Er war 40 und hatte eine Vorliebe für alte Autos. "Ich liebe diese tiefer gelegten Autos aus den 60er-Jahren, diese Cabriolets, mit denen man im Sommer über Land fahren und die Sonne geniessen kann." Das machte der Mann vor allem mit seiner Hündin, die neben ihm jeweils angegurtet auf dem Beifahrersitz sass. Beide hatten dieselbe schwarze Sonnenbrille aufgesetzt, und im CD-Player lief meistens "Ride Like The Wind" von Christopher Cross. Und manchmal dachte der Mann an die Zeit, als er noch langes Haar getragen, den Oberarm über die Autotüre gelegt und damit die Schönheiten im Appenzeller Vorderland beeindruckt hatte. Das waren noch Zeiten gewesen, als die Sonjas und die Gabrielas und die Brigittes einem unterwegs noch zugewinkt hatten. Das waren noch Zeiten gewesen, als der Sommer noch gross und breit gewesen war und nach frischen Wiesen geduftet hatte. Doch er wollte nicht melancholisch werden, schliesslich war er mehrheitlich Optimist und er wusste, dass die Dinge sich immer in das verwandeln würden, was er in ihnen zukünftig sehen wollte.
Eines Tages fuhr er mit seiner Hündin über Land und kam an einem alten Bauernhaus vorbei. Vor ihm stand eine schlanke Frau, die den vorbeiziehenden Wolken zuschaute. Der Mann folgte einem inneren Impuls, fuhr an den Strassenrand und fragte die Frau, ob er hier mit seiner Hündin ein wenig über die Wiesen springen dürfe. Die Frau nickte und schaute dem Mann tief in die Augen. Der Mann war irritiert, noch nie hatte er so eine Frau mit einer solch geheimnisvollen Anmut und solch braunen Augen gesehen. Verlegen schaute er zu seiner Hündin hinüber, die mit ihrer Sonnenbrille noch immer im Auto sass und ebenso den Wolken zuschaute. "Komm", sagte der Mann zur Hündin, "der Sommer hat heute begonnen."
Seither fährt der Mann regelmässig über Land, zu jenem Bauernhaus mit der grazilen Frau und deren braunen Augen und stellt ihr immer wieder dieselbe Frage.
Eines Tages wird er wieder kommen und am Strassenrand anhalten, und die Hündin mit der aufgesetzten Sonnenbrille wird auf dem Rücksitz Platz nehmen müssen.
© René Oberholzer