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vom Eingang entfernt direkt auf dem Boden vor der Hauswand befindend. Dummerweise verband eine stabile Kette samt entsprechender Schließvorrichtung die beiden dazugehörigen Griffe.
„Wozu habt Ihr denn schließlich ein Pferd?“
Coco schien wirklich sehr pragmatisch veranlagt zu sein … Mithilfe eines stabilen Seils stellte Giesbert die improvisierte Verbindung zwischen Tier und Ziel her. Es bedurfte wiederholter Anläufe, doch dann brachte das Kräftemessen den gewünschten Erfolg.
„Bravo!“
Anerkennend applaudierte die Dame, denn ein Kettenglied hatte nachgegeben. Ihre Begleitung öffnete derweil mit wenigen Handgriffen den Einstieg zum ehemaligen Kohlenkeller.
„Ziemlich dunkel da unten …“
Giesbert zog etwas kurzes schwarzes aus einer tiefen Tasche seines beinahe bis zum Boden reichenden Mantels.
„Was …?“
„Man nennt es Taschenlampe … Licht ohne Flamme …“
Beide betraten die kurze hinabführende Treppe und befanden sich wenig später in einem fensterlosen kahlen Raum.
„Wirklich gut geeignet für ein Gefängnis.“
„Vielleicht ein wenig zu eng für sechzehn Personen.“
„Fünfzehn, denn unsere Gegner haben ebenfalls keinen König!“
Auf der gegenüberliegenden Seite des damaligen Brennstofflagers befand sich eine unverschlossene Tür aus massivem Holz. Dahinter kam ein Gang zum Vorschein, mit der Option, in unregelmäßigen Abständen weitere Räume zu betreten. Über stark verkratzte Stufen ging es nach oben in die nächste Etage. Dort waren alle Zimmer frei einsehbar, ausnahmslos leergeräumt und überwiegend recht groß angelegt. In einem mehr oder weniger kleinen Saal endete vorerst ihre Erkundung.
„So lasst bitte die Sonne herein!“
Der Springer öffnete eines der Fenster, um anschließend mit vollem Körpereinsatz die von außen befestigten Bretter zu entfernen. Es erwies sich als recht beschwerlich, doch dank seiner Kraft gelang es ihm die Sicht freizugeben und somit Tageslicht einfallen zu lassen.
„Ihr seid wirklich ein würdiger Vertreter Eures Geschlechts!“
„Habt Dank!“
Exakt an diesem Ort sollten ab sofort alle Fäden zusammenlaufen.
„Ob unsere vierzehn Kameraden wohl ebenfalls in dieser Gegend verweilen?“
„Dreizehn … Ja, davon gehe ich fest aus!“
Im späteren Verlauf gelang es Giesbert problemlos die Haustür zu öffnen, da dort von innen ein Schlüssel steckte, den man offensichtlich vergessen hatte abzuziehen. Zuvor befreite er jedoch auch noch die übrigen beiden Fenster des zum Hauptquartier ausgerufenen Saals von ihrer Verdunkelung.
„Ich werde mich ein wenig auf dem Gelände umschauen. Ihr könnt Euch zwischenzeitlich nützlich machen und die oberen Etagen inspizieren.“
Höflich nickend führte der Springer umgehend ihren Befehl aus, während Coco das Gebäude zu umrunden versuchte. Wuchernde Pflanzen, teils mit Dornen versehen, erschwerten allerdings an so mancher Stelle ihr Vorhaben. Nach etwa der Hälfte des Weges entdeckte sie ein breites Loch in der das Anwesen umgebenden Mauer. Neugierig schlüpfte die Dame hindurch und war bereits nach wenigen Metern von alten üppig bewachsenen Laubbäumen umgeben. Plötzlich raschelte es über ihr, dicht gefolgt von einem herabstürzenden Gegenstand, der sich als goldene Sichel offenbarte.
„Welch fette Beute!“
Vorsichtig kletterte ein Bauer mit lockigen strohblonden Haaren den Baum herunter, seine traditionelle Kleidung gleichfarbig wie das soeben versehentlich fallengelassene Werkzeug.
„Gardez!“
Hinter der Dame hatte sich zwischenzeitlich Nummer zwei jener niederen Zunft angeschlichen.
„Da wird sich aber jemand freuen …“
„Denkt bitte nicht, dass ich völlig wehrlos wäre …“
Mit diesen beiden kleinwüchsigen Männern konnte sie es doch wohl noch aufnehmen ... Wie von einem Affen ausgeführt, wurde ihr Rücken besprungen, während der direkt vor ihr stehende Zwerg so fest er konnte gegen ihr rechtes Knie trat. Coco kam daraufhin zu Fall, jetzt mit beiden Händen das schmerzende Gelenk ruhigstellend.
