Das kleine Mädchen

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von Heide Nöchel (noé)

Das Kind weinte still in sich hinein.

Es hatte sich in die schmalste Ecke verzogen, so, dass es rund um sich die Berührung spürte, hatte sich ganz klein gemacht, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und weinte, still und untröstlich.

Diese enge Kammer war ihm schon zur Zuflucht geworden. Immer, wenn es traurig war, immer, wenn es nicht mehr ein noch aus wusste, konnte es sich wenigstens in die dunkle Enge dieser Kammer zurückziehen und unbeobachtet weinen.

Niemand sah es da, niemand hörte es, niemand lächelte über die Kleine oder machte sich lustig, niemandem musste sie Rede und Antwort stehen und sich vielleicht Beschwichtigungen anhören, die sowieso nicht ernst gemeint waren, weil sie der Sache nicht auf den Grund gingen.

Wer denn auch … niemand interessierte sich für das Kind, so wirklich, jedenfalls. Man sah es zwar an, man redete mit ihm – oder auch nicht –, manche gaben ihm die Hand, andere nickten ihm nur zu oder winkten aus der Ferne. Es gab Zeiten, da wehte ein Lächeln über die Distanz, aber wenn dann die Frage kam: „Wie geht’s?“, war das rein rhetorisch.

Wenn das Mädchen nur einmal geantwortet hätte, dass ihm das Herz schwer war oder dass etwas ihm Bauchschmerzen machte – es war sich sicher, das wäre gar nicht gehört worden. Diese Erfahrung hatte es ja schon gemacht.
Niemand wollte wissen, wie es ihm wirklich ging.

Und noch schlimmer war es, wenn diese Sehnsucht wiederkam, so stark, dass es wehtat. Diese Sehnsucht nach Wärme, nach Anerkennung, nach jemandem, der das Kind wirklich, wirklich SAH, dem es von selber auffiel, dass ihm etwas fehlte, der es einfach nur mal in den Arm genommen hätte ... und dann war da niemand –, das war das Schlimmste. Dann fühlte die Kleine sich gleich noch viel mehr alleine und vollkommen verlassen von der Welt.

Der Körper des Mädchens wurde geschüttelt von verzweifeltem Schluchzen, die Tränen des Kindes liefen unaufhaltsam, es schniefte zum Gottserbarmen, aber es konnte nicht aufhören. So klein und verloren kam es sich vor.

Die Kammer zog sich enger zusammen um die Kleine, die Berührung tat ihr gut.

Die Frau spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Sie atmete tief ein und verhielt einen Moment. Aber das Leben ging weiter, niemand fragte danach, wie es ihr im Innersten ging.

In Gedanken streichelte sie das kleine Mädchen, das in ihrem Herzen so bitterlich weinte, kniff einmal die Augen fester zu und ging dann routiniert zum Tagesgeschäft über.

Das wurde so erwartet von ihr. Schließlich war sie erwachsen.

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