hineinstolperten, doch ebenso gerne sahen wir bei ihnen wohl zu.
„Das Leben ist zu kurz, um sich auf einen Planeten festzulegen“, meinte Bor.
Er musste es wissen, immerhin trieb er sich bereits über hundertzwanzig Jahre in der Galaxie herum. Als ich ihn kennenlernte, war er in einem Alter, in dem jeder Mensch sich bereits in ein Altenheim zurückgezogen hätte. Für Bor war das keine Option. Mius taten so etwas nicht. Seine Art gondelte durch das Universum, bis sie sich eines Tages urplötzlich auf ihren Heimatplaneten zurückzogen, in den unergründlichen Bergen Gesänge anstimmten und so lange dort sitzen blieben, bis sie für immer verstummten. Die Mius waren ein seltsames Volk.
Überhaupt galten sie als ungesellig, kaum dass man sie in Gruppen beieinander sah. Warum Bor sich überhaupt mit mir abgab, blieb mir ein Rätsel. Vielleicht bildeten wir eine Zweckgemeinschaft, die von der gleichen Unruhe angetrieben wurde. Und wir ergänzten uns wunderbar. Bor war ein hervorragender Pilot, während ich ein Gespür dafür besaß, wo es für uns etwas zu holen gab. Nun aber wollten wir nur zu dem Treffen der Turks, um uns zu amüsieren. Bor schmiss die Maschine an und schon gondelten wir los.
Während solch eines Fluges redete mein Kumpel nicht viel, dass es ziemlich langweilig wurde. Er saß vorne in der Kabine und lenkte unser Raumschiff in unendlicher Geduld durch die Galaxie. Es genügte ihm, in die Dunkelheit des Nichts zu starren. Wahrscheinlich kam diese Gelassenheit, wenn man weit über hundert Jahre alt wurde. Mich jedoch trieb immer noch die jugendliche Ungeduld eines Fünfzigjährigen. Während Bor also in Richtung Alpha Centauri flog, zog ich mich zurück und zappte mich durch die Historien-Datenbank, welche wir vor kurzem erst aktualisiert hatten. Die Geschichte der Turks interessierte mich, um mich vollkommen auf unser Zusammentreffen vorzubereiten.
Mius hatten einen Nachteil. Sie handelten unvermittelt, falls Probleme auftraten. So war ich nicht darauf vorbereitet, als unser Schiff plötzlich zu schlingern begann. Ich konnte mich nicht auf meinem Stuhl halten und purzelte durch den Raum, dass ich nur mit Mühe verhindern konnte, mir den Kopf anzuschlagen. Und schon zog die Maschine auf die andere Seite hinüber und ich kollerte erneut über den Boden.
Irgendwie bekam ich das Haltegestänge der Tür zu greifen und klammerte mich daran fest. Mühsam zog ich mich hoch. Unser Raumschiff schlingerte weiter, so wie es seinerzeit auf einer Achterbahn gewesen sein musste.
„Verdammt noch einmal, Bor!“, schrie ich.
Erwartungsgemäß bekam ich keine Antwort. Ich musste nach vorne ins Cockpit, um zu erfahren, was überhaupt los war. Mühsam hielt ich mich an den Gestängen der Wände fest und arbeitete mich schrittweise zu Bor vor. Schließlich erreichte ich die Kabine.
„Was ist los?“, rief ich wieder.
Bor wandte sich noch nicht einmal zu mir um und wie ich nun erkannte, hatte er auch keine Zeit dazu. Wir waren in einen Meteoritenregen geraten. Bor steuerte die Maschine, dass wir nicht mit einem dieser Brocken kollidierten.
„Es scheint dir langweilig geworden zu sein“, bemerkte ich, warf mich in den Sessel neben meinen Kumpel und schnallte mich an.
„Meteoriten“, sagte Bor in seiner brüchigen Stimme.
„Das sehe ich“, entgegnete ich.
„Wir kommen durch“, bemerkte Bor.
„Das weiß ich, du bist der Pilot“, bestätigte ich und Bor wich einem der größeren Brocken aus, der uns in tausend Stücke zersplittert hätte.
Wir kamen tatsächlich durch und ich war froh darüber. Meine Gewissheit war keinesfalls so groß gewesen, wie ich es Bor weismachen wollte. Für ihn machte es keinen Unterschied, mich aber tröstete die kleine Lüge. Der Meteoritenschauer war eine große Gefahr gewesen, doch hätte ich gewusst, was uns dahinter erwartete, wäre ich gern noch eine Weile darin geblieben.
Plötzlich lag der Weltraum wieder unergründlich vor uns. Ich pustete durch und schnallte mich ab. Bor begann zu singen.
„Ich hoffe nicht, dass du jetzt sterben willst“, sagte ich.
