Herr Sander

Bild von Tanja Grün
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Fünfhundert, denke ich, der spinnt ja. Ich starre noch immer auf die fünf Scheine in meiner Hand. Sie haben Knicke und nicht alle die gleiche Farbe, manche mehr, manche weniger Grauschleier. Dann sehe ich in Herrn Sanders Gesicht. Es ist blass, seine Haut sieht irgendwie schmierig aus, er schwitzt ein bisschen. Was denken Sie denn von mir, sage ich, das ist nicht nötig. Sie müssen da gar nichts befürchten. Wie und warum sollte ich denn Ihre Frau wiedertreffen? Man weiß nie, sagt er, dreht sich um und geht zurück ins Zimmer zu der Rothaarigen. Herrn Sanders Frau ist blond, genauso wie die zwei Jungs, die jetzt schon ziemlich groß sind und aufs Gymnasium gehen. Ich kenne sie gut, Sanders waren oft bei Johanna.
Vielleicht hat er Recht, sage ich mir und stecke die fünf Scheine erst mal in meine Jeans unter dem Kittel. Ich hätte ja auch nie gedacht, dass ich Herrn Sander hier wiedertreffen könnte. Dass es Leute gibt, die im Hochsommer drei Wochen bei Johanna auf dem Hof wohnen, dieses ganze Biozeugs essen, bei egal welchem Wetter wandern gehen und dann hierher kommen. In die Wellnessoase. Die teuerste in der ganzen Gegend mit Sterneküche und so schönen Fliesen und Armaturen, dass ich mich viel mehr ins Zeug lege als früher und manchmal fast Lust hätte, freiwillig Überstunden zu machen. Es ist gut, dass ich mal was Neues probiert habe. Obwohl es mir bei Johanna wirklich gut ging und ich hier nur eine Art Putzfrau bin. Oder eben Reinigungskraft. Ein Zimmermädchen. Eine von vielen auf jeden Fall.
Bei Johanna hab ich alles Mögliche gemacht, auch mal in der Küche geholfen oder sogar im Stall. Gästen wie den Sanders hat sie immer gesagt, ohne Maria wär ich total aufgeschmissen. Gäste wie die Sanders hätten es wahrscheinlich auch nicht gut gefunden, wenn sie mich als Putzfrau hingestellt hätte. Gäste wie die wollten doch immer, dass alle gleich sind. Die Armen in Afrika und wir und vielleicht sogar die Tiere und wir. Das war schon auch gut für mich. Aber hier gefällt es mir trotzdem besser. Alles ist so schön und wenn ich den Ruhebereich putze, höre ich manchmal Entspannungsmusik. Die Leute genießen alles so und ich genieße eben mit.
Herrn Sander hab ich gestern Abend sofort erkannt. Erst nur seine Stimme, dann auch den Rest. Obwohl er ganz anders angezogen war. Im Lodenmantel stand er an der Rezeption. Vielleicht trug er ja irgendwo drunter eins von den ausgewaschenen Schlabber-T-Shirts, die er immer im Sommer bei Johanna anhatte. Aber so sah das nicht aus. Die Haare viel kürzer. So kurz, dass die Locken fast weggeschnitten waren. Und dicker kam er mir auch vor. Ich hab ihn trotzdem gleich erkannt, als ich gerade durch die Halle musste, zum Saunabereich. Er hat mich da noch gar nicht gesehen, stand ja mit dem Rücken zu mir und musste einchecken. Erst später hat er mich bemerkt, als er Hand in Hand mit der rothaarigen Frau an den Pool kam und ich grade noch die Schwimmhalle fertig gemacht habe, schon kurz vor Feierabend. Ihm sind fast die Augen rausgefallen, dabei hab ich bloß gedacht, die haben sich wohl getrennt und jetzt hat er sich eine ganz andere Frau gesucht, einen ganz anderen Typ. Aber er hat gleich Angst bekommen, glaube ich.
Die rothaarige Frau hat seine Hand kaum losgelassen. Und im Wasser hat sie sich an ihn gehängt und ihn abgeküsst. Wie ein Teenagerpärchen im Freibad waren die zwei. Nur hat er immer wieder zu mir hergeschielt und ich hab dann weggesehen oder halt möglichst nett gelächelt.
