Brand

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von Daniel G. Spieker

Ich bin Psychologe. Privatpraxis. Ich gehöre, und das darf ich sagen ohne arrogant zu sein, zu den besten Psychologen des Landes. Zu mir kommen nur relativ wenige Patienten, drei oder vier am Tag, manchmal weniger.
Alternde Manager mit Zwangsproblemen, Informatiker mit Depressionen, Priester mit Glaubenskrisen.
Die meisten der Leute sind relativ gut zu behandeln, brauchen einen Gesprächspartner, nicht wirklich eine profunde Hilfe. Vielleicht ist es auch schick zu einem guten Psychologen zu gehen.
Ich weiß es nicht, aber das Geld stimmt, also kümmert es mich eher weniger.
Es gibt nur selten wirklich Fälle, wo ich weiterführendes Wissen brauche. So auch der Fall von Sophie Fischer. Die Fischers hatten ihre Tochter zu mir gebracht, damit sie ein traumatisches Ereignis überwinden konnte. Es war in ihrem alten Haus gewesen. Ein Brand, den sie nur knapp überlebt hatte. Es war mittlerweile ihre 5te Sitzung und wieder wollte sie nicht direkt darüber sprechen, sprach über dies und das, aber nie speziell über den Brand. „Wie war das mit dem Brand Sophie?“, fragte ich sie nach dem sie wieder einmal von ihrem Schultag erzählt hatte. „Das Feuer kam und brach von unten nach oben aus. Ich war oben, ging aus dem Zimmer, suchte meine Eltern in ihrem Schlafzimmer, aber sie waren nicht da.“ „Und dann?“ „Dann sah ich diese Gestalt. Mit den braunen Haaren. So wie ich grade – nur viel zerzauster. Bis auf die braunen Haare konnte ich nichts erkennen, ihr Gesicht war nicht direkt zu erkennen.“ „Gibt es irgendwelche Details? Wie sie gestanden hat? Ihre Haltung, ihre Gesichtszüge?“ „Ich, ich kann mich nicht erinnern.“ So ging das immer wieder. „Wie könntest du dich erinnern?“ Sie schüttelte den Kopf.
Es machte mir zu schaffen ihr nicht helfen zu können und es ich wusste, dass es riskant werden würde, aber ich musste es unbedingt probieren. Das einzige was jetzt noch vielleicht helfen konnte war eine Konfrontation, eine Rückkehr in den alten Ort des Geschehens.
Ich rief die Eltern ein paar Tage nach der Sitzung an, um meinen Plan zu besprechen. „Herr Nietracht, es ist etwas heikel, aber ich möchte ihre Tochter zu dem Ort bringen, an dem es passiert ist?“ „Warum wollen Sie das, es wird ihr weh tun.“ „Ja, aber ich glaube, dass es die Therapie voranbringen könnte, auf ein ganz neues Level, ich glaube, dass sie es dann wirklich verarbeiten könnte.“ „Sie ist nicht bereit dafür, sie könnte wieder zurückfallen, wieder in die Albträume, wieder in all das.“ „Ich glaube wirklich, dass das die einzige Möglichkeit ist, um sie wieder völlig gesund zu machen.“ „Nein. Meine Tochter wird nicht wieder zu dieser Stelle gehen, das wird sie krank machen. Bitte unterlassen sie solche Vorschläge in Zukunft.“ Er stockte für einen Moment. „Ich glaube es wäre sogar besser wenn wir die Therapie mit ihnen jetzt beenden.“ „Herr Nietracht...“ „Nein. Die Therapie ist hiermit beendet. Wir zahlen Ihnen die restlichen Sitzungen.“ „Aber, ich möchte doch gar nicht...“ „Gute Nacht Herr Rohrschac.“ „Gute Nacht Herr Nietracht“, sagte ich, damit war es wohl vorbei.
Ich hatte den Termin relativ schnell wieder an jemand anderen vergeben, es gab immer Leute, die bei mir in die Sitzung wollten.
Ich behandelte einen depressiven Jungen, 17 Jahre alt, hochintelligent, aber wohl nicht mit einem ausgeprägten Freude-Gen geboren. Die Sitzung ging etwas länger als sonst, wir hatten sicher 30 Minuten überzogen, aber sowas muss manchmal eben sein. Ich hatte wirklich das Gefühl weitergekommen zu sein. Als ich ihn zu der unteren Tür der Praxis brachte, sah ich auf der Straße Sophie. Sie stand dort und sah zu mir rauf. Ich wusste für einen Moment nicht was ich tun sollte, ging dann runter auf die Straße. „Was ist los?“ „Herr Rohrschac. Ich bin hierher gefahren. Ich habe das Gespräch mitbekommen zwischen Ihnen und meinem Vater.“ „Oh“, sagte ich. „Ich glaube, auch dass es mir helfen könnte. Können wir hinfahren? Bitte?“ „Ich, ähm, das geht nicht“, sagte ich und schluckte. „Ich glaube, dass es mir helfen würde.“ „Aber ich kann nicht...“ Ich überlegte. Es war nicht richtig, aber es würde ihr wirklich helfen, davon war ich hundertprozentig überzeugt, alles andere hatte sich auf Dauer nur als eine weitere Sackgasse herausgestellt.
