Es gibt sehr viele verschiedene, scheinbar nichtkriegerische Mittel der Einflussnahme auf einen Verlauf von Ereignissen oder die Psyche eines Menschen – wobei unbedingt erwähnt werden sollte, daß die höhere Diplomatie das Eine meist durch das Andere erreicht. Geschickte Taktiken und Vorgehensweisen sind dabei ebenso unbedingt erforderlich, wie es auch zwingend erforderlich ist, seinen Gegner – oder sollten wir vielleicht besser „sein Opfer“ sagen? – im Ungewissen darüber zu lassen, ob es sich nun beim Vorgehen des Diplomaten um Taktiken dreht oder der ganz einfach völlig unbedarft handelt.
Genau betrachtet heißt das: Der „Diplomat“ sollte eigentlich weder von seinem Gegenüber noch (das ist sehr zu empfehlen) von sich selber durchschaut werden. Beide sollen denken, alles gehe mit rechten Dingen und völlig ohne Argwohn zu. Sämtliche „diplomatischen Schritte" müssen jedoch, um überhaupt Wirkung zu erzielen, einerseits mit vagen (um nicht zu sagen frechen) Behauptungen durchsetzt und andererseits verletzend sein. Nur auf diese äußerst effiziente Weise lassen sich die größten Erfolge erzielen … und Miss Mutig erwies sich stets als eine wahre Meisterin darin!
Man muss allerdings zugeben, daß ihr nahezu alleiniges Angriffsziel, Sohwass von Schlapp, genannt „Stein“, gewissermaßen „allverzeihend“, weil völlig naiv und krankhaft optimistisch war, was sich – worauf man sich verlassen konnte – darauf bezog, daß er grundsätzlich annahm, seine Partnerin wäre unschuldig und er würde ihr fortwährend die größten Lebensschwierigkeiten bereiten … nein: ZUFÜGEN! Damit ließ sich ordentlich was anfangen. Vor allem Miss Mutig konnte sich stets darauf berufen, ihn nur mit konstruktiver Kritik überschüttet zu haben. Und vielleicht war das ja auch so!
Ihrem offensichtlichen Dafürhalten nach war sie jedenfalls 24 Stunden am Tag darum bemüht, daß Stein keine Fehler machte und zwar egal wo, ob beim Autofahren, Abspülen oder unüberlegt Daherreden. Doch auch wenn er ein Bild gemalt hatte, musste sie ihm einfach sagen, wo genau er sich verzettelt hatte, und daß es, das Bild, höchstwahrscheinlich auch kaum noch zu reparieren sei. Sie tat dies im vitalen Interesse daran, ihr Schlapp möge es beim nächsten Mal besser machen, oder noch besser, das Malen generell aufhören, da sie meist wichtigere Aufgaben für ihn hatte.
Sobald er den Pinsel schwang oder sich hinsetzte, weil ihm was einfiel, das er aufschreiben wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn zu ermahnen, wenn er nicht rechtzeitig zur Stelle war, um ihr beim spontan beschlossenen Hausputz zu Hilfe zu eilen – und da gab es keine Ausreden, wie „lass mich bitte den Satz noch beenden“, oder, „Moment ich komme gleich, die Falte am Gewand der Tänzerin ist noch nicht ganz geglättet." Sie musste ihm einfach klarmachen, wie gewissenlos und unaufmerksam er doch immer wieder sei. Wer tat das denn sonst?! Seine Fans sicher nicht. Von denen war, in dieser Hinsicht, keine Hilfe zu erwarten … und von ihm selbst natürlich auch nicht. Das war eine schreckliche Misere, die nur sie, Miss Mutig und ihre Freundinnen, wie z. B. Zacky oder Bully, verstanden.
Die reifen und erwachsenen, nein weisen Frauen sorgten schließlich aufopfernd für einen möglichst sachdienlichen Ablauf notwendiger Amtshandlungen, bei denen Leute wie Stein gnädigstenfalls noch belächelt werden konnten, während Freiheiten, die sie sich selbst herausnehmen durften, sich automatisch gegenseitiger Absegnung erfreuten. Das Glück der Tüchtigen gab ihnen recht, wie auch Recht. Aber als verantwortungsbewusste Frau durfte man eben nicht nachlassen, also permanent bemüht sein, daß nichts aus den Fugen geriet.
