Das Ende der langjährigen Bemühungen

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Für Padiaménopé Ba Pallawatsch! Weiterhin eine gute Genesung! Bleib so tapfer, mein Freund!

„Ich geb jetzt auf“, meint Uta resigniert zu ihrer besten Freundin Lisa. Sie hatten sich zum Stadtbummel verabredet. „Gerade in diesen Krisen-Zeiten mit Beschränkungen aller Art mag ich einfach nicht mehr mitmachen. Es ist mir zu stressig geworden.“ Beide Frauen stapfen durch die leicht verschneite Landschaft. Beide sind Mitte 20, tragen Brillen und Gesichtsmasken, sind gut eingepackt. Uta sagt: „Nun ist Schluss!“

Lisa daraufhin: „Aber du bist doch erst 26, Uta. Da kannst du unmöglich schon alle Bemühungen einstellen. Hast du es schon mit Partnerbörsen versucht?“ Ihre beste Freundin winkt ab. „Partnerbörsen? Hör mir bloß auf. Alles Angeber, Pretender und fürchterlich eitle Fatzkes, die sogar glauben, was sie da über sich selbst im Profil zu schreiben wagen. Einer echten Prüfung hält all das nicht stand. Sieht man jedoch näher hin, darf man getrost gute 66-77 % aller „Fakten“ als Makulatur betrachten, reine Fiktion.“

„Du gibst also komplett auf? Bleibst den Rest deines Lebens solo?“ „Genauso ist´s. Kein Mann an meiner Seite. Ich warte nicht mehr länger auf meinen Prinzen. Meine Geduld ist aufgebraucht. Ich bin´s leid. Echt jetzt, was ich zurückliegend erlebt habe, das geht ja auf keine Kuhhaut. Wie du ja weißt, gehe ich es immer gleich an. Meinem Date sage ich, klagend, dass 80 % aller Männer ein Komplettausfall sind, nur rund 20 % taugen etwas. Und wie du ja auch weißt, antwortet daraufhin jeder, dem ich bisher mein Leid geklagt hatte, so: „Aber liebes Fräulein, nun ziehen Sie doch Ihre recht entzückende Stirn nicht so kraus. Sie haben unfassbares Glück, denn ich, ja genau ich, der ich hier vor Ihnen stehe, gehöre zu den 20 % der Männer, die Vertrauen und Ihre ganzheitliche Zuneigung verdient haben. Ich versichere Sie, gegen einen kleinen monatlichen Obolus lediglich, meiner Integrität und meiner Aufrichtigkeit in jeglicher Hinsicht. Keine Fallstricke, keine falschen Angaben, keine Altlasten, weder Lug noch Betrug, eine einwandfreie Reputation und zudem auch noch eine wirklich gute Partie, all das steht hier vor Ihnen und buhlt um Ihre Gunst, liebwertes Fräulein Bitterwein!“

Reden können die ja, denkt Lisa. Leider ist es so oft nur heiße Luft, die geblubbert aus den Kandidaten strömt. Sehr galant und höchst eloquent wird beworben, was umworben gehört. Endziel: Die Bettstatt. Ist dieses Ziel erreicht, ändert sich dieses Verhalten radikal. Die Aufmerksamkeit und das Interesse nimmt in dem Maße dann ab, wie die Stunden vor dem TV-Gerät oder hinter dem Controller zunehmen. Die eben noch himmelhoch jauchzend verliebten Kerle treffen sich wieder mehr mit den besten Kumpels, allerlei Saufkumpanen, Trinkgenossen und Zechkomplizen. Schon wird die Zeit, in der die eben noch Angehimmelte und unter Mühen eroberte „Süße“ allein vor dem Fernseher sitzt, immer häufiger zum Streitpunkt. Es bröckelt, all die Versprechen und Schwüre, wo sind sie hin? „Aber Schatzi, der Holger hat die neue Stichsäge. Er will sie mir vorführen. Ich muss zu ihm. Es kann später werden...“

Uta mit tragisch verbrämter Stimme: „Nur einmal wollte ich erleben, dass so ein Typ offen zugibt, zu den 80 % zu gehören. Nur einmal hatte ich das hören wollen: Ja, ich bin ein Hallodri und ein Tunichtgut. Ich gebe es zu, mit mir wird´s eine Achterbahn-Fahrt. Aber ich stehe zu dir und versuche es immerhin ernsthaft, dir ein guter, sehr verlässlicher und bester Freund und Lebensabschnitt-Partner zu werden. Kann sein, dass ich dich hie und da enttäusche, aber im Großen und Ganzen bin ich ein netter Kerl, der dich zwar nicht verdient hat, aber doch letztlich zum Lachen bringen kann. Nimm mich, und du wirst es nicht bereuen! - Nur einmal hatte ich das erleben, ach, hören wollen. Es ward mir nicht vergönnt. Alle zählten sich zu den 20 %, wirklich alle, ist das zu fassen? Alle wollten die große Ausnahme sein, aber nicht die Mehrheit, die Flops! Das ist ja so ernüchternd.“

Lisa meint: „Ich verstehe deinen Frust. Aber hattest du nicht diesen Hendrik erwähnt? Den Baumfäller? Der scheint doch ein recht vielversprechender Kandidat zu sein...“

„Nee, der Hendrik ist angehender Baumpfleger. Er studiert noch. Seit 2003 etwa gibt es in Deutschland das erste Bachelorstudium zur Baumpflege. Der Studiengang Arboristik beschäftigt sich mit der Baumbiologie, der Artenkenntnis Baum bewohnender Tiere, der Bodenkunde und der Klimatologie, dem Stadtbaum-Management und auch der Baumkontrolle sowie zudem mit den Kernthemen der Unternehmensführung. Es ist ein recht komplexes Aufgabengebiet. Da musst du nicht nur gut klettern und äußerst fit sein, du musst auch ein grünes Verständnis mitbringen, viel Organisationstalent - und die totale Faszination für Bäume. Hendrik geht die Qualifikation zum European Tree Worker an, hernach möchte er den Fachagrarwirt Baumpflege anstreben. Mein Interesse war groß. Der Mann sieht gut aus, ist topfit, die Liebe zu Bäumen und der Natur allgemein begeisterte mich. Aber, leider, auch Hendrik ist ein Blender, so ein echter Aufschneider. Nur ein Beispiel von vielen.

