Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 138

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von Alf Glocker

138. Schritt

Heute ist heute, morgen ist morgen und gestern war gestern? Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Stunde, Minute, Sekunde? Wachen und Träumen? Zu all diesen Dingen habe ich den Bezug verloren!

Denn als es Nacht war und ich träumte, da träumte ich es sei Tag, ein Tag, an dem ich, zwischen Hell und Dunkel geschworen hätte wach zu sein. Aber in diesem Wachzustand, der keiner war, da hetzte jemand hinter mir her!

Seine Identität konnte ich nicht ermitteln, ich fühlte nur, wie mir sukzessive schlecht wurde, so als habe dieses mich verfolgende Etwas eine unnatürlich eklige Ausdünstung, die ich überall riechen konnte – auch auf dem Weg vor mir!

Ich wusste, es geht etwas Fauliges von ihm aus und mir war, als wolle es mich als Wesen verwesen, obwohl ich doch lebte. Dieser Zustand schien mir unerträglich. Ich entschloss mich dazu dies als Traum zu bezeichnen und schnellstmöglich zu erwachen, damit ich ihn hinter mir lassen konnte.

Vor mir sah ich ein Licht. Das muss der neue Tag sein, dachte ich mir und rannte darauf zu. Erstaunlicherweise kam ich gut vorwärts, nicht wie in einem gewöhnlichen Traum, wo man anfängt sich im Zeitlupentempo zu bewegen, sobald man sich in Bewegung setzt.

Je schneller ich wurde, desto mehr brach die Traumrealität um mich zusammen: die Welt stürzte ein! Alle meine Eindrücke zusammengenommen krümmten sich zu einer Art Rohr, durch das meine Seele schoss. Meine Furcht nahm dagegen unendliche Ausmaße an.

Schließlich verengte sich das Rohr hinter mir und die Traumzeit schwebte, wie eine Kugel hinter meinem Rücken, durch ein Nichts aus neuem Beginnen. Ich drehte mich nicht um, doch ich spürte, daß ich es immer noch nicht losgeworden war, dieses faulige Ding.

Ich strampelte, versuchte es mit den Füßen daran zu hindern mir zu folge, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Das kann wieder mal nur eine Einbildung sein, schwor ich mir entschlossen, bevor ich die Sonne aufgehen sah über der Stadt.

Und flugs lag ich in meinem Bett, nackt und verschwitzt, frierend, denn die Decke hatte ich weggestrampelt. Ich blickte mich um. Da war doch etwas! In meinem Magen spürte ich das Gefühl von Verdorbenheit – ein schlechter Geruch zog den Morgen entlang, um mich, mir voraus in den Tag.

Was hatte ich mitgebracht? Den Schatten einer anderen Welt? Eine Ahnung aus der Zukunft, oder einen Schmerz aus der Vergangenheit? Besaß ich vielleicht sogar ein zweites Ich, das sich jetzt erstmals zu erkennen gegeben hatte?

Ich musste aufstehen wenn ich Näheres in Erfahrung bringen wollte. Doch da schaffte ich es endlich ganz von selbst. Das „Ding“ verschwand. Es wurde einfach von den Ereignissen überdeckt, die ihren Reigen um mich begannen.

Ich blickte mich noch einmal um, ich sah den Himmel vor den Fenstern, der heute nicht verhangen, sondern strahlend blau war. Von Draußen winkte mir der Ast eines Baumes zu, dessen Zweige ich farblich als grün einstufte. Die Luft flimmerte ebenso verheißungsvoll wie rätselhaft.

Mir war plötzlich als sei dies ein Lächeln, das mir begegnete und mir war auch als hätte sich ein Vorhang gehoben. Die Angst wich, der Text meines Daseins fiel mir wieder ein – und auf einmal wusste ich, wer mich da im Traum verfolgt hatte: es war die Wahrheit gewesen!

Einen Bezug zu Heute und Morgen, zu Tag und Nacht, zu Hell und Dunkel, zu Jahr und Lebenszeit, zum Unterschied zwischen Wachen und Träumen, konnte ich aber nicht wieder herstellen. Ich zitterte nur!

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