Ein Beispiel zur Güte: Am Frühstückstisch herrschte, wie gewöhnlich, eisiges Schweigen! Stein hätte jetzt, schlecht wie er war, annehmen können, seine Miss wartete nur auf eine Gelegenheit, ihn das Wort ergreifen zu lassen, um ihn sofort eines eklatanten Irrtums zu überführen – aber das tat er nicht. Aber das Schweigen gefiel ihm auch nicht, und da er stets das Gefühl hatte, sich bei Miss Mutig in ein besseres Licht stellen zu müssen, begann er, dämlich wie immer …
Schüchtern meinte er, er bekäme derzeit immer mehr Fanpost auf seiner Webseite, wo er sich, Tag für Tag, mit neuen Bildern und Texten wichtig zu machen versuchte. Wenn das ein kleiner Wink mit einem winzigen Zaunpfählchen sein sollte, dann hatte er sich trotzdem verschätzt. Denn Miss Mutig, vorhin noch träge und besonnen wirkend, konterte sofort, um ihrer Besorgnis um Sohwass‘ Geisteszustand Ausdruck zu geben: „Weißt Du, die Leute haben gegenwärtig vielleicht einfach mehr Zeit als sonst, da können sie sich mit allem Möglichen beschäftigen." Dabei stocherte sie abwesend in ihrem Rührei …
Von Schlapp erkannte sofort, wie egoistisch und eingebildet er gewesen war und gab ihr reumütig recht. In der pragmatischen Betrachtung der Dinge auf der Welt war sie ihm halt einfach himmelweit überlegen. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen, ihre scheinbar gezielte Äußerung hätte etwas mit höherer Diplomatie zu tun. Allerdings fragte er sich schon, ob Miss Mutig ihrem Liebhaber auf ähnliche Weise entgegengekommen wäre. Er nahm jedoch an, da es sich bei den beiden ja auch hauptsächlich um erwachsene Persönlichkeiten handelte, die immer genau wissen was sie tun, daß eine derartige Zurechtweisung dort völlig überflüssig wäre.
So überflüssig wie z. B. ein niederträchtiger Anruf einer seiner weiblichen Fans. Tusnelda meldete sich, wenn sie sich keinen Rat mehr wusste, aber gerne einen von Stein gehabt hätte, auf dem Display des Telefons von Familie Mutig-Schlapp, einmal mit „unbekannt“. Das Biest hatte einfach seine Nummer unterdrückt, da es, nicht ganz zu Unrecht, befürchtete, Miss Mutig würde vor Wut schäumen, wenn sie las, wer sich da zu melden versuchte. Das hatte Folgen! Miss Mutig ahnte Schlimmes und ging absichtlich nicht ran!
„Bist Du jetzt nicht hingegangen, weil da ‚unbekannt‘ stand?“, forschte Sohwass naiv. Aber damit löste er natürlich eine Lawine aus. „Das ist doch sowieso nur diese Tusnelda, die ruft IMMER mit ‚unbekannt‘ an!“ Wieder musste Schlapp zurückstecken, denn es stimmte. Tusnelda hatte bereits ein einziges Mal mit unterdrücktem Namen angerufen. Schlapp hatte es vorher demonstrativ – um die Miss zu besänftigen – ein paar Mal vermieden mit ihr zu sprechen, als ihr voller Name auf dem Display erschienen war, weil die Stimmung danach gewöhnlich reichlich düster zu werden pflegte.
An dieser Stelle sollte eventuell, allerdings nicht direkt zwingend notwendig erwähnt werden, daß Miss Mutig gewohnheitsmäßig ehemalige Arbeitskollegen, oder eben männliche Bekannte, auf einen Brunch bzw. zum Spazierengehen traf. Aber wenn zwei das Gleiche, respektive Ähnliches tun, ist es noch lange nicht das Gleiche! Stein konnte man wohl kaum als eine zuverlässige Vertrauensperson bezeichnen, Miss Mutig und Anhang jedoch schon. Kein Wunder, wenn da bei ihr miserable Stimmung aufkam, die sofort hochdiplomatisch verarbeitet werden musste.
Ein freundliches Miteinander war, nach solchen Vorfällen, dann, aus guten Gründen, eben länger nicht möglich! Und um dies zum Ausdruck zu bringen, eigneten sich ganz triviale Ereignisse, wie, unter anderem, die Benützung des Badezimmers, vorzüglich. Wer würde am Abend zuerst hineingehen? „Ich lasse Dir den Vortritt, wenn Du möchtest“, zeigte sich Mutig von ihrer freundlichsten Seite. „Aber wenn Du noch ein bisschen am Fernseher herumzappen möchtest, weil du ja immer so gern trödelst, dann gehe eben ich zuerst rein!“
Stein ging also zum Fernseher um zu zappen. Nach einer geraumen Weile schaute er nach, ob im Bad noch Licht brannte und stellte verdutzt fest, daß sich wohl schon länger keiner mehr darin befand. Miss Mutig stand in der Küche und nuckelte, tief melancholisch, an einem großen Glas Wein. Frostiges Schweigen umgab sie wie eine dunkle Wolke. Und ausgerechnet jetzt maßte sich Stein, der Sohwass von Schlapp(e) an, ungehalten sein zu wollen. Er versuchte es zumindest … „Wolltest Du sagen, daß Du im Bad fertig bist und ich jetzt rein kann?“ frotzelte er. Die Antwort saß! „Nein, das wollte ich nicht sagen – aber wonach sieht es denn, deiner Meinung nach, aus?!“