Warum ich jedem Menschen vertraue

Bild von Alf Glocker
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Zunächst ist das natürlich deswegen der Fall, weil ich völlig naiv bin! Dann aber, nachdem ich mich der Naivität hemmungslos ergeben habe, tritt eine tiefe innere Weisheit zutage und ich begreife, daß ich, bei jeder Begegnung, ein Original der Schöpfung vor mir habe.

Von diesem Augenblick an beginne ich, diesen (jeweiligen) Menschen zu schätzen … und zwar ein! Ich erlebe seine Qualitäten als eine Springflut, die über mir zusammenschlägt und ich frage mich lieber nicht, warum er ist, wie er ist … das ist bevor …

mein schlechter Charakter zu wirken anfängt – ich mich also zunächst der Bedeutung des Gegenübers ergebe. Voller Hochachtung bemerke ich, anerkennend, sein Selbstbewusstsein, vergleiche es mit dem meinen und erstarre. „Wie schafft er das?“, frage ich mich.

Dann ziehe ich sein etwaiges Unvermögen, welches ich auch gar nicht wahrhaben möchte, nicht zu Rate, sondern ich unterwerfe mich einem Test: Wie lange kann ich den Einfluss dieses Menschen, des bewundernswerten Originals, auf mich wirken lassen, ohne zu zerbrechen?

Dabei setze ich ganz auf sein Gewissen und gestehe ihm zu, des Irrtums unfähig zu sein. Mit großen, blauen Augen schaue ich ihm ins Gesicht und appelliere damit an seine Seele, Umsicht walten zu lassen, denn ich möchte ja auch noch „Mensch“ genannt werden.

Ich gebe ihm freie Hand, damit er sich richtig verhalten kann – ganz aus sich selbst heraus … und nicht etwa einer eventuellen Abwehr- oder Angriffsstärke meinerseits wegen. Dann erwarte ich seine Aktionen, aus denen ich lesen kann, daß ich ihm zurecht vertraut habe.

Der Mensch setzt nun vermutlich seine Verhaltensmotorik in Gang und ich hoffe auf positive Zeichen von seiner Seite. Er wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, mir ebenso offen und positiv begegnen, wie ich ihm zu begegnen gedachte.

Es kann ja nicht ausbleiben, daß er mir umgehend seine Zukunftspläne und die Absichten darlegt, die ihn auf dieser Welt bewegen. Er wird mich wohlwollend einweihen, mich fragen, was ich von diesem und jenem halte, und wo ich ihm vielleicht weiterhelfen kann.

Daraufhin kommt dann ganz bestimmt seine freundschaftliche Aufforderung, ein Projekt in Angriff zu nehmen, von dem nicht nur wir beide etwas haben, sondern alle, die guten Willens sind, die bei sinnvollen Unternehmungen mitwirken möchten … Menschen eben!

Wie oft ich, meines Verhaltens wegen, ein bisschen traurig geworden bin, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. Verraten will ich nur, daß man Menschen gar nicht anders ausfindig machen kann, als durch die Bloßlegung ihrer Intentionen, aufgrund der eigenen Naivität!

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Kommentare

29. Jun 2017

Schlechter Charakter, arg naiv -
Doch ist der Essay nicht schief!

LG Axel

29. Jun 2017

Vielen Dank Axel!
...bist Du der einzige, ders verstanden hat??

LG Alf

29. Jun 2017

Die Krause erklärte just es mir -
Für hundert Euro! (Plus 10 Bier ...)

LG Axel

02. Jul 2017

Dieser Text mag satirisch klingen.
Aber ein angeglichenes Verhalten zeitigt tatsächlich Wirkung. Wenn ich es gewagt habe, mein Inneres (z. B. in Texten) offen darzulegen, hat diese offene Verletzbarkeit das Gegenüber genug verblüfft, um die relevanten ersten, "kritischen" 2 Sekunden in einer Begegnung, möglicherweise aggressiv oder ablehnend zu reagieren, "ungenutzt" vorbeigehen zu lassen; das Gegenüber war so quasi "entwaffnet" und ihm blieb im schlimmsten Fall noch ein neutrales Verhalten übrig - was allerdings in der Weiterentwicklung der "Bekanntschaft" dann auch wieder umschlagen könnte, klar!
Etwas in der Art ist dir ja auch bekannt, stimmt's?