„Wir müssen sie unbedingt verschnüren!“
„Wo finde ich denn ein Seil?!“
Der Plan schien jedoch schnell zum Scheitern verurteilt zu sein, denn ein aus Bauernsicht regelrechter Riese mit sehr kurzgeschnittenem schwarzen Kopfbewuchs drückte die Angreifer mühelos zu Boden, riss mehrere vor Ort vorhandene Schlingpflanzen samt Wurzeln aus und fesselte damit die beiden gegnerischen Schachfiguren.
„Wie geht es Euch?“
„Mein edler Turm, Ihr habt meine drohende Niederlage abgewendet, wofür ich Euch ewig dankbar sein werde!“
„Möchtet Ihr von mir getragen werden?“
Demonstrativ richtete sich die Dame auf, dabei ein wenig ihr Gesicht verziehend.
„Nein … Schnappt Euch den Feind und folgt mir!“
Er klemmte sich daraufhin beide Männer unter die Arme, einen links, den anderen rechts und marschierte pflichtbewusst der leicht humpelnden Schönheit hinterher.
In den folgenden Tagen erhöhte sich die Zahl der Gefangenen, denn Giesbert gelang es durch Zufall die beiden zuvor gemeinsam reisenden gegnerischen Läufer aufzugreifen. Ludwig, wie Coco den Turm nach seiner heldenhaften Rettungsaktion getauft hatte, half derweil tatkräftig beim Umfunktionieren der Villa. Er setzte sich darüber hinaus erfolgreich dafür ein, die an dem Kohlenkeller angrenzenden Räumlichkeiten ebenfalls als Zellen zu nutzen, zumal alle entsprechenden Schlüssel völlig unerwartet aufgetaucht waren, gehortet in einer Küchenschrankschublade. Auf dem Dachboden entdeckte Kerzen fungierten als Nacht- bzw. Gefängnisbeleuchtung. Zweimal täglich wurde der mit neuer massiver Eisenkette samt Vorhängeschloss gesicherte Eingang zum ehemaligen Brennstofflager geöffnet, damit Frischluft und Tageslicht eindringen konnten. Auch ein regelmäßiger Zellentausch fand statt, damit jeder Inhaftierte in den Genuss dieses Privilegs kam …
Die drei silberschwarz gekleideten Schachfiguren ließen es sich hingegen gutgehen. Perspektivisch sollte jede Gattung ihr eigenes Zimmer bekommen. Alle dort vorhandenen Fenster waren bereits von den vernagelten Brettern befreit worden. Entsprechende Matratzen standen für alle Kameraden zur Verfügung, die noch nicht Anwesenden bereits mitgerechnet.
„So legt Euch ruhig schlafen!“
Coco gab dem braunen Hengst die Sporen und ritt in die sternenklare Nacht hinein, Ludwig vor dem Eingang der Villa allein zurücklassend. Mittlerweile fand dieses Ritual täglich statt, doch weitere goldfarbige Gegner konnten dadurch bis dato nicht entdeckt oder gar gefangen genommen werden. Obwohl einige Spaziergänger und Freizeitsportler die sichtbaren Veränderungen an dem ehemaligen Adelssitz registriert hatten, hinterfragte niemand die Rechtmäßigkeit der neuen Hausherren.
„Wo mögen wohl die Anderen sein?“
Durch bewohntes Gebiet konnte sie zwar nicht reiten, doch glücklicherweise existierte ein begrünter Flusslauf, der an dem kleinen Wäldchen vorbeiführte, das ihr selbst gewähltes Quartier umgab. Über diesen Weg gelangte man auch in die beiden großen urbanen Parks. In jener Nacht jedoch beschloss Coco den Berg zu erkunden, der in geringer Entfernung zur Stadt verortet war und alles um ihn herum überragte. Mühelos bewältigte das Pferd die zahlreichen Höhenmeter, was beim Erreichen des Ziels belohnt wurde, denn von hier oben konnte man jene beeindruckende Ansammlung menschlicher Zivilisation vollständig überblicken. Dort unten schien vieles hell, teilweise sogar bunt erleuchtet, offensichtlich ohne die Hilfe des Feuers. Die gesamte Nacht hätte sie an diesem Ort verweilen können, doch der Ausritt diente schließlich nicht ihrem Vergnügen. Über die gegenüberliegende Seite sollte