„Wie kannst du hier sein?“ „Meine Eltern denken ich wäre bei einer Freundin.“ Ich wägte ab. Es war nicht richtig, davon war ich überzeugt, aber ich musste einfach hinfahren, es war meine Pflicht als Arzt.
Ich schloss das Auto auf und ließ mir die Adresse von ihr sagen. „Weltenbruchallee 23, Weidembach.“
Ich tippte die Straße, den Ort und die Zahl in das schmierige Navigationssystem ein, und nach 30 Minuten waren wir an besagter Stelle.
Das Haus war immer noch niedergebrannt und wirkte wie ein Fleck auf einer Karte, etwas was einem direkt ins Auge springt, aber sicher nicht auf eine positive Weise.
Es war mittlerweile schon etwas spät und ich hielt direkt auf der Straße vor dem Haus, ging relativ schnell in das Haus, die Tür hing lose im Rahmen. „Wo war es?“, fragte ich Sophie und schaute mich um, wir hatten nicht viel Zeit. „Oben, kommen Sie mit.“ Ich folgte ihr die Treppe nach oben, in das Schlafzimmer. Das ganze Haus war mittlerweile ausgeräumt worden, nichts zeugte mehr von dem einzigen Leben, nur Ränder, wo mal etwas gestanden oder gehangen hatte.
Wir gingen langsam zusammen in das Schlafzimmer und ich hoffte, dass es irgendetwas auslösen würde. Sie fing an plötzlich zu weinen, zeigte zu der Stelle, wo die andere Person gewesen war und ich nahm sie in den Arm, sagte, dass alles gut wäre. „Warum haben sie mich hier her gebracht? WARUM?!“ Ich war erschrocken und schluckte. Auch ein paar Worte später hatte ich nicht den Eindruck, dass es ihr in irgendeiner Weise geholfen hätte. Im Gegenteil. Ich hatte es schlimmer gemacht.
Ich fuhr sie direkt zurück zu ihrer Familie, wollte keine Zeit mehr in diesem Haus verschwenden und ging mit ihr zur Tür und versuchte mich irgendwie zu erklären. „Anzeigen sollte ich sie! Was fällt ihnen ein, einfach so mit meiner Tochter irgendwo hinzufahren!“ „Es tut mir Leid, Herr Nietracht. Ich wollte [Hier cutten] nur helfen...“ „Mir scheißegal! Verpissen sie sich, verdammt noch einmal!“
Ich ging und fuhr nach Hause. Ich hatte meine Grenzen deutlich überschritten, das hätte ich nicht tun dürfen. Doch irgendetwas ließ mich nicht ruhen, irgendein Detail. Nicht mein Fehlverhalten, sondern in dem Haus.
In aller Frühe fuhr ich noch einmal zu dem Haus und ging hinein, oben ins Schlafzimmer. Und dann sah ich was mir unterbewusst aufgefallen war. Im Schlafzimmer, wo sie hinschaute, war auf dem Boden ein Abdruck. Da waren feine Linien. Irgendetwas musste dort gestanden haben. Stand die Person im Feuer auf einer Kommode oder so etwas? Bei Herrn Nietracht konnte ich nicht mehr anrufen, also musste ich nach einer anderen Möglichkeiten suchen. Ich musste die Frau erwischen, beim Einkaufen oder ähnliches.
Ich passte sie beim Einkaufen ab, hatte einige Tage ihren groben Tagesablauf beobachtet. Ganz zufällig sollte es wirken. Sie räumte gerade Fertignudeln in den Einkaufswagen, die sie sicher als selbstgemacht ausgeben würde.
„Frau Nietracht?“ „Herr Rohrschac, guten Tag.“ „Wie geht es Ihnen?“ Man merkte ihr an, dass ihr das Gespräch sichtlich unangenehm war. „Glauben Sie wirklich, dass dieses Gespräch eine gute Idee ist?“ Jetzt. Ich konnte nicht mehr warten.
„Beschreiben Sie mir die Einrichtung in dem Schlafzimmer Ihres alten Hauses.“ „Was sind Sie? Sind Sie... wieso wollen Sie das wissen?“ Ich wiederholte meine Bitte. „Bitte gehen Sie.“ „Sagen Sie es mir, was stand dort?“ „Ich werde die Polizei rufen, wenn Sie nicht verschwinden!“ „Sagen Sie mir was in der Ecke – rechts neben dem Fenster stand und ich werde verschwinden.“ Sie runzelte die Stirn, wägte ein paar Sekunden ab. „Ein Spiegelschrank, nun verschwinden Sie endlich!“
Ich wendete mich ab, mittlerweile beobachteten einige Leute schon die Szene. Mir war das egal. In mir gefror alles. Ein Spiegelschrank. Sie musste sich selbst gesehen haben.

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Hörbuchversion von Brand
Noch mehr von der Persönlichkeit → Daniel G. Spieker