Der Nobelpreis und Bob Dylan – zwei Welten prallen aufeinander

Überarbeitet am 28. August 2017

"Ich begann über Shakespeare nachzudenken, die große Gestalt der Literatur. Ich möchte wetten, dass das, was Shakespeare am wenigsten beschäftigte, die Frage war, ob das, was er schreibt, Literatur war."

von Literat Pro
Bild einer Bob Dylan Illustration 2016
December 4, 2016. Bob Dylan Hand Drawn Drawing Portrait
Urheberrecht: doddis77 / Shutterstock.com

Bob Dylan ist in erster Linie Sänger und er selbst wäre ganz sicher der erste, der das so voll und ganz unterschreiben würde. Seit Anfang Dezember wissen wir aber auch mit letzter Sicherheit, dass er Literat ist. Was seit 1996 immer wieder angeregt wurde, ist Wirklichkeit geworden: Bob Dylan wurde mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Zeitungen nennen ihn in einem Atemzug mit T.S. Eliot, andere verweisen auf Yeats oder Rimbaud und er steht nun auf einer Stufe mit Thomas Mann, Ernest Hemingway oder Elfriede Jelinek, mit der er auch die Abwesenheit bei der Preisverleihung teilt.

Auf der Suche nach der Bescheidenheit

Zu gerne möchte man irgendwie glauben, was Dylans Rede, die verlesen wurde, nahelegt: Der bescheidene Musiker wurde von diesem Preis sozusagen über Nacht überrascht, befindet sich immer noch im Schockzustand des unerwarteten Freudentaumels und irgendwie kann er deshalb auch gar nicht anreisen. Von den Terminschwierigkeiten möchte man lieber nichts hören. Dylan schreibt: „Being awarded the Nobel Prize for Literature is something I never could have imagined or seen coming.“ (Den Nobelpreis für Literatur verliehen zu bekommen, das ist etwas, was ich mir nie vorgestellt habe oder kommen sehen habe.) Der Rockmusiker vor dem ehrwürdigen Komitee, das ist ein merkwürdiges Bild. Und es wird immer merkwürdiger, wenn man ihn bescheiden und fast demütig sehen will, überrascht und sprachlos. Dylan ist weder das eine noch das andere: Wer seit zwanzig Jahren als Kandidat für den Preis gehandelt wird und dabei auch die Unterstützung von Literaturwissenschaftlern wie Gordon Ball oder Schriftstellern wie Allan Ginsberg erfahren hat, der kann nicht mehr nur als kleiner Musiker auftreten, der von sich selbst sagt: „When I started writing songs as a teenager, and even as I started to achieve some renown for my abilities, my aspirations for these songs only went so far.“ (Als ich als Teenager begann Lieder zu schreiben, und sogar als ich einige Anerkennung für meine Fähigkeiten bekam, gingen meine Hoffnungen für diese Lieder immer nur bis zu einem bestimmten Punkt.“) Dieser Bescheidenheitsgestus ist so merkwürdig fehl am Platz für den, der das Komitee viele Tage lang hat warten lassen, bis er sich endlich zur Verleihung der größten Literaturauszeichnung der Welt äußerte. Es grenzte an Peinlichkeit für alle Beteiligten und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der große Musiker sich schließlich herabließ, den Preis anzunehmen. Nicht genug Mut, um ihn auszuschlagen wie Sartre, nicht genug Mut, um dem düpierten Komitee entgegenzutreten, das tapfer den Anschein von Anstand zu wahren suchte. Und die, die in Dylan nur einen Rockmusiker mit ganz passablen Texten sehen, können jetzt das schadenfrohe Grinsen fast nicht unterdrücken. Irgendwie ist das alles ziemlich schade, denn das wäre die Gelegenheit gewesen für Dylan, zu zeigen, dass die sogenannte Hochkultur ziemlich viel mit der Popkultur zu tun hat – das, was er mit beachtlichen literarischen Anspielungen in seinen Liedern tut, hätte er jetzt im Auge der Weltöffentlichkeit leben können. Aber dazu war der Preisträger dann doch nicht in der Lage, vielleicht weil er sich nicht instrumentalisieren lassen wollte. Aber wenn man mehr als 70 Jahre Leben hinter sich hat, sollte man eigentlich über solchen Überlegungen stehen, um auch mal für die Sache selbst einzustehen statt auf den eigenen Anliegen zu beharren.