Beim ersten Date überreicht er mir eine Visitenkarte, nachdem er sich vorgestellt hatte: Mein Name ist Hendrik Schnurtz, ich bin angehender Fachagrarwirt für die Baumpflege. Auf der Visitenkarte aber steht: Raban Grotelüschen, European Tree Technician (ETT), eine Adresse und eine Telefon-Nummer. Ich sehe Hendrik recht fragend an. „Ach das?“ meint er verschmitzt, „die Telefon-Nummer stimmt, jedoch sind meine eigenen Visitenkarten noch nicht fertig. Ich habe den Job und auch das Appartement von Raban übernommen. Warte...“ Und er nimmt einen Kugelschreiber und streicht Raban Grotelüschen aus, schreibt Hendrik Schnurtz darüber. „So, jetzt stimmt´s aber...“ sagt er grinsend, reicht mir die Visitenkarte und strahlt mich heftig an. Punkt 1 auf der Liste von Merkwürdigkeiten, die immer länger und länger wurde.

In sein Appartement konnten wir nicht, weil er zuhause die Handwerker hatte. Ganze 3 Monate? Seine Familie konnte ich nicht kennenlernen, weil die komplett an Corona erkrankt war, nur er war verschont geblieben. Ich frage ihn, wo er denn studiert. Und er antwortet, dass der Studiengang, Corona bedingt, derzeitig ausgesetzt ist. Jedoch arbeite er fest bei TreeCare, eben dies sei der ehemalige Job von Raban, dort könne ich ihn auch sehr gerne einmal besuchen. Und als ich das tatsächlich eines Tages wollte, da sagte man mir, ‘der Herr Schnurtz habe lediglich eine Praktikantenstelle inne und sei derzeitig bis auf Weiteres freigestellt’. In einer Imbissbude sah ich ihn herzhaft in eine Bratwurst beißen, dabei hatte er mir versichert, er sei Vegetarier. Zudem fand ich heraus, dass er keineswegs Buddhist ist, wie er einst von sich behauptete. In seiner Post war der Kirchenbote zu finden. Er konnte ihn nicht rechtzeitig vor mir verstecken. Ich wurde dann immer misstrauischer mit der Zeit. Und hinterfragte alles.

Was soll ich nun von all dem halten? Merkwürdigkeit reiht sich an Merkwürdigkeit. In all der Zeit konnte ich ihn nicht an der Uni sehen, nicht am Arbeitsplatz, nicht in dem Ex-Raban-Grotelüschen-Appartement, nicht bei den Eltern und auch nicht mit seinen Freunden treffen. Ein geheimnisvoller Mann, der wohl nur auf dem Papier und in der Fantasie eines gewissen Hendrik Schnurtz zu existieren scheint. Allerdings hatte er auf all meine Vorwürfe und Fragen stets eine erstaunlich einleuchtende Antwort parat (die dann neue langwierige Erklärungen und enorm komplizierte Nachbetrachtungen nach sich zogen; und auch hier blieben meine weiteren Recherchen im schlimmsten Treibsand stecken). Ohne mit der Wimper zu zucken, konnte dieser Kerl die wirklich haarsträubendste Geschichte auftischen, ohne jede Scham oder Reue erzählte mir dieser Mann eine abenteuerliche Story nach der anderen, bis ich es dann endlich begriff: Baron von Münchhausen persönlich hatte um meine Hand angehalten. Ich floh. Und das mit Siebenmeilen-Stiefeln. Hendrik ist es letztlich aber schuld, dass meine langjährigen Bemühungen um ein passendes Pendant nun eingestellt werden müssen. Ich hab keinen Bock mehr auf die 80 %, und ein Vertreter der 20 % dürfte mir in meinem Leben nicht mehr begegnen. Also danke, aber nein danke!“ Und Uta schob energisch das Kinn nach vorne. Die beiden Frauen hakten sich unter. Wieder einmal hinterließ solch ein Dilemma eine verbitterte, ‘mit den Kerlen total fertige Frau’ (in diesem Fall eine gewisse Uta Bitterwein), die jeglichen Glauben an gute Männer verloren hatte. Und Uta setzte einen neuen Standard. Jetzt waren 90 % der Männer Ausschuss und nur 10 % taugten etwas. Schuld war ein gewisser Hendrik Schnurtz, das Ende der Fahnenstange. Bei ihm können sich alle Männer bedanken, die nach der hübschen Uta Bitterwein gieren. Sie wird für immer unerreicht bleiben.

Gramgebeutelt oder beutelgram schlurfen die beiden Frauen trotzig durch den kaum bevölkerten Winterpark. Es ist recht zapfig geworden. Die Brillen beschlagen stark, der Mund-Nasenschutz bietet wenigstens den Nasenpartien einigermaßen warm und frostgeschützt ein bisschen Schutz vor der grimmigen Kälte. Lisa, die etwas naive Lisa, sie war vielleicht noch zu retten. Aber Uta wohl für immer verloren. Sie seufzt.

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