Die Rothaarige ist sicher nicht jünger als Frau Sander. Aber irgendwie weicher. Nicht so hager, sondern ein bisschen fleischig mit riesigen Brüsten. Und sie hat gelacht, als sie mit Herrn Sander im Schwimmbecken war. Frau Sander hab ich wahrscheinlich noch nie richtig lachen gehört. Frau Sander hat immer nur gerufen, mit ihrer tiefen Stimme, nach den Jungs und ihrem Mann. Die Jungs waren immer freundlich und haben sich nie daneben benommen. Nur einmal hatte einer von ihnen mal plötzlich ein Smartphone. Von irgendwoher, sicher nicht von seinen Eltern. Einfach eingeschmuggelt in sein Zimmer. Frau Sander hat ihn damit erwischt und dann musste er nach Hause fahren. Da sind sogar Johannas Augenbrauen in die Höhe gewandert, obwohl sie über alle Leute immer nur das Beste denkt und mit Frau Sander immer diese langen Gespräche über das Gemüse und die Tiere auf dem Hof geführt hat.
Ich bin fertig mit Zimmer 8 und wechsle rüber zu Zimmer 9. Fange erst mal im Bad an, das mache ich immer am liebsten. Obwohl der Pool unten so groß ist, sind die Badewannen in den Doppelzimmern riesig. Drumherum stehen überall Kerzen und Gläser, in die ich immer frische Rosenblätter nachfüllen muss. Die kann man dann übers Wasser streuen. Vielleicht buche ich mich ja auch mal hier ein, überlege ich. Jetzt, mit den fünfhundert Euro. Lasse mir eine Gesichtsmaske, eine Aromabehandlung und eine Massage verpassen. Auch sonst fällt mir noch so einiges ein, was ich mit dem Geld machen könnte. Aber irgendwie hab ich doch auch ein ungutes Gefühl.
Mit dem Bad bin ich fertig. Also jetzt das Bett. Es soll jeden Tag aussehen wie frisch überzogen. Das wird heute schwierig werden beim Bett von Zimmer 9, denke ich gerade und wundere mich plötzlich, dass die Zimmer im Haus doch so hellhörig sind. Denn drüben in Zimmer 10 ertönt die Stimme von Herrn Sander.
Gar nichts hab ich dir versprochen, schreit er. Die Frauenstimme klingt sehr schrill, als sie zurückschreit: Lügner! Entscheide dich! Hör auf mich zu quälen! Und er wieder: Ich habe Kinder, was denkst du, wie ich mich quäle. Sie: Ich habe gar niemanden! Ich kann nicht mehr!
Dann höre ich, wie die Tür von Zimmer zehn aufgerissen wird, schnelle kraftvolle Schritte auf dem Flur und Herrn Sander, der ruft: Bleib doch hier! Keine Antwort mehr.
Ich mache weiter mit dem Bett von Zimmer 9. Dann mit dem Staubsauger. Das dauert alles. Außer den Geräuschen, die von mir selber kommen, höre ich nichts mehr. Ich überlege mir schon, wie ich jetzt Zimmer 10 saubermachen soll, wo doch bestimmt Herr Sander noch drin ist. Umso mehr erschrecke ich, als ich endlich rausgehe. Er steht immer noch im Flur, mit dem Rücken zu mir am Fenster. Und heult. Das hab ich noch nie erlebt, einen Mann, der heult. Höchstens vielleicht mal in einem Film gesehen. Aber normalerweise heulen Männer doch einfach nicht. Herr Sander schon. Er dreht sich zu mir um, als er mich hört, und schaut mich ganz groß an. Als könnte ich ihm jetzt irgendwie weiterhelfen. Also hole ich die fünf Scheine wieder aus meiner Hosentasche und gebe sie ihm zurück. Geld kann manchmal ja ein Trost sein. Und er zuckt die Schultern, verheult wie er ist, stopft sie mir wieder in die Schürzentasche und legt seinen Kopf auf meine Schulter. Im Bett von Zimmer 10 tröste ich ihn und denke erst: Jetzt sind wir drei. Aber dann: Ich bin zwei. Das Geld werfe ich später ins Klo von Zimmer 10 und spüle kräftig.

Veröffentlicht / Quelle: 
Tanja Grün, Wind, Pangai Misi Verlag ISBN 978-3-989-10-6
Prosa in Kategorie: 
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