„Habe nicht die Absicht“, entgegnete mein Kumpel und verzog das Gesicht zu etwas, was bei Menschen als Grinsen durchgehen konnte.
In diesem Moment passte Bor nicht auf, was bei ihm äußerst selten vorkam. Eine Erschütterung riss das Schiff zur Seite und ich knallte an die Konsole, dass ich fast die Besinnung verlor.
„Verdammt“, sagte Bor ruhig, als wären die Würfel falsch gefallen.
Ich rappelte mich wieder hoch. Vor uns sah ich zwei weitere Raumschiffe und etwas weiter an der Seite ein drittes.
„Turks“, stellte Bor fest.
Der Konstruktion nach zu urteilen, waren es tatsächlich Schiffe dieser Art. Sicherlich waren die Turks ebenfalls auf dem Weg nach Alpha Centauri und hatten sich zufällig getroffen. Wie ich bereits erwähnte, mochten sie einander nicht. Die Turks waren in dreißig Stämme aufgeteilt, die sich bis aufs Blut bekämpften und wie es schien, waren Bor und ich in solch eine Stammesfehde hineingeraten. Sie endeten fast immer tödlich.
Tatsächlich waren die drei Schiffe damit beschäftigt, sich gegenseitig zu beschießen. Da wir zufällig hinzugestoßen waren, glaubten sie wahrscheinlich, dass es nicht schaden würde, uns in den Kampf hineinzuziehen. Doch hatten wir einen entscheidenden Nachteil. Sollten wir ebenfalls das Feuer eröffnen, so würden die Turks sich augenblicklich gegen uns verbünden. Sie mochten einander nicht, mehr noch aber hassten sie Fremde. Selbst Bor kam in dieser Situation ins Schwitzen. Schon erwischte uns die nächste Breitseite.
„Noch so ein Treffer und wir können als Sternenstaub durch die Galaxie gondeln“, sagte ich.
„Ohne Gesang“, ergänzte Bor.
Ich sah ihn an. Konzentriert hielt er das Steuer. Was sollten wir machen? Turk-Schiffe waren die schnellsten im Universum. Wir konnten ihnen nicht entkommen.
„Laden wir sie auf einen Tee ein“, versuchte ich zu witzeln.
„Ich weiß etwas Besseres“, entgegnete Bor und riss das Steuer herum.
Wir flogen eine 180-Grad-Kurve. Schon lag der Meteoritenregen wieder vor uns.
„Bist du verrückt?“, schrie ich. „Wir sind da gerade glücklich rausgekommen.“
„Was einmal klappt, gelingt auch zweimal“, entgegnete Bor.
Die Turks schossen hinter uns her, aber sie trafen nicht. Und schon waren wir hinter dem ersten Meteoriten verschwunden. Bor riss das Steuer herum, gerade noch rechtzeitig, um einem Gesteinsbrocken ausweichen zu können. Ich landete auf dem Boden, da ich mich wieder nicht angeschnallt hatte.
„Ich glaube, ich sollte auch zu singen beginnen“, murmelte ich, aber mein Kumpel hörte nicht auf mich. Er war erneut mit den Meteoriten beschäftigt.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Es mochte eine Minute sein oder eine Stunde. In dieser Zeit kullerte ich auf dem Boden herum und versuchte mich ständig festzuklammern, was mir allerdings kaum gelang. Endlich lehnte sich Bor in seinem Sessel zurück und unser Raumschiff flog wieder ruhig geradeaus. Das Abenteuer mochte es ziemlich demoliert haben, aber es hatte ausgehalten.
Ich kniete mich hin und blickte über die Konsole hinaus in den Weltraum. Bor sah zu mir herunter.
„Wir müssen die Maschine überholen“, sagte er und hatte recht.
Ganz sicher waren dringend einige Reparaturen vorzunehmen. Wir durften das alte Mädchen nicht im Stich lassen. Wir wussten es beide.
„Ich brauche ein Bier“, sagte ich.
„Ehrlich, ich auch“, entgegnete mein Kumpel und stellte die Automatik ein.
Eine Stunde später landeten wir wieder in den Ringen des Saturns. Das Treffen der Turks hatte für uns seinen Reiz verloren. Wir hatten genug davon mitbekommen, um eine Vorstellung zu erhalten, wie es ablaufen würde. In den Ringen des Saturns war nichts los, aber momentan mochten wir beide es lieber langweilig.
Lieber langweilig
von Magnus Gosdek
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- Autorin/Autor: Magnus Gosdek
- Prosa von Magnus Gosdek
- Prosakategorie und Thema: Kurzgeschichten & Kurzprosa
Kommentare
Langweilig ist hier kein Wort -
Der Leser, er flog mit! Sofort!
LG Axel
Vielen Dank, Axel. Du bekommst immer eine Freikarte. LG Magnus