Bob Dylan in einem Atemzug mit Shakespeare

Ob die Entscheidung des Komitees gerechtfertigt war, ist schwierig einzuschätzen. Natürlich hat Dylan einen riesigen Einfluss auf die Popmusik gehabt und dass er ganz sicher keine dummen Texte schreibt, ist ebenfalls unbestritten. Die „poetischen Neuschöpfungen“, die das Komitee hervorhebt, haben Generationen begeistert und die Pop- und Rockmusik als neue Ausdrucksform von individuellen Gefühlen, Erlebnissen und Meinungen etabliert – das ist ein riesiger Sprung in der Musikgeschichte, den man aber auch nicht nur einem einzigen Künstler anhängen kann. Davon allerdings ist kein einziges Wort in Dylans Rede zu hören, kein Wort über die überaus interessanten Zeiten, in denen er lebte und auf die er Bezug nahm in seinen Texten. Stattdessen vergleicht sich der Musiker mit Shakespeare: „I began to think about William Shakespeare, the great literary figure. [...]I would bet that the farthest thing from Shakespeare's mind was the question ‘Is this literature?’” (Ich begann über Shakespeare nachzudenken, die große Gestalt der Literatur. Ich möchte wetten, dass das, was Shakespeare am wenigsten beschäftigte, die Frage war, ob das, was er schreibt, Literatur war.) Der Tenor ist der: Das große literarische Genie Shakespeare und der große Songschreiber Dylan haben ziemlich viele Gemeinsamkeiten: Sie arbeiten mit dem gesprochenen Wort statt mit dem geschriebenen, sie haben teilweise ziemlich kleinliche Sorgen wie Finanzen oder passende Mitarbeiter. Und sie sind natürlich beide Literaten von Weltklasse.

Patti Smiths Performance

Gegen all dieses Getue war Patti Smiths Vortrag so wohltuend normal und menschlich. Dass die Grande Dame des Rock mitten im Song ihres Freundes Dylan den Text vergaß, die Hände vors Gesicht schlug und herauswürgte, dass sie so nervös sei, das war rührend und kein Grund für Peinlichkeit. Das war einfach nur menschlich und tat wohl nach dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Und so reagierte auch das Publikum, in dem es aufmunternd und begeistert klatschte und jubelte. Der Song selbst, A Hard Rain’s Gonna Fall, ist eines der großen Dylan-Stücke, immer aktuell, egal ob in Zeiten von saurem Regen oder Klimawandel. Die Bilder, die aufgerufen werden, wurden mit T.S. Eliots „The Wasteland“ verglichen, aber sie erinnern auch an die apokalyptischen Visionen aus der Bibel – nichts Neues unter der Sonne also, aber leider immer noch so präsent und einprägsam wie vor 2.000 Jahren. Dass sich Dylan als Songwriter in der letzten Strophe als förmlich messianische Gestalt stilisiert, das passt allerdings gut zu dem Gesamteindruck, den der eigenwillige und wohl nicht ganz unbescheidene Künstler seit Mitte Oktober hinterlassen hat. Ein Ende dieser Farce ist übrigens immer noch nicht abzusehen, denn ob Dylan den Nobelpreis persönlich in Stockholm abholen wird, das lässt er wohlweislich offen.

Was bleibt von Dylan?

Das Komitee des ehrwürdigen Nobelpreises, das vielleicht auch ein bisschen altbacken daherkommt, ist über seinen Schatten gesprungen und hat einen Rockpoeten in den Literatenolymp erhoben. Für dessen Geschmack kam die Auszeichnung aber anscheinend mindestens zwanzig Jahre zu spät und er konnte nicht ebenso elegant Konventionen beiseiteschieben – Rocker müssen schließlich rebellieren. Das tat und tut er sehr medienwirksam und ist nun in aller Munde, aber leider nicht wegen seiner poetischen, kritischen Texte, die voller Anspielungen sind und eindrucksvoll nicht nur die Belesenheit des Songwriters zeigen, sondern auch verdeutlichen, in welcher Tradition er sich sieht. Vielmehr hat Dylan eine große Chance vertan, Literatur und Musik zusammenzuführen, die doch eigentlich schon seit ewigen Zeiten zusammengehören. Hier hätte der Musiker seinen Ewigkeitsanspruch im Dienst der Kunst verwirklichen können – stattdessen hat er lieber auf ein Medienspektakel gesetzt, das ihm die kurzzeitige Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit einbrachte. Vanitas mundi reloaded und das ist so schade, denn viel lieber möchte man doch über Dylans Songs reden, was nun aber keiner tut, weil sein Verhalten so tief blicken lässt und eben auch erkennen lässt, dass ein guter Schreiber nicht immer auch ein guter Mensch ist. Vorbildfunktion war vielleicht zu bieder für den Revolutionär, der aus revolutionären Zeiten kommt. In den heutigen Zeiten hätten wir alle das aber so dringend gebraucht und ein politischer Künstler hätte hervorragend dazu getaugt in einer Welt, in der es anscheinend nur noch um Effekthascherei geht. So aber ist eine große Stimme eingefallen in die Kakofonie derer, die um die Schlagzeilen und Retweets buhlen.

Noch mehr aus der Kategorie → Literatur